"Stolpern wir noch?" Gießener Studierende drehen Dokumentarfilm über Stolpersteine
Stolpersteine erinnern an die Schicksale von NS-Opfern. Ein Dokumentarfilm von Gießener Studierende zeigt: So etabliert die Steine heute in vielen Städten sind – anfangs war das Projekt hoch umstritten.
Das Grauen verbirgt sich hinter vier kleinen Messingplatten. Wo sich heute rund um die Gießener Walltorstraße Schnellimbisse und Mehrfamilienhäuser aneinanderreihen, erinnern vier Quadrate im Gehweg vor Hausnummer 32 an Menschen, die hier früher einmal gelebt haben.
Es ist das ehemalige Wohnhaus der jüdischen Familie Wohlgeruch. Uhrmacher Josef Wohlgeruch und seine Frau Paula lebten darin bis zum Jahr 1938, gemeinsam mit den Töchtern Sonja und Henny.
Bei einem Fluchtversuch wurde die Familie jedoch auseinandergerissen. Während Josef und Henny die Flucht nach England gelang, wurden Paula und die erst siebenjährige Sonja nach Polen deportiert. Im Warschauer Ghetto verliert sich ihre Spur. Man geht davon aus, dass sie dort ermordet wurden.
Studierende drehen Dokumentarfilm
Stolpersteine gehören in vielen Städten und Straßen inzwischen fest zum Stadtbild. Fast jeden Tag kommt irgendwo ein neuer dazu. Mit mehr als 100.000 verlegten Steinen bilden sie mittlerweile das größte dezentrale Kunstprojekt der Welt.
Drei Gießener Fachjournalistik-Studierende haben sich in einem Dokumentarfilm nun intensiv mit den Stolpersteinen auseinandergesetzt. Der Film beleuchtet die Geschichte des Projekts und zeigt, dass es anfangs durchaus umstritten war.
Stolpersteine sind kleine, im Boden eingelassene Gedenktafeln aus Messing, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Sie sollen Passanten auffordern, innezuhalten und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.
Die Steine markieren den letzten frei gewählten Wohnort von Menschen, die verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. Jeder Stolperstein trägt Name, Geburtsdatum und Schicksal der betroffenen Person.
Das Projekt wurde 1992 vom Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen und ist mittlerweile in mehr als 1.800 Städten und Gemeinden weltweit verbreitet.
Was sind Stolpersteine?
Stolpersteine sind kleine, im Boden eingelassene Gedenktafeln aus Messing, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Sie sollen Passanten auffordern, innezuhalten und sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.
Die Steine markieren den letzten frei gewählten Wohnort von Menschen, die verfolgt, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden. Jeder Stolperstein trägt Name, Geburtsdatum und Schicksal der betroffenen Person.
Das Projekt wurde 1992 vom Künstler Gunter Demnig ins Leben gerufen und ist mittlerweile in mehr als 1.800 Städten und Gemeinden weltweit verbreitet.
Als "Kinder der 90er" seien sie mit den Stolpersteinen aufgewachsen, erklären die Filmemacher David Hopper, Sarah Carneim und Luise Lenth.
Mit dem Film hätten sie herausfinden wollen: Welche Wirkung haben die Steine heute noch? Führen sie noch dazu, dass die Leute stehen bleiben? Oder wie es im Titel des gut 30-minütigen Dokumentarfilms heißt: Stolpern wir noch?
Ein Denkmal im Alltag
Für Annika Wagner, eine der Hauptpersonen im Film, sind die Steine ein tägliches Mahnmal. Die Lehrerin engagiert sich ehrenamtlich in der Initiative. Stolpersteine seien für sie eine Möglichkeit, im Alltag den Schicksalen der Opfer nahezukommen, sagt sie.
Man könne sie anfassen, davor stehen bleiben, sich auch hinknien. Wagner betont, dass die Gedenksteine besonders Kinder und Jugendliche erreichen können, da sie im Alltag darauf stoßen.
Als Teil der Initiative setzt sich die Lehrerin für Erhalt und Verbreitung der Steine ein. Sie recherchiert Geschichten von NS-Opfern, organisiert neue Steinsetzungen und putzt auch regelmäßig die Messingplatten sauber.
Ein Film, viele Perspektiven
Für ihren Dokumentarfilm haben die Studierenden auch mit Historikern, Nachfahren der Opfer und mit dem Künstler Gunter Demnig selbst gesprochen.
Der Initiator lebt mittlerweile gar nicht weit weg von Gießen im mittelhessischen Alsfeld-Elbenrod (Vogelsberg). Die ersten Stolpersteine setzte er vor mehr als 30 Jahren noch illegal. Der Film zeigt: So etabliert die Steine heute vielerorts sein mögen – anfangs waren sie hoch umstritten.
Noch in den 1990ern gab es durchaus Widerstände gegen eine ausführliche Aufarbeitung der NS-Verbrechen. Andere Stimmen störten sich daran, dass die Steine im Boden eingelassen werden und damit gar nicht physisch zum Stolpern führen.
Charlotte Knobloch, Holocaust-Überlebende und ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, übte 2010 in einem Fernsehinterview scharfe Kritik an der Form des Gedenkens mit Steinen im Boden. Die Opfer würde dadurch "erneut mit Füßen getreten".
Stolpern mit Herz und Verstand
Die Studentin und Filmemacherin Luise Lenth sagt: Der Film soll bewusst kein Urteil vorgeben, sondern möglichst viele Perspektiven auf das Stolperstein-Projekt abbilden und zum Nachdenken anregen. "Auch wir wussten vorher gar nicht, wie viel dahintersteckt."
Am Ende bleibt eine zentrale Frage: Stolpern wir denn heute noch? Die Studierenden wollen es den Zuschauerinnen und Zuschauern überlassen, darauf Antworten zu finden.
Für Annika Wagner ist die Antwort klar. Man stolpere vielleicht nicht physisch, aber mit dem Herzen und dem Verstand, sagt sie – und genau das sei das Ziel der Stolpersteine.
Nicht zu übersehen
Als vor knapp zwei Jahren die Stolpersteine von Familie Wohlgeruch in der Walltorstraße verlegt wurden, waren übrigens auch zwei Nachfahren von Henny Wohlgeruch anwesend. Sie leben heute im schottischen Edinburgh und in Jerusalem.
Wie die Gießener Allgemeine damals berichtete, fanden die Steine bei ihnen durchaus Zuspruch. In einem Museum könne nur eine Minderheit vom Schicksal der Juden erfahren, habe einer von ihnen gesagt. Auf dem Gehweg könne man sie nicht übersehen.