Deutsch-ukrainische Künstlerin über Friedenspolitik "Ich fühlte mich in der Rolle einer Militär-Geilen"
Die deutsch-ukrainische Künstlerin Marta Vovk unterstützt Militär-Lieferungen an die Ukraine. Von ihrem Umfeld fühlt sie sich damit allein gelassen. Mit ihrer Kunst rechnet sie mit der deutschen Friedenspolitik ab. Ihr Hilfsmittel ist die Ironie.
In einem kahlen Raum, der die Größe eines Kiosks hat, kniet die junge Künstlerin Marta Vovk über mehreren Holzlatten. Sie zieht aus einer Folie ein dickes Leinentuch heraus, das sie auf den Latten fest tackert. "Das ist die Größte von den drei Malereien, die es zu sehen geben wird", freut sich die Künstlerin.
Die 2,20 mal 1,80 Meter große Malerei füllt die größte Wand des Ausstellungsraums. Es ist eine mit Acrylfarbe und Bootslack gefertigte Collage und ein zentrales Werk ihrer aktuellen Ausstellung, der Blickfang. Zu sehen ist eine Manga-Figur mit einem Schwert zwischen aufgespreizten Beinen.
Frust über deutsche Politik
Präsentiert wird es im Neuen Kunstverein Gießen. Das Werk steht metaphorisch für die Rolle, in der sich die Künstlerin seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine wiederfindet: "Ich wünsche mir eine militärische Unterstützung für die Ukraine", äußert Marta Vovk unmissverständlich.
Sie selbst hat ukrainische Wurzeln. Mit sieben Jahren ist sie aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Sie sei in beiden Ländern aufgewachsen und sozialisiert worden, sagt sie. Ihre Werke zeigen ihren Frust und Ärger über die deutsche Politik, außerdem zentrale Akteure der vergangenen anderthalb Jahre. Diese kommen nicht gut weg. "Es ist schon ein bisschen eine Abrechnung", betont die 33 Jahre alte Künstlerin aus Berlin.
Mit Spice-Girls-Songtext Waffen fordern
Ihre Direktheit und Dynamik finden sich auch im Titel ihrer Ausstellung wieder, provokant und deutlich: "If you wanna be my lover, you gotta send heavy weapons to Ukraine". Übersetzt heißt es: "Wenn du mein Liebhaber sein willst, musst du schwere Waffen in die Ukraine schicken." Angelehnt ist der Titel an einen Song der Girlband "Spicegirls". Es geht um ein Zusammenspiel von Ironie und Ernsthaftigkeit.
Genau das zieht sich auch durch ihre Werke, wie zum Beispiel in der Kämpferin mit aufgespreizten Beinen. Zu ihr hat Marta Vovk eine besondere Beziehung. "Gerade zu Beginn des Angriffskrieges hatte ich auch in meiner Peer Group, die tendenziell links und aufgeklärt ist, ein bisschen das Problem, dass ich mich in Opposition fühlte", erinnert sie sich. "Und zwar in der Rolle der Militär-Geilen, Waffen-Fordernden. Ich habe mich mit meiner Ansicht ein bisschen allein gefühlt."
Die Kämpferin gestaltete sie bewusst in der Manga-Optik und wandte Elemente aus der Pop- und Trivialkultur an. Denn in Mangas fänden sich in den Darstellungen Brutalität und Übersexualisierung ebenfalls wieder, sagt sie.
Eine Abrechnung mit deutscher Friedenspolitik
Modern angehaucht, aber eigentlich im zeitgenössischen Stil gehalten, sind dagegen die sogenannten "Friedensteller". Hier kommen unter anderem Frauenrechtlerin Alice Schwarzer und Politikerin Sahra Wagenknecht von der Linken nicht besonders gut weg.
Die beiden Frauen sind in den letzten anderthalb Jahren mehrfach öffentlich aufgetreten und haben sich deutlich gegen eine Waffenlieferung aus Deutschland in die Ukraine ausgesprochen. Sie befürworten einen Frieden zwischen Russland und der Ukraine auf diplomatischem Weg und haben damit auch in Teilen der Gesellschaft Anklang gefunden.
Für die 33 Jahre alte Marta Vovk ist das eine heuchlerische Friedenspolitik. "Das fand ich so abstrus und derartig realitätsfern, denn die Position 'Ja zum Frieden' haben wir alle. Da haben wir einen Konsens. Aber die Frage ist ja, wie dieser Frieden erreicht werden soll", ärgert sich die Künstlerin. "Da müssen natürlich auch die Akteure mitspielen. Und das ist nun mal einfach nicht gegeben."
"Diese Friedensbewegung ist verstaubt und konservativ"
Marta Vovk empfindet die Haltung der Friedensbewegung als selbstgerecht und bezeichnet es als "stoisches Verharren". "Auf diesem Schaulauf der Peinlichkeiten, den sich gewisse deutsche Prominenzen geliefert haben, waren die beiden für mich sehr weit oben", betont die Künstlerin. Für sie habe die Friedensbewegung von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht die Wurzeln in der 68er-Bewegung und das sei heute verstaubt und konservativ.
Genau deshalb sind die Gesichter der beiden Frauen auf Vovks "Friedenstellern" umrandet von der klassischen, eher konservativen Schützenfest-Optik. Aus Sicht der Künstlerin genau passend.
Der Krieg wird sichtbar
Der Krieg ist das zentrale Thema der kleinen Ausstellung und hatte tatsächlich auch auf den Ausstellungszeitpunkt Einfluss. Ursprünglich sollte Marta Kvovk schon im vergangenen Jahr, Ende November, im Neuen Kunstverein Gießen ausstellen. Da ihre Familie zu dem Zeitpunkt allerdings aus dem Osten der Ukraine nach Deutschland floh, wurde die Ausstellung verschoben. Der kleine Raum stand leer.
Für Dirk Zschocke, den Vorstandsvorsitzenden des Neuen Kunstvereins Gießen, war damals klar, was zu machen ist. "Mir war es wichtig, sichtbar zu machen, was hier passiert. Dass das, was in der Gesellschaft, was in der Welt passiert, auch tatsächlich in unserem Kunstverein angekommen ist." Statt Vovks Ausstellung füllte damals ein Kommentar als Installation den Raum, und Performances zum Thema fanden statt.
Kunstverein: "Wir müssen Stellung nehmen"
Heute betont Zschocke, Vovks Kunst sei besonders, wie der Titel der Ausstellung schon zeige. "Da haben wir erst diese Einladung von diesem Spicegirls Song-Text - if you wanna be my lover - bei dem man in Partylaune gerät", sagt er. "Damit ist die Tür schon offen und wir stehen schon in dem Raum und dann werden wir plötzlich mit dem zweiten Teil des Satzes - you have to send heavy weapons to Ukraine - gefordert, Stellung zu nehmen und können nicht mehr ausweichen.”
"Wenn wir bei der Party-Metapher bleiben, dann kommt ganz schnell der Kater bei meinen Werken", ergänzt Marta Vovk grinsend. Die Verbindung von existenziellen Fragen, Leichtigkeit und Irritation: Genau das ist das Ziel der Künstlerin mit ihren Werken.
Sendung: hr2, 04.08.2023, 16.42 Uhr
Ende der weiteren Informationen