Ehemals inhaftierte Journalistin "Sie sagten, sie können uns verschwinden lassen"
Weltweit sitzen hunderte Journalisten im Gefängnis. Zum "Tag der inhaftierten und verfolgten Autoren" spricht die Darmstädterin Marlene Förster über ihre Zeit im Gefängnis des irakischen Geheimdiensts und die Folgen für ihre Arbeit.
52 Journalistinnen, Journalisten und Medienmitarbeitende wurden weltweit in diesem Jahr bereits getötet, 537 sitzen nach Angaben von Reporter ohne Grenzen aktuell im Gefängnis. Zum "Tag der inhaftierten und verfolgten Autoren" erinnert die internationale Schriftstellervereinigung PEN seit 1980 jährlich am 15. November an verfolgte Autoren und Journalisten und die damit einhergehende Bedrohung der Pressefreiheit. "Demokratische Länder sind dringend gefordert, ihre eigenen Werte auch anderswo zu verteidigen", sagte Cornelia Zetzsche, Vizepräsidentin des deutschen PEN-Zentrums, am Dienstag.
Marlene Förster aus Darmstadt ist eine der Journalistinnen, die in diesem Jahr bei der Ausübung ihrer Arbeit verhaftet wurden. Am 20. April wurde sie zusammen mit ihrem slowenischen Kollegen Matej Kavčič im Nordirak festgenommen. Dort hatte sie zur Situation der kurdischen Minderheit in der Region Shingal nach dem Völkermord durch den Islamischen Staat recherchiert. Der Vorwurf lautete wie so oft auf Spionage und Terrorverdacht. Mit dem hr spricht Förster ein halbes Jahr nach ihrer Freilassung über ihre Zeit im Gefängnis des irakischen Geheimdienstes, Folter-Drohungen und die Auswirkungen auf ihre Arbeit.
hessenschau.de: Vor einem halben Jahr sind Sie aus dem Gefängnis im Irak freigekommen. Wie geht es Ihnen heute?
Marlene Förster: Soweit ganz gut, aber die Auswirkungen sind immer noch spürbar, jetzt sogar mehr als am Anfang. Die Erinnerungen kommen immer wieder hoch. Damit muss ich erst noch einen Umgang finden. Die Angst und die Unsicherheit haben ihre Spuren hinterlassen, psychisch und physisch. Ich habe zum Beispiel stark abgenommen.
hessenschau.de: Genau einen Monat waren Sie in Haft, große Teile davon sogar im Gefängnis des irakischen Geheimdienstes in Bagdad. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Förster: Das Schlimmste war die ständige Ungewissheit, nicht zu wissen, wo man ist und wie lange man dort sein wird. Der Umgang mit Matej und mir war sehr rabiat. Die ersten Tage hatten wir noch Kontakt, dann wurden wir getrennt, damit wir nicht mehr miteinander reden können.
hessenschau.de: Was muss ich mir unter "rabiatem" Umgang vorstellen?
Förster: Mir wurde immer wieder Gewalt angedroht, der psychische Druck war hoch. Gerade mir als Frau wurde auch immer wieder mit patriarchalischer sexualisierter Gewalt gedroht. Sie haben mir auch immer wieder gesagt, dass sie uns einfach verschwinden lassen könnten, es wüsste ja niemand, wo wir sind.
hessenschau.de: Wurden Sie auch gefoltert?
Förster: Nein, das ist nicht passiert, aber die Angst war da. Ich habe gesehen, wie irakische Inhaftierte geschlagen und gefoltert wurden. Mich hat vielleicht mein deutscher Pass geschützt.
hessenschau.de: Hatten Sie eine Strategie zum Durchhalten?
Förster: Das war nicht immer leicht, zwischenzeitlich hat es sich angefühlt, als würde es nie aufhören. Mit dieser Angst und Ungewissheit haben die natürlich gespielt. Ich habe mir aber immer wieder vor Augen geführt, dass unsere Arbeit es wert ist und dass die Menschen, über die wir berichten, teilweise noch größeres Leid erdulden müssen, um für ein freies und friedliches Leben zu kämpfen. Zu wissen, dass wir vor der Verhaftung noch Teile der Arbeit veröffentlichen konnten, hat mir geholfen.
hessenschau.de: War Ihnen von Anfang an bewusst, welches Risiko Sie eingegangen sind?
Förster: Ja, das war es. Ich habe mich im Vorfeld lange mit dem Irak und der Region Shingal beschäftigt. Ich weiß auch, dass kritische Berichterstattung in Ländern wie dem Irak oder der Türkei nicht erwünscht ist.
hessenschau.de: Warum sind Sie dennoch in den Irak gereist?
Förster: Weil mir das Schicksal der jesidischen Minderheit im Irak am Herzen liegt. Mein Eindruck war, dass die Berichterstattung hier und in anderen westlichen Ländern sehr oberflächlich ist. Ich wollte zeigen, wie es wirklich ist, und dafür muss ich natürlich vor Ort sein und mit den Menschen sprechen.
hessenschau.de: Worum ging es in Ihrer Arbeit?
