Doch kein Sensationsfund? Debatte um Frankfurter Silberinschrift

Ein archäologischer Sensationsfund sorgt seit Dezember für Aufsehen in Frankfurt: das Silberamulett. Nun bahnt sich eine Debatte unter Forschern an: War der Amulett-Träger vielleicht kein Christ? Und die Silberinschrift gar kein Beweis für ein frühes Christentum in Hessen?

Screenshot Silberfund Frankfurt
Die Silberrolle mit Silberinschrift von Frankfurt (Screenshot) Bild © Stadt Frankfurt (Screenshot Youtube)

Eine nur 3,5 Zentimeter große Kapsel steht in Frankfurt seit Wochen im Rampenlicht. Im Dezember präsentierten Stadtpolitiker und Archäologen die schon 2018 in einem Gräberfeld im Frankfurter Stadtteil Praunheim entdeckte Kapsel als Sensationsfund. Die Inschrift auf der Silberfolie im Amulett am Hals eines männlichen Skeletts sei das erste Zeugnis von Christentum nördlich der Alpen. Das revolutioniere die Geschichtsschreibung.

Und Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) konnte es sich nicht verkneifen, noch einen Schritt weiter zu gehen: "Vielleicht war der erste Christ nördlich der Alpen ein Frankfurter", sagte er damals.  

Doch jetzt kommt aus Berlin Kritik an den Interpretationen rund um die Frankfurter Silberinschrift. In einem Artikel in der FAZ (Pluslink) veröffentlichten der Spezialist für ältere Kirchengeschichte und Präsident der Berliner Akademie der Wissenschaften, Christoph Markschies, und der emeritierte Judaistik-Professor Peter Schäfer ihre Zweifel an der Deutung aus Frankfurt.

Amulett mit Heilkraft, aber ohne religiöse Bedeutung? 

"Wir wissen nicht, ob der Mann von Nida selber ein Christ war", sagte Markschies im Gespräch mit dem hr. Das Tragen von Amuletten und Talismanen sei im 3. Jahrhundert nach Christus weitverbreitet gewesen. Es sei also gut möglich, dass ein Verkäufer ihm das Amulett zum Beispiel als angebliches Heilmittel gegen Klumpfuß oder Kopfschmerzen verkauft habe.

"Das heißt, wir wissen zunächst mal nichts über die Frömmigkeit, die Religion des Trägers eines Amuletts", betont der Wissenschaftler. 

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Frankfurter Forscher: Inschrift ist eindeutig christlich

Auf diese Kritik reagiert Markus Scholz gelassen. Der Archäologe und Professor an der Uni Frankfurt hat die Silberinschrift gemeinsam mit Kollegen entschlüsselt. Seiner Meinung nach ist es zunächst einmal nicht wichtig, ob der Amulett-Träger ein Christ war oder nicht: "Es geht vielmehr darum, zu welcher Zeit ist dieses Stück entstanden? Und wo ist es gefunden worden?"

Und der Fundort sei eindeutig, nämlich innerhalb der antiken Römerstadt Nida im heutigen Stadtgebiet von Frankfurt. Es sei also nördlich der Alpen gefunden worden. Auch sei die Inschrift eindeutig christlich, immerhin werde der Name Jesus Christus mehrmals erwähnt. Er bleibe also bei der Deutung, dass es sich um das erste christliche Zeugnis nördlich der Alpen handle.

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Die Silberinschrift von Frankfurt. Bild © Stadt Frankfurt (Screenshot)

Hat ein Händler das Amulett mitgebracht?

Doch auch der Fundort ist für Christoph Markschies kein Beleg für ein frühes Christentum in der Rhein-Main-Region. Immerhin könnte ein Händler das Amulett aus Italien oder Dalmatien hergebracht haben.

Außerdem sei ein Amulett an sich noch kein Glaubensbekenntnis, denn es sei in der damaligen Zeit üblich gewesen, berühmte Namen zu verwenden, denen magische oder göttliche Kräfte nachgesagt wurden. Das hätte der Name Jahwe oder ebensogut Osiris sein können - oder eben Jesus Christus.

"Keinerlei Hinweise auf heidnische Dämonen"

Auch dieser Argumentation widerspricht der Frankfurter Wissenschaftler Scholz nicht, zumindest nicht vollständig. Aber gerade wegen möglicher Zauber- oder Heilkräfte seien Amulett-Texte meist mit möglichst vielen "mächtigen" Namen aus verschiedenen Kulturen gespickt gewesen.

Das sei bei der Frankfurter Silberinschrift eben nicht der Fall, betont Scholt: "Es ist nichts darin zu finden, das nicht christlich ist, es gibt keinerlei Hinweise auf irgendwelche heidnischen Dämonen, nichts!" 

Christliche Versammlungsstätten erst später

Er könne der Kritik aber nicht in allen Bereichen folgen, betont Scholz. Wenn andere Wissenschaftler etwa nur weitere Beweise akzeptierten, wie Spuren einer christlichen Versammlungsstätte oder einer frühen Kirchengemeinde mit eindeutig christlichen Symbolen.

Mit solchen Spuren sei bei den Nida-Ausgrabungen nicht zu rechnen, sagt er, denn nördlich der Alpen seien Mauern in der Regel nicht mehr erhalten. "Mauern wurden in aller Regel bis unten hin ausgebrochen, sodass wir quasi nur noch die Negative vor uns haben", erklärt er. Außerdem seien klare Versammlungsstätten oder Kirchenbauten erst aus der Zeit nach 313 bekannt. Damals bekamen die bis dahin verfolgten Christen von Kaiser Konstantin die Erlaubnis, ihre Religion auszuleben.

Untersuchungen des Amulett-Trägers laufen

Er wundere sich zudem über den Zeitpunkt der Kritik, sagt Scholz im hr-Gespräch. Denn die Untersuchungen seien noch längst nicht abgeschlossen. Im Moment würden zum Beispiel die Knochen des Amulett-Trägers untersucht, um herauszufinden, ob er wirklich ein Einheimischer war.

Auch das Amulett selbst werde noch intensiv erforscht: Das Silber-Blei-Gemisch etwa könnte seine Herkunft verraten. Auch kleineste Rückstände in der Silberhülse, wie zum Beispiel Pollen, könnten darauf hinweisen, woher das Amulett kommt. Dann erst werden die Forschungsergebnisse zur Frankfurter Silberinschrift veröffentlicht, sagt Scholz, voraussichtlich Ende April. 

"Kritik muss man aushalten" 

Natürlich müssten in der Wissenschaft alle Ergebnisse immer wieder hinterfragt werden, betont der Frankfurter Professor. Das sei wichtig und richtig. Doch das sich anbahnende Gerangel um Deutungshoheit seitens der Theologie, das komme ihm zum jetzigen Zeitpunkt inszeniert vor.

Kritik könne er aber aushalten, sagt er: "Denn in der Frankfurter Silberinschrift stehen Dinge, die in dieser Form nicht zu erwarten waren und die den bisherigen Forschungsstand und bisherige Forschungsmeinungen durchaus ein Stück weit hinterfragen oder erschüttern können."

Redaktion: Sonja Fouraté

Sendung: hr INFO,

Quelle: hessenschau.de