"Früher waren 21 Grad Gesetz" Wie Hessen seine Museen klimaneutral machen will
Bis 2030 will Hessen CO2-neutral werden. Ein ambitioniertes Vorhaben, das auch die Kultureinrichtungen des Landes betrifft. Vorreiter beim Einsparen von Treibhausgasen ist das Museum Wiesbaden. Es zeigt, dass vieles neu gedacht werden muss.
Es ist eine Ikone, unbezahlbar, hochempfindlich für kleinste Temperaturschwankungen: das Walsdorfer Kruzifix. Die Figur aus Lindenholz stammt aus der Zeit um 1200 und hängt heute im Kirchensaal des Museums Wiesbaden.
Über die Jahrhunderte wurde es durch Feuchtigkeit und Holzwurmbefall schon so stark beschädigt, dass nur noch der leidende Christus erhalten ist, und auch ihm fehlt eine Hand. Exponate wie dieses machen den Klimaschutz in Museen zu einer Herausforderung. Doch sie müssen sich dem Thema stellen.
Museum hat CO2-Bilanz erstellt
Das Land Hessen hat sich vorgenommen, bis zum Jahr 2030 CO2-neutral zu werden und bis 2045 Netto-Treibhausgasneutralität zu erreichen - auch in seinen Kultureinrichtungen, zu denen auch das Museum Wiesbaden gehört. Bis 2026 haben die Einrichtungen nach Angaben des Landes einen Plan zu erstellen, der festlegt, mit welchen Maßnahmen sie Netto-Treibhausgasneutralität erreichen wollen. Start der Maßnahmen soll spätestens 2028 sein. (Ein Glossar zu den Begrifflichkeiten findet sich auf tagesschau.de.)
Einzusparen gibt es einiges: Museen sind CO2-Schleudern, wie eine Berechnung des Deutschen Museumsbundes ergab. Das Museum Wiesbaden hat als zweites landeseigenes Museum eine CO2-Bilanz erstellt und demnach im Jahr 2019 rund 588 Tonnen CO2 ausgestoßen, 2020 waren es 735 Tonnen. Die Berechnungen für die Zeit danach laufen nach Angaben des Landes noch.
Alle Bereiche und Vorgänge betrachtet
Beteiligt an der CO2-Bilanz waren auch Ines Unger und Michael Edler: Sie leitet im Museum Wiesbaden die Restauratoren-Werkstatt und er ist Leiter der Haustechnik. Die Daten zusammenzutragen, war aufwendig, erzählen sie. Alle Bereiche und Vorgänge - vom Papierverbrauch über die Arbeitswege der Beschäftigten bis zum Transport von Kunstwerken - mussten beleuchtet werden.
Die größten Posten machten die Wärmeversorgung und der Stromverbrauch aus. Das 7.000 Quadratmeter große Haus wird mit Erdgas geheizt, die Klimaanlagen sind die größten Stromverbraucher.
Irreparable Schäden durch Schwankungen
Doch beides einfach herunterdrehen - das kann zu irreparablen Schäden führen, denn die meisten Kunstwerke sind sensibel für Temperatur, Trockenheit und Feuchtigkeit, erklärt Ines Unger. "Holz zum Beispiel reagiert sehr schnell und sehr radikal auf Feuchtigkeitsschwankungen", führt sie aus. "Wenn man darauf kein Auge hat, können Risse an den Objekten entstehen." Bei Leinwandgemälden wiederum könnten bei Temperaturschwankungen Farbschichten locker werden oder bei zu viel Feuchtigkeit Schimmel wachsen.
"Wir müssen im Winter Feuchtigkeit einbringen und diese im Sommer entziehen", ergänzt Michael Edler. All das koste sehr viel Energie, besonders im Sommer, da dann die Räume gekühlt werden müssten, um Feuchtigkeit zu entziehen. Gleichzeitig müssten sie nachgeheizt werden, damit sie nicht zu kalt würden. "Mit diesen Gegebenheiten müssen wir haushalten."
"Haben Vorgaben etwas aufgeweicht"
Möglich aber sei es: "Wir haben Vorgaben, die früher Standard waren, etwas aufgeweicht", erklärt Unger. "Früher waren 21 Grad Raumtemperatur und 50 Prozent Luftfeuchte Gesetz, heute dürfen diese Werte um etwa drei Prozent schwanken." Dabei seien aber Vorgaben von Leihgebern zu beachten und alle Mitarbeitenden seien angehalten, die Kunstwerke genauestens im Blick zu behalten.
Edler ergänzt: "Man muss das Gebäude einfach lesen, sehr aufmerksam sein." Inzwischen blieben die Anlagen in Innenräumen zumindest nachts zeitweise abgeschaltet. Die Temperatur in den Büros sei im vergangenen Winter auf 19 Grad gesenkt worden. Den Stromverbrauch habe das Team gesenkt, indem nachts die Beleuchtung ausgeschaltet werde und viele Lampen auf LED umgerüstet wurden.
"Rechnungen motivieren zum Weitermachen"
Ein Drittel weniger sei es inzwischen, sagt Edler: "Auf die Rechnung zu schauen und das zu sehen, motiviert ungemein zum Weitermachen." Auf dem Plan stünde nun noch der Bau einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach - in Absprache mit dem Denkmalschutz. Dieser rede auch bei den Fenstern mit, die zum Teil noch einglasig seien. Hier sollen von Innen weitere Fenster vorgesetzt werden.
Nach Vorgabe des Landes sollen die Kultureinrichtungen ab 2026 auf fossile Energieträger verzichten - weswegen geplant ist, das Museum an das Fernwärmenetz der Stadt anzuschließen, so wie das zum Beispiel schon mit den Gebäuden der Hessen Kassel Heritage und dem Staatstheater in Kassel geschehen ist.
Auch Transport verursacht CO2
Auch der Transport von Kunstwerken verursacht CO2, sagt Unger, weswegen das Haus stets schaue, wo diese herkämen, was beim Transport sicher gebündelt werden könne und ob es sinnvoll ist, weniger Ausstellungen zu organisieren, diese dafür aber länger laufen zu lassen.
Klar wurde aus den Berechnungen aber auch: 2019 und 2020 produzierte das Museum noch zu viel CO2. Um es klimaneutral zu machen, glich das Land Hessen das aus, und kaufte für 12.000 Euro Zertifikate für einen Windpark im Nordwesten von Costa Rica - ein Vorgehen, das Experten mit gemischten Gefühlen sehen.
"Zertifikatehandel muss gut kontrolliert sein"
"Wenn aus einem Gebäude das Maximum an Klimaneutralität herausgeholt ist - über Solaranlagen, Dämmung oder Ähnliches - dann ist der Zertifikatehandel okay, wenn er gut kontrolliert ist", sagt etwa Eddie Koenders, Professor für klimaneutrales Bauen an der TU Darmstadt. "Denn dann wird eben in einem anderen Land weniger CO2 produziert."
Das sichert das Land auf Nachfrage zu. Es will, aufbauend auf den Erfahrungen in Wiesbaden, nach und nach eine CO2-Bilanz und Maßnahmepläne für alle seine Kultureinrichtungen erstellen. Das Ziel: Emissionen einzusparen und gleichzeitig Kulturgüter wie das Walsdorfer Kruzifix zu schützen.
Sendung: hr2-kultur, 05.06.2023, 17.44 Uhr
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