Verbotene Bücher und ein Loch in der Kasse Das war die documenta 14
Nach 100 Tagen ist die documenta 14 in Kassel zu Ende gegangen. Überschattet wird sie von einem Millionendefizit, aber auch von Kritik am künstlerischen Konzept.
Das Fazit, das Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) am Sonntag (17.09.2017) von der documenta 14 zog, liest sich zunächst durchweg positiv. "100 Tage hat die kunstinteressierte Welt auf die nordhessische Metropole geblickt, und Gäste aus vielen Ländern haben die documenta-Stadt besucht", sagte er laut einer Mitteilung. Von "unvergleichlichem Flair" ist da die Rede, von einer "heiteren und internationalen Atmosphäre".
Oberbürgermeister: "documenta ist an ihre Grenzen gekommen"
Doch auch Geselle räumte ein, dass sich am Konzept der weltweit bedeutendsten Schau zeitgenössischer Kunst etwas ändern muss. "Die vor sechs Jahrzehnten von Arnold Bode ins Leben gerufene Ausstellung ist sowohl finanziell als auch in ihrer Organisations-Struktur an Grenzen gekommen."
Unterm Strich schlägt den Verantwortlichen nämlich ein Defizit von sieben Millionen Euro auf den Magen. Der Betrieb konnte nur deshalb bis zum Ende der Schau aufrecht erhalten werden, weil die beiden Gesellschafter der documenta GmbH, die Stadt Kassel und das Land Hessen, mit einer Bürgschaft von jeweils 3,5 Millionen Euro in die Bresche sprangen.
documenta erstmals in zwei Städten
Woher das Loch in der Kasse genau kommt, sollen externe Wirtschaftsprüfer klären. Festzustehen scheint aber, dass zu dem Minus vor allem der Umstand beigetragen hat, dass die documenta in diesem Jahr nicht nur in Kassel stattfand. Vom 8. April bis zum 16. Juli war ein Teil der Schau auch im griechischen Athen zu sehen. Dort sollen hohe Kosten für Sicherheit und Strom den Etat belastet haben.
Athen war eine Idee des künstlerischen Leiters Adam Szymczyk. In dessen Richtung schoss Geselle am Sonntag spitze Pfeile ab. "Die Freiheit des künstlerischen Leiters ist ein wertvolles Gut, das ich auch weiter hochhalten werde", sagte er. "Aber diese Freiheit hat ihren Rahmen dort, wo sie die documenta selbst in Gefahr bringt."
Ausstellungsleiter weist Schuld von sich
Dass er an dem Finanzdebakel schuld sein soll, will Szymczyk aber nicht auf sich sitzen lassen. Stattdessen sieht er die Verantwortung bei der Politik. Diese präsentiere sich als Retter in einer Krise, deren Entwicklung sie selbst zugelassen habe, hatte er schon vor einigen Tagen erklärt. Seine Pläne mit all ihren Herausforderungen habe er im Vorfeld "deutlich kommuniziert".
Auch die Besucherzahlen vom letzten Mal wurden nicht ganz erreicht. Rund 850.000 Kunstinteressierte wollten bis Donnerstag die Werke von rund 160 Künstlern an den 30 Kasseler Standorten der documenta 14 sehen. Endgültige Zahlen liegen noch nicht vor. Zur documenta 13 vor fünf Jahren war die Rekordbesucherzahl von 905.000 gekommen.
Lahmende Kapitalismuskritik
Die documenta 14 sollte nach dem Willen Szymczyks vor allem eines sein: politisch. "Wir müssen uns dem Neoliberalismus entgegen stellen", hatte der aus Polen stammende Kurator, der am Freitag seinen 47. Geburtstag feierte, auf der Eröffnungs-Pressekonferenz gerufen.
Doch viele Kritiker bewerteten die Schau als zu einseitig, die Werke selbst als zu unverbindlich. Flucht und Vertreibung waren das zentrale Thema. Schuld an dem Elend soll der reiche Westen sein. Die Kapitalismuskritik empfanden manche allerdings als bigott, angesichts der Sponsoren aus Wirtschaft und Politik.
Da half auch Szymczyks Kunstgriff nichts, die documenta zeitgleich im krisengeschüttelten Griechenland stattfinden zu lassen. "Von Athen lernen" lautete das Motto. Was dann aber dort zu sehen war, erwies sich als eher brav und konventionell.
"Parthenon der Bücher" zieht Massen an
Herausragend im positiven Sinne war der "Parthenon der Bücher" der argentinischen Künstlerin Martha Minujin. Sie hatte in Kassel ein Gerüst aufgestellt, das maßstabsgetreu die Akropolis in Athen darstellte, und dieses mit Büchern füllen lassen, die irgendwo auf der Welt einmal verboten waren oder es noch sind.
Das Werk war das mit Abstand populärste der Ausstellung und zog ganze Besucherscharen zum Friedrichsplatz. Insgesamt rund 67.000 Bücher kamen im Laufe der documenta zusammen. Sie wurden in der letzten Ausstellungswoche kostenlos an Besucher verteilt.
Debakel um Auschwitz-Performance
Für Negativ-Schlagzeilen sorgte eine geplante Performance des Italieners Franco Berardi. Unter dem Titel "Auschwitz on the beach" sollte sie die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union anprangern. Nach heftiger Kritik an Berardis Umgang mit dem Begriff "Auschwitz" wurde sie abgesagt. Berardi zerriss öffentlich das Gedicht, das er hatte vorlesen wollen. Stattdessen gab es eine Diskussionsrunde mit 150 Gästen.
Wie es mit der documenta weitergeht, will der Aufsichtsrat demnächst beraten. Dann sollen die Untersuchungsergebnisse der Wirtschaftsprüfer vorliegen. Für Geselle ist klar: Die documenta muss langfristig eine "veränderte Basis" erhalten. Nur so lasse sich der Weltrang der Ausstellung erhalten.