War auf der Buchmesse 2023 Meinungsvielfalt gewollt?

Die aktuelle Konfliktlage im Nahen Osten hat die diesjährige Frankfurter Buchmesse überschattet. Die Messe betont, politisch zu sein und Raum für Debatten zu bieten. Doch nicht jeder kann am Diskurs teilnehmen.

Der Schriftsteller Slavoj Žižek steht auf der Bühne im Rahmen der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse und hält als Ehrengast seine Rede
Der slowenische Schriftsteller Slavoj Žižek bei der Eröffnungsrede auf der Frankfurter Buchmesse. Bild © picture-alliance/dpa
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Bilanz der Buchmesse in Frankfurt

Deutscher Buchpreis 2023
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Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel war klar: Kaum eine Veranstaltung auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse würde um die Lage in Nahost herumkommen. Wenige Stunden vor der Eröffnungsfeier betont Buchmesse-Direktor Jürgen Boos: "Die Buchmesse ist eine Politikmesse und hat einen kulturpolitischen Auftrag." Sie gebe Autorinnen und Autoren Raum, Bühne und Stimme.

So sieht es auch die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friedrichs. Die Messe sei ein Ort der Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt, "eine Einladung zu einem Gedankenaustausch und zu Debatten".

Erste Kritik in Sozialen Medien

Doch schon einige Tage zuvor ist die Messe erstmals in die Kritik geraten. Auf Instagram postet sie ein Statement und erklärt, dass der Angriff der Hamas auf Israel auch sie beeinflusse. Sie entscheidet: Jüdische und israelische Stimmen sollen dieses Jahr auf der Messe besonders sichtbar gemacht werden.

Über 3.500 Kommentare folgen unter dem Post. Viele stellen die Frage, was denn mit palästinensischen Stimmen sei, auch weil der Verein Litprom, dessen Vorstandsvorsitzender Boos ist, die Verleihung des LiBeraturpreises an die palästinensische Autorin Adania Shibli für ihren Roman "Eine Nebensache" verschoben hat.

Eklat auf der Eröffnungsfeier

Dass die Messe dann Raum für verschiedene Meinungen zumindest in Teilen zulässt, zeigt sich auf der Eröffnungsfeier. Der als Ehrengast eingeladene slowenische Autor, Slavoj Žižek, thematisiert wie seine Vorredner den Konflikt im Nahen Osten. Er verurteilt deutlich den Angriff der Hamas, setzt sich aber gleichzeitig für das palästinensische Volk ein.

Er spricht sich dafür aus, den Hintergrund des Konflikts zu betrachten und zu verstehen. Es ärgere ihn, dass man dabei direkt verdächtigt wird, "den Terrorismus der Hamas zu unterstützen oder zu rechtfertigen". Ein solches Analysieren zu verbieten sei "merkwürdig". Einen Frieden ohne Lösung der Palästina-Frage könne es schließlich nicht geben.

Die Verschiebung der Preisverleihung an Shibli sieht er als Teil der "Cancel-Culture-Kultur". Die führe dazu, dass diejenigen ausgeschlossen werden, die nicht in das eigene Bild von Diversität und Inklusion passen. Die Entscheidung halte er für "skandalös".

Boos als Vermittler

Seine Rede wird von Zwischenrufen unterbrochen. Der hessische Antisemitismusbeauftragte, Uwe Becker (CDU), verlässt immer wieder den Saal. Später wirft er Žižek auf der Bühne vor, den Angriff der Hamas zu relativieren.

Vermittelnd zeigt sich Buchmessendirektor Jürgen Boos. Er betont das Credo der Buchmesse: Meinungsvielfalt muss erlaubt sein. Er verurteile den Terror, aber "es ist die Freiheit des Wortes und die müssen wir hier stehen lassen", auch wenn man sie nicht teile.

Rede schlägt hohe Wellen

Žižeks Rede ist kontrovers. In vielen der folgenden Veranstaltungen sind seine Worte Thema. Einige teilen seine Aussagen nicht. Er wird kritisiert, die Bühne wird ihm aber nicht genommen. Am nächsten Tag nutzt er auf zwei weiteren Veranstaltungen die Gelegenheit und beteuert, dass er in keiner Weise das Verbrechen der Hamas relativiere, plädiert aber für einen Dialog.

