Unwort-Bilder in DarmstadtVon biodeutscher Doppelmoral und Menschenverachtung
In der jährlichen Darmstädter Ausstellung "Unwort-Bilder" setzen sich acht Fotografinnen und Fotografen künstlerisch mit dem Unwort "Biodeutsch" auseinander. Ihre Werke sind in der Stadtkirche zu sehen.
Vor vielen, vielen Jahren, da war "Biodeutsch" ein gutes Wort. Weil es mit Humor aufgeladen war. Kabarettist Mushin Omurca erfand den Begriff 1996 spontan auf der Bühne um dem gefühlten Anderssein als gebürtiger Türke mit deutschem Pass einen Ausdruck zu geben.
"Humor ist die beste Medizin, um mit schmerzhaften Erfahrungen gut umzugehen", sagte er einmal in einem Interview. Sein Ziel: Die Gegner mit Selbstironie entwaffnen.
Hätte Omurca geahnt, welchen Weg "Biodeutsch" nimmt, er hätte es wohl nie gesagt. Es sind jene Gegner, die das Wort zu ihrer Waffe gemacht haben, der Humor ist offenem Rassismus gewichen. Vergangenes Jahr wurde "Biodeutsch" zum Unwort gewählt.
Diese Transformation von Humor in Menschenfeindlichkeit war Ausganglage für die acht Fotografinnen und Fotografen, die auch in diesem Jahr ihre Gedanken und Ideen in der Darmstädter Ausstellung "Unwort-Bilder" künstlerisch zum Ausdruck bringen.
"Mit Satire hat der Begriff heutzutage nichts mehr zu tun", sagt Nouki, einer der Künstler und Initiatoren der Exposition, die seit Samstag in der Stadtkirche zu sehen ist. "Er wurde von Rechten und Rassisten gekapert. Für sie reicht es nicht mehr aus, einen deutschen Pass zu haben, um dazuzugehören."
Unwort-Ausstellung seit 21 Jahren
Seit nunmehr 21 Jahren beschäftigt sich die Darmstädter Gruppe mit den unschönen Wörtern, ihre Arbeiten präsentieren sie immer an verschiedenen Orten in der Stadt. Diesmal bildet die Stadtkirche die beeindruckende Kulisse. In großen Leuchtrahmen hängen die Fotografien in den Übergängen zu den Seitenschiffen von der Decke - immer zwei Bilder ergeben ein Werk. Die Motive brechen stark mit der sakralen Kirchenästhetik. Selten sieht man in Gotteshäusern derart viel Haut, ein Werk mutet schon fast pornografisch an.
Weitere Informationen
Öffnungszeiten
Die Ausstellung in der Stadtkirche Darmstadt läuft vom 22. bis 30.03.2025. Die Öffnungszeiten variieren. Zudem bieten die Fotografen und Fotografinnen mehrere Führungen an.
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Die ausgestellten Fotografien sind so divers wie die Gruppe selbst. Manch eine greift das Unwort "Biodeutsch" direkt auf, bei anderen erschließt sich der Zusammenhang erst auf den zweiten Blick – oder den dritten oder vierten. "Wir haben eine große Palette an verschiedenen Arbeiten, die sich an Symboliken oder den Konsequenzen des Unworts abarbeiten", sagt Nouki. Es geht unter anderem um Doppelmoral, um Vorurteile, Ausgrenzung und Klischeedenken. "Wie immer ist das Spektrum der Herangehensweisen groß."
Die Künstler und Künstlerinnen haben ihre Bilder teils knapp, teils ausführlich kommentiert, Nouki präsentiert sein Werk "Für mich am liebsten biodeutsch" gänzlich ohne Anmerkung: "Betrachterinnen und Betrachter dürfen sich gerne einmal mehr als zwei Minuten mit einem Bild auseinandersetzen."
Sein Künstler-Kollege Stefan Daub wird mit seinem Werk "biodeutsch: Identität im Blut" konkreter. "Ich bin der Frage nachgegangen, was es eigentlich heißt, wenn man das Wort 'Biodeutsch' aus dem satirischen Kontext herausnimmt und wirklich zu einem ernsthaften Kriterium machen würde." Arisches Blut als Nachweis für das Deutschsein. Hat es alles schon gegeben.
Auf Einladung stellt auch die Berliner Fotografin Delia Baum ihr Werk "Limitierte Mitgliedschaft - nicht für alle erhältlich" aus. Ein Novum, noch nie zuvor hatte die Gruppe einen Gast an Bord. Weiße Haut, blonde Zöpfe und eine an Leni Riefenstahl erinnernden Ästhetik prägen ihren Beitrag.
Für die Unwort-Ausstellung hat Baum ihren Stil angepasst: "Ich fotografiere sonst viel Haut, alle möglichen Körpertypen und vor allem divers." Auch ihr Unwort-Werk zeigt Haut, leicht verschwitzt und silbrig glänzend. Eine Ästhetik, die gerne im rechten Milieu verwendet und für "typisch deutsch" gehalten wird, sagt die Künstlerin. "Es ist das Gegenteil von dem, was ich sonst mit meinen Bildern transportieren möchte." Durch den Begriff "Biodeutsch" werde "Deutsch" zu etwas, "das nicht nur auf Papier existiert, sondern an Haut und an Erwartungen geknüpft wird."
Obwohl in der Kirche acht Einzelwerke hängen, versteht die Gruppe die Ausstellung als Gemeinschaftsprodukt. Immer wieder tauschen sich die Mitglieder im Vorfeld über Idee, Ansätze und auch über ihre Arbeiten aus. Dabei geht es mitunter auch kontrovers zu, sagt Nouki. In diesem Jahr habe sich eine Künstlerin nach längeren Diskussionen aus der Gruppe zurückgezogen, ihre Fotografien sind nicht zu sehen. "Das hat sie für sich selbst entschieden."
Die kritische Auseinandersetzung mit den Werken ist fester Bestandteil der "Unwort-Bilder"-Ausstellung. Nicht nur während des künstlerischen Prozesses, sondern auch im Laufe der Ausstellung. An verschiedenen Tagen finden Führungen statt, dort haben Interessierte die Möglichkeit, mit den Künstlerinnen und Künstlern in Austausch zu kommen. "Wir erzählen auch ein bisschen die Geschichten, die nicht in den Bilder zu sehen oder in den Texten zu lesen sind", sagt Daub.
Eine Anleitung zum Betrachten der Bilder soll das aber nicht sein. "Im Idealfall kommen die Menschen ins Nachdenken und gehen mit mehr Fragen nach Hause als sie hergekommen sind."