Rasante Tanzeinlagen, Hip-Hop und Pop-Balladen "Chantal, heul leise!" – Junges Staatsmusical spielt "Fack ju Göhte"
Eine Klasse randalierender Teenies und ein Aushilfslehrer, der ein Gangster ist. Der Kino-Erfolg "Fack ju Göhte" kommt ab Samstag auf die Musicalbühne in Wiesbaden.
Letzte Checks vor der Premiere von "Fack ju Göhte" in der Wiesbadener Wartburg: Ist alles an seinem Platz auf der Musicalbühne? Sind die Instrumente gestimmt, die Mikros richtig eingestellt? Im Zentrum der Theaterkulissen steht eine riesige Schultafel, die den Raum bei geöffneten Seitenflügeln vom Klassenzimmer in einen Nachtclub verwandelt.

Und damit in das angestammte Milieu des Bankräubers Zeki Müller. Der wird von Tim Speckhardt gespielt, gesungen und getanzt - in einem Overall, der Gefängniskleidung darstellen soll. Den wechselt er dann gegen einen schwarzen Lederblouson und Lehrertasche und später in eine Badehose.
Keine Angst vor großen Fußstapfen
Im Kinofilm spielt Elyas M’Barek den Ex-Knacki Zeki Müller und hat große Fußstapfen hinterlassen. Tim Speckhardt lässt sich davon nicht nervös machen. "Ich weiß, dass ich nicht Elyas M’Barek bin. Aber ich versuche trotzdem, dem Publikum das Gefühl zu vermitteln, dass sie den Film auf der Bühne sehen", sagt er.

Optisch sieht er dem Film-Zeki sogar ziemlich ähnlich, das auffällige Tattoo hat er sich auf den Oberarm gemalt. Um möglichst nah ans Original ranzukommen, hat sich Speckhardt einige Szenen angesehen, "damit es so klingt wie im Film" - vor allem der legendäre Spruch "Chantal, heul leise!". Die Situation, in der die aufmüpfige Schülerin Chantal sich dünnhäutig zeigt, aber bei Zeki Müller keine Gnade findet. Vermutlich die Szene, "auf die sich alle freuen", glaubt Tim Speckhardt.
"Lisi" arbeitet mit Kriminellen
Viktoria Reese ist seit Ende 2013 Ensemblemitglied des Jungen Staatsmusicals und spielt Zekis Gegenpol: die ebenso überambitionierte wie verpeilte Lehrerin Lisi Schnabelstedt. Im Film dargestellt von Karoline Herfurth, die hier ihre Paraderolle der verhuschten Neurotikerin perfektioniert hat.

Viktoria Reese hat viel mit dem Text gearbeitet und so versucht, die Figur für sich zu entwickeln. Die schlaue Lehrerin zu geben gehe gut. So naiv und unerfahren in die Welt zu gucken, sei gar nicht so einfach, findet sie. Doch das mache die Figur eben aus.
In ihrer Musicalrolle als Lisi bandelt Viktoria Reese mit dem Kriminellen Zeki an. Wenn sie nicht auf der Bühne steht, arbeitet sie in ihrem Hauptberuf als Kriminalpsychologin in der forensischen Psychiatrie mit psychisch kranken Straftätern, um sie wieder auf ein Leben draußen vorzubereiten. Außerdem forscht sie zusammen mit dem Bundeskriminalamt an einem Projekt im Bereich Extremismus.
Leben in zwei Welten
Ein ziemlicher Kontrast zur Musicalwelt. Aber Viktoria Reese findet es "perfekt, dass ich beides machen kann, weil für beide Seiten mein Herz schlägt". Zwischendrin habe sie ein bis zwei Stunden Zeit, vom einen in das andere Leben zu schlüpfen.

Das Singen, Tanzen und Schauspielern auf der Musicalbühne biete ihr die Möglichkeit, von ihrem fordernden Beruf abzuschalten. "Sich abends nicht noch mit Studien oder Therapien zu beschäftigen, sondern ins Theater zu gehen und morgens wieder frisch reinzustarten."
Musical als Seelentröster
Regisseurin Iris Limbarth sieht Musical auch für das Publikum als gute Möglichkeit, auf andere Gedanken zu kommen: Sich nicht auch noch auf der Bühne Probleme anzusehen, "sondern Emotionen zu erleben, schöne Musik und tolle Choreographien". Und so ein Stück Leichtigkeit mit in den Alltag zu nehmen.
"Ich glaube, dass das Musical wieder ein Seelentröster ist und das auch gut leisten kann", betont Limbarth. Sie leitet das Junge Staatsmusical seit über 20 Jahren. Sie kam in den 80er Jahren zum Ensemble und hat dort das Genre Musical für sich entdeckt. Es wurde zu ihrer Passion, die sie an junge Menschen weitergeben will. Auch mit passenden Stoffen.
Tourneepause als Chance genutzt
Im Fall von "Fack ju Göhte" sei es nicht leicht gewesen, an die Rechte zu kommen. Die liegen bei Constantin Film. Nach dem großen Kino-Erfolg im Jahr 2013 und 2014 wurde eine Musical-Adaption erstellt. Daran beteiligt war auch der Gießener Gitarrist und Songwriter Simon Triebel von der Band Juli.
2018 wurde das Musical "Fack ju Göhte" in München uraufgeführt. Danach gab es eine Tournee, die zur Zeit pausiert. Für Iris Limbarth die perfekte Chance, das Musical nach Wiesbaden zu holen. So erhielt ihr Haus als erstes Stadt- oder Staatstheater die Rechte, das erfolgreiche Musical zu inszenieren.
Zeitlose Coming-of-Age Geschichte
Für Iris Limbarth bietet die Komödie rund um eine Brennpunktschule guten, zeitlosen Stoff: "Es gibt immer die Halbstarken, die Streber, die Mauerblümchen und die, in die sich alle immer sofort verlieben. Das System ändert sich nur marginal." Genau wie die Probleme von Pubertierenden, das fehlende Selbstwertgefühl und die Suche nach dem eigenen Weg.
Außerdem enthalte "Fack ju Göhte" auch eine wichtige Botschaft: Jugendliche nicht abzuschreiben. Insofern sei die Figur Zeki Müller auch ein Vorbild. Jemand, der jungen Menschen auf Augenhöhe begegne und ihre Sprache spreche.

Daraus könne man mitnehmen, "dass wir nicht alle katalogisieren, sondern uns die Mühe machen, dahinter zu schauen. Dass wir diese intellektuelle Überheblichkeit manchmal etwas ablegen müssen und wieder den Menschen sehen."
Aber vor allem bietet die Wiesbadener Musicalversion einen unterhaltsamen Abend, mit vielfältigen Tanz-Choreographien, Live-Orchester und Gesang von Hip-Hop bis zu Pop-Balladen. Wer das Musical sehen möchte, muss sich beeilen, manche Aufführungen im März und April sind schon ausverkauft. Aber im Sommer soll es weitere Termine geben.