Förster: Matej und mir ging es darum aufzuzeigen, unter welchen Umständen die jesidische Minderheit über acht Jahre nach dem Genozid durch den Islamischen Staat lebt. Wir wollten vor allem mit den Frauen in der Region sprechen und sie zu Wort kommen lassen. Seit die Kurden im Nordirak sich selbst überlassen wurden und nun selbstorganisiert leben, hat sich die Rolle der Frau dort stark verändert. Es geht um Gleichberechtigung und wie sich Frauen organisieren. Auch die Drohnenangriffe der Türkei, die seit fünf Jahren gezielt auf jesidische Menschen geflogen werden, waren unser Thema.
hessenschau.de: Wie lange wollten Sie sich im Irak aufhalten?
Förster: Wir wollten mindestens ein halbes Jahr dort bleiben, vielleicht auch länger. Dafür haben wir auch die kurdische Sprache gelernt.
hessenschau.de: Am 20. April nahm Ihre Arbeit im Irak ein jähes Ende. Sie und Ihr Kollege wurden festgenommen. Was war da passiert?
Förster: Wir wurden am Abend des jesidischen Neujahrsfestes in Begleitung einer kurdischen Familie an einem Checkpoint von irakischen Sicherheitskräften angehalten. Als dann klar war, dass wir Journalist*innen sind, haben sie uns mitgenommen. Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits vermehrt Auseinandersetzung zwischen dem irakischen Militär und den Selbstverwaltungskräften der Kurden. Die Situation war auch durch die Drohnenangriffe der Türkei aufgeladen.
hessenschau.de: Was hat man Ihnen als Grund für die Festnahme genannt?
Förster: Zuerst ging es um Unstimmigkeiten bezüglich unseres Visums. Die gab es auch tatsächlich. Nach ein paar Tagen war dann plötzlich von Spionage- und Terrorvorwürfen die Rede. Das wird Journalist*innen, die in den Ländern Informationen sammeln und über die Lage berichten wollen, ja oft vorgeworfen.
hessenschau.de: Ihre Mutter ist zusammen mit Freundinnen und Freunden in Deutschland an die Öffentlichkeit gegangen und hat für Ihre Freilassung gekämpft. Haben Sie davon etwas mitbekommen?
Förster: Die ersten drei Wochen hatte ich gar keinen Kontakt nach draußen. Der Kontakt zu meiner Familie und der deutschen Botschaft kam erst zustande, nachdem ich in den Hungerstreik getreten war.
hessenschau.de: Hat der Gang in die Öffentlichkeit geholfen, Sie freizubekommen?
Förster: Der Schritt in die Öffentlichkeit war in zweierlei Hinsicht wichtig. Einerseits hat er den Druck auf die irakischen und deutschen Behörden erhöht. Er hat aber auch dafür gesorgt, dass unser Anliegen Aufmerksamkeit bekommt.
hessenschau.de: Sollten Sie wieder in den Irak reisen, werden Sie höchstwahrscheinlich direkt wieder festgenommen. Sie können damit faktisch nicht mehr von vor Ort berichten. Hat die irakische Staatsmacht damit doch Ihr Ziel erreicht?
Förster: Zumindest teilweise. Es gibt sehr wenige Menschen, die das Risiko auf sich nehmen und in die Region fahren, um von dort zu berichten. Jetzt sind es noch einmal zwei weniger. Deswegen ist es umso wichtiger, dass die Leute vor Ort ihre Arbeit fortsetzen und dabei auch unterstützt werden.
hessenschau.de: Wie wirkt sich die Situation auf Ihre Arbeit aus?
Förster: Doch sehr. Ich kann ja nicht mehr vor Ort sein. Ich versuche jetzt, meine Kontakte im Irak zu nutzen und die Journalist*innen dort so gut es geht von hier aus zu unterstützen und Aufmerksamkeit auf die Situation der Kurden zu lenken. Die Kolleg*innen können mir zum Beispiel Material schicken, das ich dann versuche zu veröffentlichen.
hessenschau.de: Wie beurteilen Sie im Nachhinein die Rolle der deutschen Behörden?
Förster: Ohne die Hilfe der deutschen Botschaft im Irak und des Auswärtigen Amtes wäre ich wahrscheinlich nicht so schnell freigekommen. Aber wirklich aktiv sind sie erst geworden, als der öffentliche Druck größer wurde. Ich habe das Gefühl, dass die deutschen Behörden kein großes Interesse daran haben, dass kritisch aus dem Irak, Syrien und vor allem über die Rolle der Türkei berichtet wird. Von der Bundesregierung wünsche ich mir ein klares Statement gegen die Politik der Türkei, die die kurdische Bevölkerung systematisch angreift und einen Friedensprozess blockiert.
hessenschau.de: Warum ist es wichtig, an verfolgte Journalisten und Journalistinnen zu erinnern?
Förster: Wir müssen unser Bewusstsein dafür schärfen, wie wichtig unabhängiger und kritischer Journalismus ist, und dass er in vielen Teilen der Welt systematisch bekämpft wird. Wir wurden ja auch nicht wegen uns als Personen, sondern aufgrund unserer Arbeit inhaftiert. Menschen dürfen nicht den Mut verlieren, das Risiko einzugehen und in den Irak, nach Syrien oder in andere Länder zu reisen, wo Unrecht geschieht. Dafür brauchen sie aber auch unsere Unterstützung und Solidarität, wenn es einmal brenzlig wird - vom Staat, aber auch von der Gesellschaft.
Das Gespräch führte Julian Moering
Sendung: hr-iNFO, 15.11.2022, 17 Uhr
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