Foto-Ausstellung in Darmstadt Im VW-Bus um die Welt - das schillernde Leben der Milli Bau
Sie tauschte ihr bürgerliches Leben gegen einen VW-Bus und bereiste die Welt: Die Ausstellung "5000 Kilometer bis Paris" erinnert an die fast vergessene Darmstädter Fotografin Milli Bau. Die Werkschau taucht ein in das Leben einer außergewöhnlichen Frau und Getriebenen.
"Dann werde ich ein Zugvogel, ein Nirgendszuhause, ein Mensch, der unstet und flüchtig ist auf der Erde": In kaum einem anderen Zitat beschreibt die Darmstädterin Milli Bau ihr bewegtes Leben derart treffend. Die Fotografin und Journalistin war eine mutige und selbstbestimmte Frau, die alleine um die Welt reiste. Im Kunstforum der TU Darmstadt werden ihre Fotos erstmals im Rahmen der Ausstellung "5000 Kilometer bis Paris" präsentiert.
Mutige Frau mit über 100 Reisepässen
Etwa 800 Werke aus dem mehr als 6.000 Fotografien und Dias umfassenden Nachlass der Darmstädterin sind in der Ausstellung zu sehen. Sie zeugen von den über 40 Reisen, die Bau in ihrem langen Leben unternommen hat. Auch ihre erste Kamera und Auszüge aus über 100 Reisepässen sind ausgestellt.
Die Ausstellung, die noch bis zum 27. Oktober läuft, zeichnet ein eindrückliches Bild einer mutigen und emanzipierten, aber auch rastlosen und getriebenen Frau, die irgendwann beschloss, ihr gutbürgerliches Leben gegen einen kleinen VW-Bus einzutauschen.
Süchtig nach der weiten Welt
Im Jahr 1949 nahm Emilie "Milli" Bau als einzige Frau an einer dreijährigen Expedition durch Südamerika teil. Sie sollte für die kurz zuvor gegründete Zeitung "Die Welt" aus fernen Ländern berichten. "Wir schnuppern die Freiheit und die Weite der Welt", schrieb sie in ihren Aufzeichnungen zu dieser Reise. Sie wurde süchtig nach diesem Duft.
Freiheit und Abenteuer locken viele Besucher
Zur feierlichen Eröffnung der Ausstellung am Sonntag platze der Raum aus allen Nähten, so viele Menschen seien noch nie zum Start gekommen, sagt Kuratorin Julia Reichelt. Und das, obwohl Milli Bau selbst in Darmstadt weitestgehend unbekannt ist. Warum also der Ansturm?
Reichelt hat eine Vermutung: "Ihre Fotografien treffen den Nerv der Zeit", sagt die Leiterin des TU-Kunstforums: "Sie stehen für den Drang nach Freiheit und Abenteuer." Das falle in einer Zeit wie heute, in der es viele Ängste und Restriktionen gebe, auf fruchtbaren Boden, so Reichelt.
Fotos längst verschwundener Orte
Baus Fotos seien auch "Zeugnisse der Vergangenheit". "Viele dieser Orte gibt es gar nicht mehr oder sind nicht mehr bereisbar, weil dort zum Beispiel Krieg herrscht", erklärt Reichelt.
In der Ausstellung finden sich etwa Fotos der mittlerweile verschwundenen schwimmenden Märkte in Thailand oder der einst größten stehenden Buddha-Figur der Welt im afghanischen Bamiyan-Tal, die 2001 von den Taliban zerstört wurde.
Getrieben von persönlichen Verlusten
Es ist aber vor allem die faszinierende Geschichte der Frau hinter der Kamera, die durch ihre Fotos und Aufzeichnungen greifbar wird. Geboren wurde Bau 1906 in Darmstadt, lebte später lange Zeit in Hamburg. Dort kam 1939 ihr Sohn auf die Welt, der nur ein Jahr später starb. Ein traumatisches Erlebnis, fortan führte Bau ein rastloses und unstetes Leben.
