Auszeichnung in Frankfurt Tonio Schachinger gewinnt den Deutschen Buchpreis 2023
Für seinen Roman "Echtzeitalter" erhält Tonio Schachinger den Deutschen Buchpreis 2023. Es ist ein humorvolles Coming-of-age-Buch aus der Welt der Computerspiele.
Schon zum zweiten Mal stand er auf der Shortlist, jetzt ist er der Gewinner: Der österreichische Autor Tonio Schachinger erhält den Deutschen Buchpreis 2023 für seinen Roman "Echtzeitalter" (Rowohlt Verlag, März 2023). Das gab der Börsenverein des Deutschen Buchhandels am Montag auf einer feierlichen Zeremonie im Frankfurter Römer bekannt.
"Auf den ersten Blick ist 'Echtzeitalter' ein Schulroman", begründete die Jury ihre Wahl. Auf den zweiten Blick sei das Buch viel mehr als das. Es sei ein Gesellschaftsroman. "Mit feinsinniger Ironie spiegelt Schachinger die politischen und sozialen Verhältnisse der Gegenwart: Aus gebildeten Zöglingen spricht die rohe Gewalt. Die Welt der Computerspiele bietet einen Ort der Fantasie und Freiheit", heißt es weiter.
Auf erzählerisch herausragende und zeitgemäße Weise verhandle der Text die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Literatur.
Schachinger: "Fand es albern, mich zu bedanken"
"Ich fand es bislang immer albern, mich bei einer Jury zu bedanken", scherzte Schachinger in seiner Dankesrede. Diese machte doch nur ihren Job, an den sie darüber hinaus doch glaube. "Bedanken möchte ich mich bei meiner Frau Margit", sagte er, von ihr wisse er alles.
Mit Blick auf die Weltlage konstatierte er: "Wir wissen alle, dass das hier nicht das Wichtigste ist." Und weiter: "Es ist unerträglich zu sehen, was passiert auf dieser Welt. Es ist aber auch schwer, darüber zu sprechen, wenn man nicht betroffen ist. Und es ist auch schwer, dass immer diejenigen darüber sprechen müssen, die davon betroffen sind." Er könne nur den Wunsch äußern, dass Jüdinnen und Juden auf der Welt sicher leben können müssten.
Buch über non-konformen Elite-Schüler
Der Roman spielt in Wien, in der traditionsreichen Wiener Eliteschule "Marianum", einem Internat, in dem die Kinder aus besserem Hause schon früh unterrichtet, aber auch gedrillt und gequält werden. Besonders hart erwischt es den anfangs noch kleinen, rothaarigen Till, der sich bald in Computerspiele flüchtet.
Besonders das Echtzeit-Strategie-Spiel "Age of Empires II" hat es ihm angetan. Er wird zu einem der weltweit besten Spieler. Gleichzeitig sacken seine Schulnoten immer weiter ab. Dass er erfolgreicher Gamer ist - das zählt nichts in der Welt der Erwachsenen.
Im Roman "Echtzeitalter" geht es um einen Konflikt zwischen den Generationen, den Schachinger humorvoll als einen zwischen analoger und digitaler Welt erzählt, ohne zu vereinfachen. Da ist etwa Tills Mutter, die irgendwann ihre Schlafstörungen mit dem Handyspiel "Candy Crush" kuriert.
"Sehe mich beim Gaming in Vermittlerrolle"
Was das Gaming betreffe, sehe er sich in einer Vermittlerrolle, sagte Schachinger im Vorfeld der Verleihung. Er wisse, dass es zwischen den Leuten, die Bücher kauften und denen, die Ahnung von Computerspielen hätten keine "wahnsinnig großen Schnittmengen" gebe.
"Ich wollte zeigen, was passiert da eigentlich, wenn man spielt. Was bedeutet das und wie schwer ist es, von diesem Detailwissen, das Till hat, zu dem Wissensstandpunkt seiner Mutter - diese Brücke zu überwinden", so Schachinger weiter.
Till geht allen Schikanen zum Trotz seinen Weg. Spöttisch und gleichzeitig einfühlsam erzählt Schachinger in "Echtzeitalter" von Drill und Rebellion, von kleinen und großen Fluchten, von der ersten Liebe, kurz: vom Erwachsenwerden.
Der Autor
Tonio Schachinger wurde 1992 in Neu-Delhi/Indien als Sohn eines Diplomaten und einer mexikanisch-ecuadorianischen Mutter geboren. Die Familie pendelte zunächst zwischen Nicaragua und Wien, wo Schachinger nach der Scheidung der Eltern blieb, zur Schule ging und studierte.
Als Autor wurde er 2019 durch seinen Debütroman "Nicht wie ihr" bekannt. Es ist die Geschichte eines vermögenden österreichischen Profifußballspielers, der eine Affäre mit der Jugendliebe beginnt. Der Roman schaffte es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises. Der Jury gefielen besonders die "Wiener Milieusprache und herrlichen Fußballmetaphern sowie die rotzige, witzige und originelle Erzählerstimme".
Die sechs Titel der Shortlist
Neben Tonio Schachinger mit "Echtzeitalter" hatten es Terézia Mora mit "Muna oder Die Hälfte des Lebens", Necati Öziri mit "Vatermal", Anne Rabe mit "Die Möglichkeit von Glück", Sylvie Schenk mit "Maman" und Ulrike Sterblich mit "Drifter" auf die Shortlist geschafft.
Der Deutsche Buchpreis gilt als eine der wichtigsten Auszeichnungen der Branche und wird seit 2005 verliehen. Der Preis ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert: Der Sieger oder die Siegerin erhält 25.000 Euro, die übrigen Autoren der Shortlist jeweils 2.500 Euro. Im vergangenen Jahr gewann Kim de l'Horizon mit dem Roman "Blutbuch".
Die Jury zum Deutschen Buchpreis 2023
In der Jury saßen in diesem Jahr Katharina Teutsch (freie Kritikerin), Shila Behjat (Journalistin und Publizistin), Heinz Drügh (Goethe-Universität Frankfurt), Melanie Mühl (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Lisa Schumacher (Steinmetz’sche Buchhandlung, Offenbach), Florian Valerius (Gegenlicht Buchhandlung, Trier) und Matthias Weichelt (Zeitschrift Sinn und Form).
Die sieben Jury-Mitglieder sichteten knapp 200 Bücher, die von Oktober 2022 bis September 2023 erschienen sind.
Sendung: hr-iNFO, 17.10.2023, 07.15 Uhr
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