hr-Tatort "Erbarmen. Zu spät." Frankfurter Ermittler-Duo erlebt nächtlichen Albtraum
Die Natur ist düster, angsteinflößend und verwirrend: Im neuen Frankfurt-Tatort scheinen Hessens Wald und Felder abgrundtief böse zu sein. Oder sind es nur die Polizisten, die zuhauf in rätselhafte rechtsextreme Machenschaften verwickelt sind?
Schwarz ist die vorherrschende Farbe, von Anfang an. Fast der komplette neue Frankfurt-Tatort "Erbarmen. Zu spät." (10.09.2023 um 20.15 Uhr im Ersten) spielt in der Nacht, die Polizisten sind im Bild meist nur schemenhaft zu sehen. Doch manchmal leuchtet Licht auf - gruseliges, farbiges oder grelles Licht von Taschenlampen oder Autoscheinwerfern. Es ist dann gnadenlos, verzerrt Frisuren und lässt Falten wie tiefe Krater erscheinen.
Doch der Reihe nach: Los geht der Tatort mit dem Polizisten Laby (gespielt von Sebastian Klein), der durch die Nacht fährt und sich irgendwie in illegale Dinge verstrickt hat. Wie, das bleibt offen. Wir sehen nur, wie er sich mit zwei Männern trifft und ihnen mitteilt, nun aus "der Sache" auszusteigen.
Schließlich wird er bald Vater, höchste Zeit also, das Leben zu bereinigen und zweifelhafte Verhaltensweisen zu beenden. Doch ist es die mysteriöse Musik, die kalte Nacht oder die harten Blicke? Schnell ist klar: Das geht nicht gut, hier droht Gefahr.
Nächtliche Suchaktion mit vielen Rätseln
Schnitt. Kommissar Paul Brix (Wolfram Koch) kommt ins Spiel. Es ist sein 17. Fall, den er gemeinsam mit Kommissarin Anna Janneke (Margarita Broich) zu lösen versucht. Doch sie erscheint erst deutlich später auf der Bildfläche, wenn der Film schon knapp eine halbe Stunde läuft. Zu der Zeit ist Brix mit seinen Kollegen schon lange durch die Nacht gefahren.
Mit im Auto dabei ist einer der Menschen, die sich zu Beginn noch die Ausstiegs-Beichte des Polizisten Laby angehört hatten. Nebenbei erfährt man, dass diese rätselhafte Person ein polizeibekannter Rechtsextremer namens Schilling ist. Schilling ist nun ein komplettes Psychowrack und hat der Polizei offenbar berichtet, dass Laby ermordet wurde.
Nun befinden sich alle auf der nächtlichen Suche nach dem ermordeten Laby. Warum sich Schilling an die Polizei gewandt hat? Weiß man nicht. Weshalb ist er so panisch? Keine Ahnung. Wo genau die Leiche zu finden ist? Ein Rätsel.
Immer mehr Fragen und dazu Polizisten des Grauens
Wer denkt, die Fragezeichen werden im Laufe des Films weniger, der irrt. Immer mehr Rätsel tauchen auf, immer undurchsichtiger und verwirrender wird die Handlung. Denn plötzlich wird nicht mehr nur Polizist Laby gesucht, sondern auch Schilling, der psychologisch auffällige und polizeibekannte Rechtsextreme, der die ganze Suche überhaupt erst ins Rollen gebracht hat.
Er verschwindet auf dem Nachhauseweg. Klarer wird mit der Zeit nur: Es geht hier um rechtsextreme Gruppierungen, und zwar innerhalb der Polizei. Um Kollegen des Ermittler-Duos Brix und Janneke. Fast alle Polizisten im Bild scheinen irgendwie im rechten Sumpf zu stecken und versuchen jetzt, zu verheimlichen, was sie wissen.
Mit einem Ex-Kollegen namens Radomski (Godehard Giese) war Kommissar Brix sogar früher mal befreundet. Und nun scheint genau dieser Radomski die zentrale Person eines menschenverachtenden Netzwerks zu sein, das auch vor Morden nicht zurückschreckt.
Ein ganzer Frankfurt-Tatort fast ausschließlich in dunkler Natur
Die Tatort-Folge spielt nahezu ausschließlich im Freien, in der dunklen Natur. Gedreht wurde dafür in der Wetterau und in Maintal. Die Ausnahme: Ein Gebäude spielt eine wichtige Rolle. Es ist das Waldhaus des Polizisten Laby, das die Ermittler (natürlich auch nachts) durchsuchen und dort höchst alarmierende Dinge finden.
Sie entdecken große Mengen an Essensvorräten, Waffen, Munition und Hinweise darauf, dass hier ein Auto als Polizeiauto umlackiert wurde. Wieder ein Anzeichen mehr, dass hier irgendein großes Ding am Laufen ist.
Oder sind das etwa nur Anzeichen dafür, dass Polizist Laby ein Prepper war, also einer der immer mehr werdenden Menschen, die Lebensmittel und Dinge horten, um sich im Katastrophenfall selbst zu versorgen?
Fazit: Düsteres Gruselvergnügen
Der hr-Tatort "Erbarmen. Zu spät" unter der Regie von Bastian Günther ist wahrlich nichts für schwache Nerven. Wer einen klassischen Krimi mit prägnantem rotem Faden und lupenreiner Fall-Aufklärung sucht, ist hier Fehl am Platz.
Der Film erinnert in seiner Gesamtgestaltung an den apokalyptischen Psychothriller "Antichrist" des dänischen Regisseurs Lars von Trier, in dem die Natur düster und bildgewaltig als "vom Teufel besessen" dargestellt wird. So wie dort schnürt es uns beim Schauen auch in diesem Tatort von Minute zu Minute mehr den Hals zu, denn die lauernde Gefahr in der Dunkelheit wird immer übermächtiger, während die Handlung immer mehr Rätsel aufwirft.
Wer also gerne Psychothriller schaut, der kommt beim neuen Tatort auf jeden Fall auf seine Kosten. Auch Fans von skandinavischen Mystery-Krimiserien wie "Bron - Die Brücke" sollten diese Folge nicht verpassen.
Sendung: ARD-Fernsehen, 10.09.2023, 20.15 Uhr
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