"Fulbright-Tryptichon" von Simon Dinnerstein Warum ein Bild aus Hessisch Lichtenau durch amerikanische Museen wandert
Ein amerikanischer Kunststudent kommt Anfang der 1970er Jahre mit einem Stipendium nach Nordhessen. Den Ausblick aus seiner Studentenbude verewigt er in einem Gemälde - und legt damit den Grundstein für eine internationale Karriere.
Das dreiteilige Bild könnte von einem Alten Meister aus der Renaissance stammen: In der Mitte des vier Meter langen Triptychons ist ein Blick aus einem Zimmerfenster zu sehen. Links daneben eine dunkelhaarige junge Frau mit einem nackten Kleinkind auf dem Schoss, rechts ein Mann mit Vollbart. Sie schauen den Betrachter an.
Erst auf den zweiten Blick wird klar: Wir sind hier nicht im Mittelalter, sondern in einer Studentenwohnung der 1970er Jahre in einer durchschnittlichen hessischen Kleinstadt. Dieser Ort mit einem Kirchturm in der Mitte und dem Mittelgebirge im Hintergrund ist Hessisch Lichtenau, die junge Familie auf dem Bild sind Simon Dinnerstein und seine Frau Renee mit der gemeinsamen Tochter.
Eigentlich war Druckgrafik sein Metier
Entstanden ist der mittlere Teil des Gemäldes während eines Stipendiums, das den jungen amerikanischen Kunststudenten Simon und seine Frau 1971 von New York nach Nordhessen brachte. Dinnerstein war damals 27 Jahre alt – und wollte eigentlich Druckgrafik im Stil von Albrecht Dürer studieren. Eine Wohnung in Kassel konnte sich das junge Paar nicht leisten, deshalb landeten sie schließlich im benachbarten Hessisch Lichtenau.
"Es war ein einfaches Städtchen, mit einfachen Geschäften. Wir haben eine kleine Gruppe von Menschen kennengelernt, mit denen wir heute immer noch in Kontakt sind", erzählt der Maler im Gespräch mit dem hr. "Aber wir waren die meiste Zeit zu Hause und dort habe ich viel gezeichnet und gedruckt."
Ein Bild wie ein Lottogewinn
"Irgendwann in diesem Jahr, im April oder Mai, schaute ich auf den Tisch mit den Utensilien, das Fenster und die Aussicht und ich dachte, das könnte die Basis für ein tolles Bild werden", erinnert sich Dinnerstein. Am nächsten Tag entschied er, die Ansicht von Hessisch Lichtenau um zwei Elemente zu ergänzen wie bei einem Triptychon: Eines mit seiner Frau und eines mit ihm. Dinnerstein stellte sein großes dreiteiliges Wandgemälde aber nicht fertig. Nur mit dem zentralen Element im Gepäck, der Ansicht von Hessisch Lichtenau, ging er zurück in die USA.
In New York versuchte er Fuß zu fassen, seine Frau Renee war inzwischen schwanger. Also zeigte er sein unfertiges Triptychon einem Galeristen. Der war sofort so begeistert, dass er dem Maler ein Angebot machte: Er wollte das Gemälde unfertig erwerben und bot an, den Kaufpreis über zwei Jahre verteilt wie ein Gehalt auszuzahlen. Am Ende sollte eine Ausstellung in der renommierten Galerie stehen: "Das war unglaublich, wie ein Zufall von eins zu einer Million."
Faszinierendes Jahr in Deutschland
Der Galerist hatte ein gutes Gespür bewiesen: Die erste Ausstellung Dinnersteins wurde begeistert besprochen, er ging mit einem weiteren Stipendium für zweieinhalb Jahre nach Rom und legte so den Grundstein für seine internationale Karriere. Das "Fulbright Triptychon" gilt heute als ein Meisterstück des Amerikanischen Realismus der 1970er Jahre.
Dass diese Karriere mit einem Aufenthalt in Deutschland beginnen sollte, nur 25 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, ist für ihn heute noch kaum fassbar, sagt Dinnerstein: "Ich hätte nie gedacht, dass dieses Jahr so faszinierend werden würde und ich mit einem wichtigen Kunstwerk zurückgehen würde."
Sendung: hr2-kultur, 16.02.2023, 07:30 Uhr
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