Debatte um Videospiel Was an der Antisemitismus-Kritik an "Hogwarts Legacy" dran ist
Fans von Harry Potter haben das Computerspiel "Hogwarts Legacy" sehnlichst erwartet. Kurz nach der Veröffentlichung gibt es allerdings Diskussionen: Kritiker sehen antisemitische Stereotype bedient.
Für viele Harry-Potter-Fans ist mit dem Videospiel "Hogwarts Legacy" ein Kindheitstraum wahr geworden: Endlich können sie selbst das verwinkelte Schloss erkunden, über die Ländereien von Hogwarts fliegen und durch das an die Schule angrenzende Dorf Hogsmeade schlendern.
Schon zwei Wochen nach seiner Veröffentlichung wurde das sogenannte Open-World-Spiel mehr als zwölf Millionen Mal verkauft. Damit ist es für die Produktionsfirma Warner Bros Games nach eigenen Angaben die bisher erfolgreichste Spiele-Einführung.
Kritik an Autorin J. K. Rowling
Allerdings wurde im Internet schon im Vorhinein heftig diskutiert - über die Autorin J. K. Rowling, die in den vergangenen Jahren immer wieder mit Aussagen zu Transpersonen polarisiert hat, und die Frage, ob das Spiel - an dessen Entwicklung Rowling nicht beteiligt war - von ihrer Person getrennt werden kann.
Seitdem das Spiel vor rund drei Wochen auf dem Markt erschienen ist, erntet es auch unabhängig von der Schöpferin der magischen Welt Kritik: wegen möglicher antisemitischer Codes.
Vorwurf: Kobold-Darstellungen bedienen antisemitische Klischees
Konkret geht es dabei um die Kobolde, die in der Zaubererbank Gringotts arbeiten und deren Darstellung mit großen Nasen, langen Fingern und spitzen Nägeln bereits in den Harry-Potter-Verfilmungen als antisemitisch kritisiert wurde.
In "Hogwarts Legacy" ist nun einer der größten Antagonisten der Spielenden ein Kobold: Ranrok ist der Anführer eines geplanten Aufstands und will ein Kind entführen.
Damit zeige das Spiel Parallelen zur antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten, stellt Leonie Schöler fest. "Antisemitismus funktioniert häufig so, dass er sehr subtil daherkommt", sagt die Historikerin und Journalistin, die sich auf TikTok gegen Rassismus und Antisemitismus einsetzt und bereits mit der Bildungsstätte Anne Frank gearbeitet hat. "Manchmal erkennt man ihn gar nicht sofort, obwohl das, was dort reproduziert wird, schon seit Jahrhunderten existiert."
Historikerin: Spiel bedient antisemitische Narrative
Das Entführen eines Kindes etwa sei ein klassisches antisemitisches Narrativ, sagt Schöler mit Blick auf die Ritualmorde, die Jüdinnen und Juden im Laufe der Geschichte immer wieder haltlos unterstellt wurden.
Um in "Hogwarts Legacy" voranzukommen, müssen die Spielerinnen und Spieler außerdem ein Kobold-Artefakt sammeln, das wie ein klassisches jüdisches Instrument - ein Schofar - aussieht und den Kobolden der Storyline zufolge 1612 entwendet wurde.
Kobold-Aufstand im gleichen Jahr wie Frankfurter Judenpogrom
Schon in den Büchern von J. K. Rowling war die Rede von einem Koboldaufstand in diesem Jahr. 1612 fand auch in der Realität eine Revolte statt: In diesem Jahr begannen in Frankfurt judenfeindliche Unruhen, die zwei Jahre später im "Fettmilch-Aufstand" endeten.
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Ein Bürgerausschuss unter Federführung des Bäckers Vinzenz Fettmilch warf den jüdischen Bankiers damals vor, "Wucherzinsen" zu verlangen und forderte, die Anzahl der in Frankfurt lebenden Jüdinnen und Juden zu reduzieren.
