Zwischenruf vor Auftritt des italienischen Ministers Buchmesse soll Ort des demokratischen Streitens werden

Mit dem traditionellen Hammerschlag ist die Frankfurter Buchmesse eröffnet worden. Politiker wie Autoren betonten den Wert von Büchern für die Demokratie. Vor der Rede des italienischen Kulturministers gab es einen wütenden Zwischenruf aus dem Publikum.

Buchmesse-Direktor Juergen Boos (links) sitzt bei der Eröffnungsfeier neben Alessandro Giuli, Kulturminister von Italien.
Buchmesse-Direktor Juergen Boos (links) sitzt bei der Eröffnungsfeier neben Alessandro Giuli, Kulturminister von Italien. Bild © picture-alliance/dpa

Mit dem "Glauben an die zivilisierende Kraft der Bücher" hat die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, am Dienstagabend die 76. Frankfurter Buchmesse (16. bis 20. Oktober) eröffnet.

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Frankfurter Buchmesse öffnet ihre Türen

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Zuvor hatten bei der rund zweistündigen Eröffnungsfeier vor Messe-Beginn an diesem Mittwoch auch Vertreter Deutschlands, Hessens und des diesjährigen Ehrengasts Italien das Wort ergriffen. Aus Italien war der Kulturminister der ultrarechten Regierung unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die zur Partei "Fratelli d'Italia" gehört, nach Frankfurt gereist.

Von Mittwoch bis Sonntag findet die Buchmesse unter dem diesjährigen Motto "Read. Reflect. Relate." statt. Zunächst ist sie nur für das das Fachpublikum geöffnet, am Freitag ab 14 Uhr dürfen alle Bücherfans die Messe besuchen.

Boos rechnet mit Streit im Sinne der Demokratie

Buchmesse-Chef Juergen Boos betonte in seiner Eröffnungsrede, in einer Zeit, in der Konflikte und Kriege die Nachrichten dominierten und die Debatten in Kultur und Politik immer unversöhnlicher seien, könne Literatur helfen, andere Perspektiven einzunehmen. Die Buchmesse als weltweit größte Bücherschau zeige "all das, was Literatur kann", betonte Boos.

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"Wir werden streiten – hart in der Sache, aber immer in der Sinne des demokratischen Austausches", sagte Boos mit Blick auf die kommenden fünf Messetage. "Es geht nicht darum, wer die Stimme am lautesten erhebt, sondern darum, einander zuzuhören, es geht um Diskussionen und Gespräche, die in den Austausch und in die respektvolle Wahrnehmung der anderen Position führen."

Das Buch als mächtiges Mittel für die Demokratie

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) schrieb dem Buch eine zentrale Rolle für die Demokratie zu. Bücher befähigten uns, mündige Bürgerinnen und Bürger zu sein.

"Sie befördern Selbstbestimmung und das gelingende Zusammenleben in Vielfalt und im Respekt und der Anerkennung der Verschiedenheit. Das brauchen wir gerade in diesen Kulturkampfzeiten dringend."

Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth (Grüne)
Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth (Grüne) Bild © picture-alliance/dpa

Rhein: "Bücher sind mächtig"

Hessens Ministerpräsident Rhein bezeichnete das Buch als "mächtig" - denn sonst sei die Freiheit des Wortes nicht das, "was als erstes verboten wird, wenn Diktatoren an die Macht kommen". In Europa seien liberale Demokratien aktuell unter Druck, auch in Deutschland.

"Wir müssen auf der Hut sein. Die Geschichte zeigt uns, dass Demokratien nicht mit einem Knall sterben. Demokratien siechen langsam dahin. Das ist viel gefährlicher, weil viele erst dann aufwachen, wenn es schon viel zu spät ist." Veranstaltungen wie die Buchmesse stärkten die Demokratie und die "freie und vielfältige Kultur".

Zwischenruf vor Auftritt des italienischen Kulturministers

Der Auftritt des italienischen Kulturministers Alessandro Giuli löst bei der Feier einen Zwischenruf aus. Ehe er seine Rede beginnen konnte, kritisierte der Frankfurter Stadtverordnete Nico Wehnemann (Die Partei) von seinem Zuschauerplatz aus den Minister der Meloni-Regierung.

"Nach den Reden einen Populisten einzuladen", kritisierte Wehnemann, nachdem Schmidt-Friderichs, Boos, Rhein und Roth in ihren Reden die aktuellen Gefahren für Demokratien adressiert hatten.

Anschließend verließ Wehnemann den Saal. Später teilte Wehnemann auf X mit, dass er anschließend von der Eröffnungsfeier ausgeschlossen worden sei.

