Ausstellung in Frankfurt Fünf Gründe, die Chagall-Ausstellung in der Schirn zu besuchen
Marc Chagall gilt als einer der bedeutendsten Künstler der Moderne. Bekannt ist er vor allem für seine farbenfrohen Bilder und Kirchenfenster. Die Frankfurter Schirn zeigt eine ganz andere Seite von ihm - nur ein Grund, sich die Ausstellung anzusehen.
1. Die Ausstellung zeigt eine wenig bekannte Seite Chagalls
Knallig bunt, mit rasanten Zirkus-Szenen oder luftig-leichten Schmuse-Pärchen - solche Bilder kennt man von Marc Chagall. Die Schirn in Frankfurt zeigt jetzt einige seiner deutlich weniger farbenfrohen Werke. Die Ausstellung "Welt in Aufruhr" widmet sich seiner "dunklen Phase" der 1930er bis 1940er Jahre. Plötzlich verstecken sich im Hintergrund seiner Bilder drastische, gewaltvolle Darstellungen: Hakenkreuze blitzen auf, Menschen sind auf der Flucht.
Diese Details entdecke man oft erst auf den zweiten Blick, sagt Kuratorin Ilka Voermann. Sie rät deshalb, etwas Zeit für den Besuch mitzubringen. "Die Besucherinnen und Besucher werden bestimmt überrascht sein, weil sie solche politischen Aspekte von Chagall bisher nicht kennen", so Voermann.
Die Werke dieser Schaffensperiode zeigen zwar immer noch knallige Farben: mal ein aggressives Gelb, mal ein blutiges Rot. Die Farben stehen aber oft im Kontrast zu einer gedämpfteren Umgebung. Viele Themen, mit denen Chagall sich beschäftigt habe, seien in dieser Zeit immer dringlicher und drastischer geworden - weil er als jüdischer Maler nicht nur diskriminiert, sondern auch existenziell bedroht gewesen sei, sagt Kuratorin Voermann. Diese Gefühle vermischten sich in seinen Bildern.
2. Die Thematik ist aktueller denn je
Der Titel der Ausstellung "Welt in Aufruhr" spielt auf Chagalls bewegtes Leben an: Der französisch-russische Künstler jüdischen Glaubens erlebte zwei Weltkriege, erfuhr Vertreibung, Verfolgung, Antisemitismus und Rassismus. Er habe zwar fantastische Bildwelten geschaffen, sagt Kuratorin Voermann. "Aber trotzdem sind diese Bilder ganz stark in der Lebensrealität verhaftet."
Die Schau sei dadurch hochaktuell, meint Schirn-Direktor Sebastian Baden. Schließlich gebe es derzeit wieder Krieg in Europa, die Welt mache "insgesamt schwierige Phasen durch". Die 60 ausgestellten Werke zeigten, wie diese Themen von einem Künstler verarbeitet werden.
3. Die Werke gewähren intime Einblicke in Chagalls Leben
In den 1930er Jahren lebte Chagall in Frankreich. Den immer aggressiver werdenden Antisemitismus und die Bedrohung des nationalsozialistischen Regimes bekam er aber hautnah mit. Deshalb beschäftigte er sich in den frühen Dreißigerjahren auch stark mit seiner russischen Herkunft und seinen jüdischen Wurzeln. Er reiste nach Palästina, um herauszufinden, inwieweit sein Glaube ihn selbst und seine Umgebung prägte.
In der Ausstellung sind Bilder aus dieser Phase zu sehen und auch sie verblüffen: Fast schon dokumentarisch stellt Chagall die Klagemauer, Gebetsräume und Eindrücke von Jerusalem dar. Der typische Chagall-Stil ist hier kaum vorhanden.
Als Anfang der 1940er Jahre seine Frau, Muse und Agentin plötzlich starb, bedeutete das wieder einen Einschnitt in Chagalls Leben und in seine Kunst. Trauer, Verlust und Einsamkeit verarbeitete er in seinen Bildern, sagt Kuratorin Voermann. "Man sieht, wie stark diese Bilder nicht nur von äußeren Umständen beeinflusst sind, sondern auch von seinem ganz persönlichen Schicksal."
4. Die Schau blickt auf Chagalls gesamtes Schaffen
In seinem langen Leben - er wurde 97 Jahre alt - probierte Marc Chagall einiges aus. In der Schirn-Ausstellung werden zum Beispiel von ihm kreierte Theaterkostüme gezeigt, teilweise gefertigt aus selbst bemalten Stoffen.
Man kommt auch dem Menschen hinter den Werken nahe: Ein großer Bereich der Ausstellung zeigt Fotos vom Künstler bei der Arbeit oder mit Menschen, die ihm wichtig waren, und zeichnet seine Lebensstationen von Russland über Frankreich bis in die USA nach.
5. Leihgaben aus aller Welt
Über vier Jahre hat es gedauert, bis diese besondere Chagall-Ausstellung fertig war. Die Leihgaben kommen aus Zürich, Basel, Paris, Amsterdam, Stockholm, New York, London, Nizza und Tel Aviv.
Besonders stolz ist Schirn-Direktor Sebastian Baden darauf, mit der Schau an eine Ausstellung aus dem Jahr 2007 anzuknüpfen: Damals hatte die Schirn das Frühwerk des Künstlers ausgestellt. Für Kuratorin Ilka Voermann ist die jetzt präsentierte "dunkle Phase" sogar noch interessanter. Das gelte vor allem für diejenigen, die auch mal eine andere Seite von Chagall sehen und sich überraschen lassen wollten.
Trotzdem würden auch Chagall-Fans auf ihre Kosten kommen, sagt sie. Auch in dieser Ausstellung seien die für ihn typischen Elemente zu finden. "Also keine Sorge, Chagall ist immer noch Chagall, auch in dieser Ausstellung", so Voermann.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 03.11.2022, 16.45 Uhr
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