Einige jüdische Stimmen, wie die des Schriftstellers Tomer Dotan Dreyfus, geben Žižek recht, dass Analyse wichtig sei. Doch unter anderem Meron Mendel, Leiter der Bildungsstätte Anne Frank, ist empört. Die Kontextualisierung des Geschehens käme zu früh. Menschen müssten sich erst einmal klar positionieren und sich auch zum Existenzrecht Israels bekennen. "Wenn wir diese gemeinsame Grundlage haben, können wir über alles sprechen", sagt Mendel.

Nicht jeder ist eingeladen

Was also auffällt: Der Diskussionsbedarf zum Nahen Osten ist auf der Buchmesse groß. Doch es wird schnell sichtbar, dass es trotz zahlreicher Veranstaltungen zu dem Thema kaum einen Raum für palästinensische Stimmen gibt. Der Wille der Buchmesse, israelischen Stimmen mehr Raum zu geben, hat eine Kehrseite.

Meron Mendel sitzt mit Alena Jabarine auf der Bühne im Pavillion auf der Agora
Diskussionsrunde zum Konflikt im Nahen Osten mit Meron Mendel (Leiter der Bildungsstätte Anne Frank) und Alena Jabarine (Journalistin) Bild © hr/ Lara Karbalaie

So gibt es auf der Buchmesse keine Bühne, auf der ausschließlich palästinensische Menschen zu Wort kommen - nur eine Veranstaltung, bei der eine israelische und eine palästinensische Stimme gemeinsam auf der Bühne diskutieren. Es sind Meron Mendel und die Journalistin Alena Jabarine. Dabei zeigt dieser Diskurs: Auch wenn die Standpunkte der beiden unterschiedlich sind, ein Dialog ist möglich.

"Es war zum Schutz der Autorin"

Immer wieder ist die verschobene Preisverleihung an Adania Shibli Thema. Auf der Pressekonferenz der Buchmesse erklärt Boos, die Verschiebung erfolge "auch zum Schutz der Autorin und ist die Möglichkeit in einem schöneren Rahmen die Verleihung zu veranstalten."

Auf Nachfrage des hr gibt der Sprecher der Buchmesse, Torsten Casimir, aber zu, dass die Entscheidung nicht - wie zuvor behauptet - im Einvernehmen mit der Autorin erfolgt sei. Diese wäre gerne gekommen, lässt ihre Agentur wissen.

Verschobene Preisverleihung verärgert viele

Darüber bringen viele - auch jüdische Autorinnen und Autoren - auf der Messe ihr Entsetzen zum Ausdruck. Der Schriftstellerverband PEN Berlin erklärt, dass eine politische Lage an der Wertschätzung eines Buches nichts ändern dürfe. Der Verband trommelt mehrere namhafte Autorinnen zusammen, unter anderem Deborah Feldmann und Tomer Dotan Dreyfus.

Sie erzeugen möglicherweise Druck. Kurzfristig findet eine Lesung aus dem Roman auf der Buchmesse statt. Es scheint wie ein Akt der Versöhnung. Die Autorin kommt allerdings nicht.

Auf dem Bild sind Autorinnen  und Autoren aus dem Schriftstellerverband PENBerlin: Unter anderem Eva Menasse, Tomer Dotan Dreyfuß, Dana Vowinckel
Autorinnen des PEN Berlin lesen aus dem Roman der palästinensischen Autorin Adania Shibli Bild © hr/ Lara Karbalaie

Kommunikation ist der Schlüssel

Vor allem der Umgang mit Adania Shibli hinterlässt den Eindruck, dass ein politischer Konflikt kanalisiert und auf der diesjährigen Buchmesse auf dem Rücken einer Person oder gar einer ganzen Personengruppe ausgetragen wird. Das Bild verfestigt sich dadurch, dass nur eine einzige palästinensische Stimme eingeladen worden ist - und durch die teils unglückliche Kommunikation.

Dass auf der Buchmesse dennoch so frei und offen diskutiert worden ist, verdankt die Messe in erster Linie den Gästen, die vielfältige Positionen aufgezeigt haben. Trotz der Turbulenzen hat die Buchmesse wieder einmal eines bewiesen: Politisch ist sie.

Weitere Informationen

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 23.10.2023, 19.30 Uhr

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Quelle: hessenschau.de