Giuli: Kultur ist "universelle, gesellschaftliche Religion"

Italiens Kulturminister Giuli bezeichnete in seiner nachfolgenden Rede die Kultur als "unsere universelle, gesellschaftliche Religion". Man lebe in einem Zeitalter, in dem die weite Verbreitung der Medien alle Menschen zwar freier und aktiver, aber nicht klüger gemacht habe, sagte er.

Er verteidige "die unantastbare Freiheit der Meinungsäußerung in jeder Form" - auch wenn das zu Dissens führe, "auch wenn es der Regierung, der ich angehöre, schaden könnte".

Alessandro Giuli, Minister für Kultur der Italienischen Republik, spricht auf der Eröffnungsfeier.
Alessandro Giuli, Minister für Kultur der Italienischen Republik, spricht auf der Eröffnungsfeier. Bild © picture-alliance/dpa

Rovelli gegen weitere Waffenlieferungen

Bei der Eröffnungsfeier sprach als Gastredner des Ehrengastlandes auch der italienische Autor und Physiker Carlo Rovelli. Er war im Vorfeld der Buchmesse kurzzeitig aus der offiziellen Delegation Italiens ausgeladen worden. Zuvor hatte er bei einer Veranstaltung in Italien den Verteidigungsminister der ultrarechten Meloni-Regierung kritisiert.

In seiner Rede auf der Buchmesse kritisierte er die vielen Kriege und das wirtschaftliche Interesse an diesen Kriegen, etwa Waffenlieferungen. "Wir verteidigen Macht und Privilegien." Es brauche Bücher, die "uns lehren, wie wir den momentanen Wahnsinn stoppen können."

Das diesjährige Buchmesse-Gastland Italien hatte bereits im Vorfeld für einen Eklat in der Heimat gesorgt: Der Ehrengast bringt in den kommenden Tagen rund 100 Autoren und Autorinnen mit nach Frankfurt – doch einige bekannte regierungskritische Literaten wie der Mafia-Enthüllungsautor Roberto Saviano sind nicht darunter.

Offener Brief gegen Italien-Ehrengast-Auftritt

Sie waren von italienischer Seite nicht für die Autoren-Delegation ausgewählt worden. Verantwortlich für den Ehrengast-Auftritt ist der Buchmesse-Sonderbeauftragte der italienischen Regierung, Mauro Mazza. Dutzende Autoren und Autorinnen aus Italien hatten sich mit einem offenen Brief gegen den Gastland-Auftritt gewandt.

In dem Brief warfen sie der Regierung vor, nicht genehme und regierungskritische Stimmen von der Buchmesse auszuschließen und sich zunehmend in den Kulturbetrieb einzumischen. 

So treten Saviano und Schriftsteller Antonio Scurati, der die Ministerpräsidentin Meloni schon mal als Erbin Mussolinis bezeichnete, nicht im Pavillon des Ehrengastes auf. Sie reisen auf Einladung ihrer Verlage an und sind zu Gesprächen bei der Schriftstellervereinigung PEN Berlin und auf der Literaturbühne von ARD, ZDF und 3sat (Forum, Ebene 0) geladen.

4.000 Aussteller auf der Messe

An den fünf Messetagen erwarten die Besuchenden laut Veranstalter rund 1.000 Autoren und Sprecherinnen bei 650 Veranstaltungen auf 15 Bühnen. Rund 4.000 Aussteller sind nach Frankfurt gekommen. 

Der israelische Historiker Yuval Noah Harari ("Nexus") diskutiert zum Beispiel mit dem japanischen Philosophen Kohei Saito ("Systemsturz") über unsere Optionen für die Zukunft. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Philosoph Michel Friedman, der die AfD zuletzt bei einer Gedenkfeier im Landtag scharf attackierte, reden über das Spannungsfeld von Freiheit und innerer Sicherheit – und die Folgen für unsere Demokratie.

Bekannte Gesichter sind in diesem Jahr Moderatorin Judith Rakers, Peter Maffay, Thomas Gottschalk, Max Mutzke, Tierschützer und Influencer Malte Zierden, Astronaut Matthias Maurer, Mai Thi Nguyen-Kim sowie Autoren wie Sebastian Fitzek, Caroline Wahl, Elif Shafak und Saša Stanišić. IN Halle 1.2 gibt es ein 8.000 Quadratmeter großes Areal nur für das Trend-Genre "New Adult".

Messe endet mit Friedenspreisverleihung

Traditionell endet die Buchmesse am Sonntag mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Die Historikerin Anne Applebaum erhält den Preis in diesem Jahr bei der Feier in der Frankfurter Paulskirche. Begonnen hatte die Woche mit der Verleihung des Deutschen Buchpreises an Martina Hefter für ihren Roman "Hey guten Morgen, wie geht es dir?".

Redaktion: Katrin Kimpel und Sophia Averesch

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de, dpa, KNA