"Casablanca Art School" Frankfurter Schirn zeigt eine fast vergessene Kunstbewegung

Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt zeigt eine Kunstbewegung, die in Europa bislang kaum beachtet wurde: die sogenannte Casablanca Art School, die im postkolonialen Marokko entstanden ist. Die Werke verweben Pop Art und Bauhaus mit lokalen kulturellen Einflüssen.

Ausstellungsansicht "Casablanca Art School. Eine postkoloniale Avantgarde 1962–1987"
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Von den Wänden der Schirn Kunsthalle in Frankfurt leuchten intensive Farben. Großformatige Bilder erinnern an Pop Art – und doch ist etwas anders.

Die rund 100 Arbeiten, die seit diesem Wochenende zu sehen sind, sind Ausdruck einer kulturellen Bewegung, die in westlichen Ausstellungsräumen bislang kaum Beachtung fand und selbst in ihrem Herkunftsland Marokko fast in Vergessenheit geraten ist: die "Casablanca Art School".

Mohamed Melehi "Ohne Titel"
Die Werke sind vor allem eins: bunt. Bild © Mohamed Melehi Estate / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Kulturelle Einflüsse treffen auf Moderne

Gerade erobert die Kunstbewegung Europa. In der Schirn werden die Werke von 22 Künstlerinnen und Künstler gezeigt – abstrakte und großformatige Malerei, Kunsthandwerk, aber auch Grafiken, Teppiche und ein Architekturmodell.

Zwar sind Einflüsse und Ideen aus der westlichen Moderne wie eben Pop Art zu erkennen. Die "Casablanca Art School" hebt sich aber dadurch hervor, dass sie sich auf ihre einheimischen, kulturellen Praktiken zurückbesinnt und die lokalen kulturellen Einflüsse mit der Moderne verwebt.

Avantgardistische Bewegung

Die Kunsthochschule von Casablanca wurde bereits 1919 gegründet – noch zur Zeit des französischen Protektorats. Schon wenige Jahre nach der Unabhängigkeit Marokkos richtete sich die Kunsthochschule neu aus, öffnete sich beispielsweise für Frauen.

Eine der treibenden Kräfte war der damalige Direktor Farid Belkahia. Unter ihm entstand in den Jahren 1962 bis 1987 eine avantgardistische, postkoloniale Bewegung.

Besuch des italienischen Künstlers Agostino Bonalumi an der Hochschule
Besuch des italienischen Künstlers Agostino Bonalumi an der Hochschule Bild © Mohamed Melehi / Mohamed Melehi Estate

Von westlicher Lehre verabschiedet

In der Lehre wurden Ideen aus der Bauhaus-Bewegung mit der Erforschung des afrikanischen und amazighischen Erbes verknüpft: abstrakte Kunst mit Elementen traditioneller Teppiche, Schmuck, Kalligrafie oder Deckenmalerei der Region.

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Was bedeutet "amazigh"?

Einflüsse aus den Kulturen der indigenen Völker der Region werden in der Ausstellung als "afro-amazigh" zusammengefasst. Der Begriff "amazigh" ist eine Sammelbezeichnung für die indigenen Ethnien der nordafrikanischen Länder Algerien, Libyen, Mauretanien, Marokko und Tunesien, die sich sprachlich und kulturell von den arabisierten Mehrheitsgesellschaften unterscheiden. Er hat die abwertende, als rassistisch empfundene Fremdbezeichnung "Berber" abgelöst. Das Alphabet der Amazigh ist seit 2011 neben Arabisch Amtssprache in Marokko.

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Die Dozenten verabschiedeten sich von der westlichen Lehrmethode der Staffeleimalerei und wandten sich bewusst Elementen aus dem lokalen Kulturerbe zu. Dafür wurden Materialien wie Kupfer, Lederhäute, Holz und Wolle kombiniert und neue Muster und eine neue Formensprache entwickelt.

In der Zeit der Dekolonisation schlug sich auch politische Aktivismus in der Kunst nieder. In der Schirn zeigen das zum Beispiel Plakate gezeigt, die sich inhaltlich mit anderen Ländern solidarisierten: zum Beispiel mit Chile zum Ende des Allende-Regimes, mit Angola zu Bürgerkriegszeiten oder mit der palästinensischen Bevölkerung.

Kunst als Teil des Alltags

Und noch etwas wird in der Ausstellung deutlich: In Marokko ist die Kunst – angelehnt an die Bauhaus-Bewegung – Teil des Alltags. Das zeigen zum Beispiel Zeitschriften-Cover und Wandmalerei. Die Zusammenarbeit mit Architekten hatte zum Ziel, Kunst im öffentlichen Raum unterzubringen. So ist die Bildsprache mitunter sehr zugänglich.

Wandgemälde im Entstehen
Angelehnt an die Bauhaus-Bewegung wurde Kunst als Teil des Alltags verstanden. Bild © Mohamed Melehi / Mohamed Melehi Estate

Auch in der Schirn soll "Casblanca" für ein möglichst breites, internationales Publikum zugänglich sein. Die Ausstellungstexte gibt es daher in gleich drei Sprachen: deutsch, englisch und arabisch.

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Casablanca Art School. Eine postkoloniale Avantgarde

Die Exponate der "Casablanca Art School" sind bis 13. Oktober in der Schirn Kunsthalle zu sehen. Im Begleitprogramm ist unter anderem ein Workshop mit der Offenbacher Künstlerin Thekra Jaziri geplant. Sie kreiert ein Wandgemälde im Rotundengang der Schirn. Auch Veranstaltungen mit Musik wird es immer wieder geben – vom DJ-Set mit charakteristischen Rhythmen aus der arabischen Welt bis zu afrikanisch-ukrainischem Hip-Hop.

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Sendung: hr2, 12.07.2024, 8.30 Uhr

Redaktion: Susanne Reininger, Anna Lisa Lüft

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Quelle: hessenschau.de