Foto-Ausstellung in Kassel Was vom Menschen bleibt, wenn er zu Asche wird
Was bleibt nach der Einäscherung von einem Verstorbenen übrig? Eine Ausstellung in Kassel zeigt die Antwort - und gibt den Dingen eine Bühne, die unser Leben verbessern oder sogar verlängern.
Auf den ersten Blick haben die Dinge, die auf den großformatigen Bildern vor schwarzem Hintergrund zu sehen sind, Ähnlichkeit mit einer prähistorischen Axt, Waffen von Außerirdischen oder einer Fischreuse. Spielt das Auge uns hier einen Streich?
Denn das, was auf den ästhetischen Bildern gezeigt wird, sind Hüftprothesen, eine künstliche Herzklappe mit Stent und ein künstliches Schultergelenk. Die Inszenierung der sieben Implantate gleicht der von wertvollen Schmuckstücken.
Die Fotografin Tina Ruisinger hat diesen Implantaten, die für den Menschen während seines Lebens zum Teil überlebensnotwendig waren, eine Bühne gegeben. Ein Aspekt, der ihr besonders wichtig war.
Geheimnisvoll und ästhetisch: Tina Ruisingers Fotos von Asche und Implantaten
Die meisten Fotos von Ruisinger zeigen das, was nach einer Kremierung übrigbleibt: Fast schon geheimnisvoll wirken Asche und Knochenstücke.
Ruisinger hat die Überreste von 50 Menschen fotografiert. Ihre Bilder zeigen die Gesamtheit des sogenannten Leichenbrands, also des Materials, das aus der Verbrennung von Leiche, Sarg, Kleidung und Beigaben übrig bleibt - zunächst aus der Ferne, dann zoomt sie näher heran.
Drei bis dreieinhalb Kilogramm Material bleiben nach zweieinhalb Stunden übrig. Bei Temperaturen von anfangs 800 steigen die Temperaturen auf deutlich über tausend Grad.
Im Mittelpunkt: Das, was der Mensch konkret hinerlässt
Für die Bilder war die Fotografin bei 50 Kremierungen dabei, verborgen vor den Augen der Angehörigen. Ihre Fotos zeigen die Individualität, die Menschen schon zu Lebzeiten hatten, nach dem Tod. In der Ausstellung bleiben diese Menschen wiederum anonym.
Nach ihrer vorigen Arbeit "Traces", bei der es um Erinnerungsstücke der Verstorbenen aus Sicht der Hinterbliebenen ging, wollte Ruisinger jetzt das in den Mittelpunkt stellen, was der Mensch konkret hinterlässt, wenn er gestorben ist.
Sie habe sich mit der Frage beschäftigt, ob das, was uns alle im Leben so einzigartig mache, sich auch in den Überresten nach dem Tod wiederfinde, erklärte Ruisinger.
Einäscherung als beschleunigter Prozess der Vergänglichkeit
Ihre Fotos zeigen eine Vielfalt an Schattierungen und Strukturen. Bei der Ausstellung gehe es um das, worüber man nicht gerne spricht, erklärt Museumsdirektor Dirk Pörschmann. Jährlich würden rund 800.000 Menschen verbrannt, es sei eine Aufgabe des Museums, darüber aufzuklären, was bei der Einäscherung passiert.
So sei der Prozess der Vergänglichkeit bei einer Kremierung in zweieinhalb Stunden abgeschlossen. Danach werde die Asche zerkleinert, damit sie in die Aschekapsel passe. Um hinterher eine Identifizierung zu sichern, werde jedem Sarg ein feuerfester Schamottestein mit einer individuellen Nummer beigelegt.
Neun Antworten zur Feuerbestattung
Informationen finden Besucher in einem runden, gläsernen Erker inmitten der Ausstellung. Hier sind Antworten auf neun Fragen rund um die Feuerbestattung auf den Scheiben festgehalten. Dieser Erker ist der einzige Ort inmitten der Ausstellung, an dem Besucherinnen und Besucher unmittelbar auf das gestoßen werden, was sie gerade betrachten: die Asche von Verstorbenen.
Pörschmann empfiehlt, die Ausstellung mit Familie oder Freunden zu besuchen. Der Austausch über das, was man sieht, könne etwas Tröstliches haben auch - weil man sich einer Realität stelle. Das könne schmerzhaft sein, biete aber die Möglichkeit einer Transformation hin zum Positiven.
Die Lücke in der Ausstellung - etwa für einen selbst?
Die Anordnung der Bilder lebt dabei von einer Leichtigkeit. Sie sind in Gruppen gehängt, überraschen mit verschiedenen Formaten und kommen den Betrachtenden sehr nah. Das hängt auch mit der Art der Präsentation zusammen: Die gerahmten Bilder werden ohne schützendes Glas präsentiert.
Dazu haben die Ausstellungsmacher bei der Hängung der Motive Lücken gelassen. So kann jeder Ausstellungsbesucher sich selbst oder die eigene Asche hinein projizieren - und sich so den eigenen Ängsten und der eigenen Sterblichkeit stellen.
Einblicke in sensible Momente von Verstorbenen
Ruisingers Bilder ermöglichen den Blick auf das Verborgene. Denn die Asche von Verstorbene bekommt so gut wie niemand zu sehen. Was bleibt, ist die verschlossene Urne.
In der Ausstellung ist das jetzt anders, denn sie ermöglicht Besuchern und Besucherinnen Einblicke in sensible Momente von Verstorben und die Schönheit der Vergänglichkeit.
"Ein Blick auf die andere Seite"
So sieht das auch die Krankenschwester Christina Simon aus Stade (Schleswig-Holstein). Sie hat sich von den kunstvoll dargestellten Implantaten nicht in die Irre führen lassen: Herzschrittmacher und künstliche Gelenke habe sie sofort erkannt, berichtet sie.
Die Ausstellung selbst finde sie dennoch “total interessant”. Schon immer habe sie sich gefragt, was mit den Verstorbenen passiere, nachdem sie im Krankenhaus abgeholt wurden. Für sie ist die Ausstellung "ein Blick auf die andere Seite".
Sendung: hr2, 13.12.2023, 07.35 Uhr
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