Nachdem 1956 auch ihr Ehemann nach Krankheit starb, brach sie alle Zelte ab, verkaufte ihr doch reichlich vorhandenes Hab und Gut und erwarb im Alter von 50 Jahren einen VW-Bus. Damit reiste sie durch viele Länder, unter anderem Syrien, Irak, Pakistan und den Iran. Immer allein, oft unter widrigsten Umständen.
Nach ihrer Bolivien-Reise Ende der 1940er-Jahre sprach sie etwa von "wochenlangen Ritten auf ungesattelten Mulis" oder von minus 35 Grad kalten Nächten, Giftschlangen und Moskitos. Auf vielen ihrer Reisen habe es gefährliche Situationen gegeben. "Aber ich bin dann immer ganz gut wieder herausgekommen."
Mit 88 Jahren nach Sibirien
Gefahren hin, Mulis her: Das Fernweh bestimmte Baus Leben. Vielleicht war es ihre ganz eigene Art der Trauerbewältigung nach dem Tod ihres Kindes, vielleicht die Flucht vor den Konventionen. Vielleicht auch eine Mischung aus beidem. Man kann nur mutmaßen, dazu äußerte sich Bau nie. Sie sagte nur: "Wenn ich so unterwegs bin, dann komme ich mir nie einsam vor." Noch mit 88 reiste sie durch Sibirien, ehe sie 2005 im Alter von 99 Jahren in Darmstadt starb.
Milli Bau als feministisches Vorbild
Reichelt beschreibt Bau als starke und unabhängige Frau: "Dieser Wagemut, als Frau in den Fünfzigern alles aufzugeben und gegen dieses einfache Leben einzutauschen, ist bemerkenswert." Sie habe vorgelebt, dass man mit Mut und Überzeugung und gegen alle Konventionen viel erreichen kann – auch, oder gerade als Frau in einer männerdominierten Welt. 1996 erhielt Bau für ihr Schaffen die bronzene Verdienstplakette der Stadt Darmstadt. "Sie dient durchaus als feministisches Vorbild", sagt Reichelt.
Kritik an unkritischer Berichterstattung
Ein Vorbild, dass sie vielleicht gar nicht sein wollte. Zumindest nicht bewusst. Denn nicht alles in Baus Leben war vorbildlich, einige ihrer Reisen und Werke sind durchaus kontrovers zu betrachten. Während ihres siebenjährigen Aufenthalts im Iran von 1967 bis 1974 war Bau beispielsweise Gast des autoritären Shahs, wohnte in seinem Gartenhaus.
In ihrem Reisebuch "Iran, wie er wirklich ist" zeichnete sie ein wohlwollendes Bild der Shah-Familie, die Menschenrechtsverletzungen im Land sparte sie aus. "Ich führe hier ein herrliches Leben, ohne meine Kasse oder auch nur meine Vorräte allzu sehr zu strapazieren", schreib sie.
Schick gekleidet in Gesellschaft der Mächtigen
Auch sonst habe sich Bau gerne in Gesellschaft der Mächtigen begeben, immer dann, wenn es ihr etwa für ihre journalistische Tätigkeit oder ihre Reisen von Vorteil war. "Milli Bau liebte neben allen Entbehrungen auch das schöne Leben, sie kleidete sich gerne schick und zeigte sich auf Empfängen", erklärt Reichelt.
Eitelkeit war ihr nicht fremd, in einem ihrer Impfpässe schummelte Bau bei ihrem Alter und machte sich einfach um zehn Jahre jünger. Eine politische Agenda habe Bau nicht verfolgt, sagt Reichelt: "Ich würde sagen, sie war eine unkritische Person."
Einblick in das schillernde Leben
Aber vielleicht macht gerade das Milli Bau zum Vorbild für viele Frauen. Getreu dem Motto: Es ist mein Leben und ich lebe es so, wie ich will. Frei und selbstbestimmt. Der Ausstellung gelingt es gut, auch diese Vielschichtigkeit und die Widersprüche abzubilden.
Durch Auswahl und Anordnung der Bilder in Kombination mit ausgewählten Zitaten und Textpassagen bekommen Besucherinnen und Besucher einen umfassenden Einblick in das schillernde Leben und Werk einer Frau, die Gefahr lief, in Vergessenheit zu geraten.
Sendung: hr2, 05.05.2024, 10.07 Uhr
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