Angespannte Sicherheitslage in Wiesbaden Erdogan-Statue abgebaut: Stadt befürchtete Kurden-Aufmärsche
Die Stadt Wiesbaden hat die in der Innenstadt aufgestellte Statue des türkischen Präsidenten Erdogan kurzfristig abbauen lassen. Die Kunstaktion zur Biennale hatte zahlreiche Menschen aufgebracht, die Stadt befürchtete Ausschreitungen.
Die Stadt Wiesbaden hat ihre Entscheidung verteidigt, die als Teil eines Kunstfestivals aufgestellte Statue des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan abbauen zu lassen. Es habe sich abgezeichnet, dass vor allem kurdische Protestierende aus dem gesamten Bundesgebiet anreisen würden, sagte ein Stadtsprecher am Mittwoch (22.08.18). Das hätte nach Einschätzung der Stadt "einen massiven dauerhaften Polizeieinsatz" nötig gemacht.
Auf Facebook und auf Twitter hatte die Stadt deswegen gegen 22.45 Uhr am Dienstag (28.08.18) bekannt gegeben, dass sie die als Kunstobjekt auf dem Platz der Deutschen Einheit installierte goldene Statue entfernen lasse.
Dies hätten Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) und Bürgermeister Oliver Franz (CDU) in Abstimmung mit der Landespolizei entschieden, die Sicherheit könne nicht mehr weiter gewährleistet werden. Am Mittwoch tagte die Stadt zu der Frage, was mit der vier Meter hohen und zwei Tonnen schweren Gips-Statue geschehen soll. Sie sei an einem Ort sichergestellt, der nicht veröffentlicht werde und könne vom Veranstalter jederzeit abgeholt werden, sagte eine Stadtsprecherin auf Anfrage von hessenschau.de.
Zustimmung zu Abbau
Die Festivalleitung hatte dem Abbau zugestimmt. Öffentliche Sicherheit gehe vor Kunst, sagte die Kommunikationsleiterin des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Caroline Lazarou. Dass die Statue polarisieren werde, sei klar gewesen. Das Ausmaß der Auseinandersetzungen habe sich aber erst nach der Aufstellung gezeigt. Biennale-Intendant Uwe Eric Laufenberg freute sich über die vielen Diskussionen, zu denen die Statue angeregt habe: "In der Türkei ist das zurzeit nicht möglich, da Kritiker von Erdogan mit Gefängnis bedroht werden", sagte er am Mittwoch.
Nicht ganz glücklich klingt die Stellungnahme der Kuratoren der Wiesbaden Biennale, Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer: Sie respektierten die Einschätzung der staatlichen und städtischen Ordnungskräfte in Bezug auf die öffentliche Sicherheit, schrieben sie am Mittwoch.
Weiter heißt es: "Gleichwohl möchten wir hier in aller Entschiedenheit die Frage nach dem Preis und der Freiheit der Kunst stellen. Und danach, was sind wir bereit sind auszugeben für Veranstaltungen und Anlässe wie etwa den geplanten Staatsbesuch des türkischen Präsidenten, der mit militärischen Ehren empfangen werden wird, oder auch jedes erdenkliche Fußballspiel am Samstagnachmittag?"
Verständnis beim Land Hessen
Der hessische Kunstminister Boris Rhein (CDU) zeigt Verständnis sowohl für die Kunstaktion als auch für deren Ende: "Dass Kunstprojekte wie die Wiesbaden Biennale umstritten sein können, provozieren und zu Diskussion anregen, gehört zur zeitgenössischen Kunst", sagte er am Mittwoch dem hr.
Die Verantwortung der künstlerischen Inhalte liege bei den Kuratoren, da wolle das Land sich nicht einmischen, die Freiheit der Kunst sei ein hohes Gut. "Wenn allerdings die öffentliche Sicherheit durch solche Kunstprojekte nicht mehr gewährleistet ist, ist es richtig diese zu beenden."
Pöbeleien, Eier und Äpfel
Die Statue hatte für reichlich Wirbel in Wiesbaden gesorgt. Viele Menschen störten sich an der Figur, die Erdogan mit ausgetrecktem Arm und Zeigefinger zeigte, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen.
Einige waren der Meinung, die Statue des umstrittenen Politikers habe in Wiesbaden nichts verloren. Viele türkischstämmige Erdogan-Anhänger sahen den Präsidenten verunglimpft. Seine Gegner, darunter viele Kurden, sahen ihn glorifiziert.
Im Laufe des Tages kamen immer mehr Menschen auf den Platz, zuletzt waren es nach Polizeiangaben rund 200 bis 300 Schaulustige. Die Stimmung war aufgeheizt. Manche beschmierten die Statue, andere versuchten, die Schmierereien wieder zu entfernen. Es wurde geschimpft und gepöbelt, Eier und Äpfel flogen. Es gab aber auch einige, die die Kunstaktion grundsätzlich gut fanden, da sie zur Diskussion anrege. Die Polizei war mit rund 100 Beamten vor Ort.
Intendant: "Kunst soll zeigen, wie es ist"
Am Nachmittag hatten sich die verantwortlichen Kuratoren und der Intendant der Wiesbaden Biennale zu Wort gemeldet: "Die Kunst ist dazu da, zu zeigen, wie es ist", sagte Intendant Laufenberg. Wer genau die Skulptur geschaffen hat, wollte er nicht verraten. Nur so viel: Er sei Schweizer.
Laufenberg diskutierte vor Ort auf dem Platz der Deutschen Einheit vor der Statue mit Passanten über die Aktion. Einige warfen ihm dabei vor, es handele sich um eine bewusste Provokation, die schon bestehende Konflikte um das Verhältnis zur Türkei und zwischen Erdogan-Anhängern und Gegnern weiter schüre.
"Wenn hier Blut fließt, sind Sie schuld daran", schleuderte ein aufgebrachter Mann den Kuratoren der Biennale, Maria Magdalena Ludewig und Martin Hammer, entgegen. Sie waren nach der Aufregung um die Statue ebenfalls zum Platz gekommen, um mit Passanten zu reden und ihre Aktion zu verteidigen.
Europaministerin: Lage in der Türkei zu ernst
Gegenwind kam auch von Lucia Puttrich (CDU), hessische Ministerin für Europaangelegenheiten: Sie schrieb auf Twitter, Kunst dürfe provozieren, den goldenen Erdogan brauchte trotzdem niemand. "Dafür ist die Lage in der Türkei viel zu ernst." Sie sei befremdet von der Statue und wolle sich gerne an der Diskussion beteiligen, wenn die Künstler sich zu ihrem Werk geäußert haben.
Das Ordnungsamt war vom Aufstellen der Figur unterrichtet worden, die Aktion war genehmigt. Allerdings will die Stadt laut einer Mitteilung vorab nur von einer "menschenähnlichen Statue" gewusst haben, nicht aber, dass sie den türkischen Staatspräsidenten zeigt.
Schon am Dienstagmorgen hatte sich der Magistrat mit der Kunstaktion beschäftigt. Die Biennale wolle unter dem Titel "Bad News" provozieren, es sei klar gewesen, dass das auch diskussionswürdige Aktionen bedeute, hieß es zunächst. Dabei wurde noch entschieden: Erdogan darf bleiben, im Sinne der Kunstfreiheit - es sei denn, die öffentliche Sicherheit werde gefährdet. Dieser Punkt war nach 24 Stunden erreicht.
Was mit der Statue nun passiert - darüber wollen die Biennale-Organisatoren in den kommenden Tagen beraten.