Während der zwei Jahre andauernden Auseinandersetzung kam es immer wieder zu Angriffen gegenüber jüdischen Menschen. Schließlich wurden die "Judengasse", ein Ghetto am Stadtrand, geplündert und die Jüdinnen und Juden aus ihren Häusern vertrieben.
"Auch Fantasy kann Ideologie transportieren"
Alles nur Zufall? Und kann ein Fantasy-Spiel fernab der Realität überhaupt antisemitisch sein? Auf eine entsprechende hr-Anfrage reagierte Entwickler Warner Bros Games bislang nicht.
Der Frankfurter Autor und Publizist Ruben Gerczikow recherchiert seit vielen Jahren zu antisemitischen Strukturen - auch im Digitalen - und findet: Fantasy und Realität lassen sich nicht voneinander trennen.
"Fantasy wird von Menschen erschaffen und resultiert aus den Gedanken, die Menschen haben", sagt er. Wenn antisemitisches Gedankengut von real existierenden Menschen in Fantasy oder Fiktion umgemünzt werde, könne es diese Ideologie trotzdem transportieren und Menschen darin bestätigen, antisemitisch zu handeln.
Antisemitische Vorstellungen laut Studien weit verbreitet
Umfragen der letzten Jahre zeigten, dass mindestens ein Viertel der deutschen Bevölkerung antisemitische Stereotype verinnerlicht habe oder antisemitischen Stereotypen zustimme, sagt der jüdische Publizist.
Das bedeute nicht, dass diese Menschen ausdrücklich antisemitisch seien, stellt Gerczikow klar. "Aber es zeigt, inwieweit antisemitische Vorstellungen in Deutschland Anklang finden."
Verband der jüdischen Gemeinden: Anzeichen uneindeutig
In den Harry-Potter-Filmen würden die Kobolde allerdings nicht als das absolut Böse dargestellt, betont Gerczikow. Die Figuren seien nicht eindimensional.
Auch der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hessen (LVJGH) erkennt im Spiel "Hogwarts Legacy" keine ernsthaften antisemitischen Bezüge. Es sei mit entsprechendem Aufwand zwar möglich, historische Bezüge herzustellen.
Die Anzeichen seien aber "zu dünn und uneindeutig", um dem Spiel oder den Schöpfern einen Vorwurf machen zu können. Man sehe deswegen keinen Handlungsbedarf.
"Spielemacher müssen Verantwortung übernehmen"
Historikerin Leonie Schöler sieht in der Debatte um das Spiel dennoch Chancen: "Der erste wichtige Punkt ist, dass wir Menschen sensibilisieren, wie Antisemitismus sich zeigen kann, ob gewollt oder nicht gewollt."
Zudem müssten die Macherinnen und Macher von Spielen, Filmen und Serien mehr in die Verantwortung genommen werden und sich kritisch hinterfragen, welche Bilder sie - auch unbeabsichtigt - reproduzierten.
Bislang liege die Verantwortung dafür zu häufig bei den Konsumentinnen und Konsumenten - in diesem Fall den Spielerinnen und Spielern von "Hogwarts Legacy", kritisiert Schöler.
Debatte um antisemitische Bilder gefordert
Auch Ruben Gerczikow erhofft sich von der Debatte einen Mehrwert: "Wir müssen darüber reden, wie antisemitische Bilder reproduziert werden", sagt er. Mit dem Begriff Antisemitismus werde oft unbedacht umgegangen. "Vielleicht fördert die Debatte um Harry Potter auch, dass wir differenziert darüber sprechen können und nicht direkt von vornherein sagen: Das ist Antisemitismus."
Anm. d. Red.: In einer vorherigen Version des Beitrags vermittelten sowohl die Überschrift als auch der Teaser sowie einzelne Textpassagen ein unausgewogenes Bild der Antisemitismus-Debatte. Um eine differenzierte Sicht auf die Debatte zu liefern, haben wir den Text redaktionell geprüft und an den genannten Stellen entsprechend angepasst.
Sendung: hr2, 06.03.2023, 8.10 Uhr
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