Comic-Anthologie gegen Hass Wenn schon die Frage "Wie geht es dir?" zu brisant ist
Eine scheinbar einfache Frage, die nach Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 schwer geworden ist: "Wie geht es dir?" 48 Comic-Künstler haben jüdische und muslimische Stimmen dazu eingefangen – ihre Antworten sind nun als Buch erschienen.
Als die Frankfurter Zeichnerin Amelie Persson im Juni 2024 den Unicampus Westend betritt, hat sie nicht viel mehr dabei als einen Notizblock und ihr Handy. Sie ist verabredet mit der muslimischen Politologin Saba-Nur Cheema aus Frankfurt, die sich gegen Rassismus und Antisemitismus einsetzt. Bei einem Kaffee will Amelie Persson ihr eine scheinbar simple Frage stellen: "Wie geht es dir?"
"An dem Tag selbst habe ich nur Notizen gemacht, ein paar Fotos und hauptsächlich zugehört", erinnert sich die Künstlerin. "Ich war sehr präsent in dem Augenblick und habe versucht den Vibe, die Atmosphäre und vor allem eben ihre Worte aufzunehmen." Sie habe auch eine große Verantwortung gespürt.
Comic-Szene will ein Zeichen setzen
Für die Zeichnerin war die Teilnahme an der Comic Anthologie eine Herzenssache, wie sie sagt. Geld verdiene sie damit nicht, wie alle anderen Teilnehmenden auch nicht. Über die sozialen Netzwerke hatte Persson von dem Projekt mitbekommen, das zunächst nur online lief und sich bei den Initiatoren proaktiv gemeldet.
Denn ihr sei es wie vielen ihrer Kollegen und Kolleginnen gegangen. "Wir aus der deutschen Comic-Szene hatten das Bedürfnis ein Zeichen zu setzen gegen Antisemitismus, gegen Hass, gegen Rassismus und das eben mit unserer Kunst."
Im Einsatz gegen Hass und Diskriminierung
In Perssons Comic sieht man wie die beiden Frauen an einem Kaffeetisch sitzen. Saba-Nur Cheema im gestreiften T-Shirt, eine Sonnenbrille im Haar und in der Trage ihr Neugeborenes. Zusammen mit ihrem jüdischen Mann Meron Mendel, der auch Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt ist, setzt Cheema sich gegen Hass und Polarisierung ein. Medial sind die beiden seit dem 7. Oktober 2023 sehr gefragt.

Einfache Frage mit großem Konfliktpotenzial
In Fernsehshows oder Zeitungsinterviews beantworten Cheema und Mendel zahlreiche Fragen zum Nahost-Konflikt – und doch: Eine wichtige Frage fehlt dabei sehr oft, auch im privaten Umfeld.
"Man hatte die Frage ‚Wie geht es dir?‘ verlernt", sagt die Muslimin, die an der Goethe Universität zu Antisemitismus in pädagogischen Texten forscht, "weil man Angst hatte zu viel mit dem anderen über ein Thema zu sprechen, das derart polarisiert."
Ein Thema, bei dem viele Betroffene auch Angst gehabt hätten, in die falsche Ecke gestellt zu werden. "Bist du Antisemit oder bist du Rassist – je nachdem. Bist du pro Israel oder bist du pro Palästina?"

Niemanden zwingen, sich zu positionieren
"Wir müssen damit aufhören Betroffene zu zwingen sich positionieren zu müssen", findet auch Véronique Sina, Comic-Forscherin von der Goethe Universität, die das Projekt fachlich begleitet hat. "Stattdessen sollten wir lieber auf der zwischenmenschlichen Ebene ansetzen, in dem wir eben diese Frage stellen: Wie geht es dir?"
Sina: "Zuhören ist einfach wichtig"
Nicht alle der 60 interviewten Personen sind so bekannt, wie das Paar Cheema/ Mendel aus Frankfurt. Unter ihnen sind auch private Bekannte der 48 Zeichnenden. Manche Befragte wollen sogar anonym bleiben. Die Antworten auf die "Wie geht es dir"-Frage sind vielfältig – wie auch die Comics selbst.
Und doch, egal, ob muslimische oder jüdische Personen antworten, wenn von Zukunftsängsten, Hass und Diskriminierungserfahrungen die Rede ist, dann empfinden alle letzten Endes ähnlich.
Véronique Sina formuliert deshalb den Wunsch, Menschlichkeit wieder stärker in den Fokus zu rücken und auch den Dialog, denn "der geht uns verloren. Das miteinander sprechen und einander zuhören ist einfach unglaublich wichtig."
Rassel und Handy mit Schreckensmeldungen
Zeichnerin Persson hat zugehört. In acht Bildern hat sie festgehalten, was Saba-Nur Cheema ihr an jenem Tag im Juni auf die Frage "Wie geht es dir?" geantwortet hat. Da sind die nackten Babyfüße zu sehen und die kleine Rassel, daneben das Handy, auf dem unablässig Schreckensmeldungen, Social Media Postings und Medienanfragen einströmen.
Gleichzeitigkeit von Babyglück und Krise
Da ist das Paar Cheema/ Mendel auf Veranstaltungen und Lesereise zu sehen, das Baby in der Trage oder auf dem Schoß. "Diese Gleichzeitigkeit von Babyglück und großer Krise, hat mich sehr beeindruckt", sagt Persson, die selbst auch Mutter ist.
Als Saba-Nur Cheema den Comic über sie das erste Mal sah, war sie "fast schon ein bisschen emotional", gesteht sie. "Ich hatte das Gefühl, Amelie hat mich richtig gut verstanden."
Verständnis haben beginnt mit Zuhören
Verständnis haben – das beginnt damit, einander zuzuhören. In der Comic-Anthologie "Wie geht es dir?" machen Amelie Persson und ihre Kollegen genau das.
Durch ihre berührenden Kurzgeschichten geben sie ganz persönliche Einblicke in die Gefühlswelt von all jenen, für die der 7. Oktober 2023 das Leben ein Stück weit verändert hat. Eine Bereicherung – nicht nur für Betroffene.