Mit Präzision und Geduld Hanauer Graveure bestimmen den Look der Zwei-Euro-Münze
Winzige Kunstwerke, 30 Millionen mal geprägt: An der Zeichenakademie Hanau entstehen Werke, die noch in tausenden von Jahren für Gesprächsstoff sorgen könnten, etwa bei Ausgrabungen. Denn die Motive, die die Graveure entwerfen, zieren unter anderem unsere Euro-Münzen.
Paul atmet durch und führt mit ruhiger Hand den Stichel über das Messingblech vor ihm: Jetzt bloß nicht abrutschen, denn schon ein kleiner Wackler, ein Millimeter Abweichung von der geplanten Skizze genügt, und er muss von Neuem mit der Arbeit an seinem Gesellenstück anfangen.
Am Tisch gegenüber arbeitet Kai hochkonzentriert an einem Kupferstich: Eine feine, geschwungene Linie erscheint und macht das kleine Efeublatt auf dem Wappen komplett. Prüfend hält der Graveur-Schüler seine Arbeit unters Licht. "Wenn ich den Stichel nur ein bisschen anders gehalten hätte, dann würde die Linie jetzt nicht so schimmern", erklärt er.
Kai und Paul sind zwei von zehn Auszubildenden, die an der Zeichenakademie in Hanau den Beruf des Graveurs lernen - eine unbezahlte Weiterbildung, die dreieinhalb Jahre dauert und die etwa Goldschmiedinnen und Goldschmiede als Zusatz absolvieren.
Ohne Graveure keine Euros
Die Arbeit der Graveure hat neben Schmuck wie Eheringen auch einen alltäglichen Nutzen: Berufsschullehrer Michael Otto hat am Auswahlwettbewerb teilgenommen und in diesem Jahr ein Motiv für die Zwei-Euro-Münze erarbeitet.
"Es ist ein irres Gefühl, wenn man den Wettbewerb des Bundesfinanzministeriums gewinnt", sagt der Graveur. Bereits elf Mal ist ein Motiv aus der Hand des Meisters auf einer Euro-Münze gelandet. Der aktuelle Entwurf zeigt eine Klippe mit Felsen im Wasser und eine Person, die in die Ferne schaut - der Königsstuhl in Mecklenburg-Vorpommern.
Kreativität in der Beschränkung finden
Für die Gestaltung von Euro-Münzen macht das Ministerium strenge Vorgaben: Der Bundesadler müsse zum Beispiel mit offenen Flügeln dargestellt werden, erklärt Michael Otto. Schnabel, Zunge und Krallen müssten erkennbar sein.
Das klinge zwar nicht nach viel Gestaltungsspielraum, doch genau das sporne ihn an: "Die Kreativität innerhalb der Beschränkung ist ja gerade die Faszination und eine große Herausforderung." Wochenlang erarbeite er mit viel Geduld das perfekte Modell.
Beim Zeichnen schon den Lichteinfall mitdenken
"Das Wichtigste beim Gravieren ist eigentlich die Planung", bestätigt Schüler Kai. Den Lichteinfall etwa denke er bei jeder Skizze schon mit. Das Motiv wird zuerst gezeichnet und dann mittels verschiedener Techniken auf eine Kupferplatte übertragen.
Auch bei diesem Arbeitsschritt ist äußerste Präzision gefragt. "Wenn ich das Motiv nicht ordentlich auf dem Blech habe, wenn das verwischt ist, dann ist das unglaublich schwierig".
Wappen auf Waffen auch heute noch gefragt
Kai hat sich für einen geflügelten Löwen entschieden, umgeben von Efeuranken und einem Helm mit Krone, aus dem drei imposante Federn ragen. "Ich bin ein großer Fan der Heraldik", schwärmt der 24-Jährige.
Unter Heraldik versteht man die Lehre vom Wappenrecht, von den Wappendarstellungen und von der Geschichte des Wappenwesens. Dieses Fachgebiet ist fast tausend Jahr alt und steht an der Zeichenakademie in Hanau noch immer auf dem Lehrplan. Häufig lassen sich Waffenfans Gewehre, Schwerter oder Schilde von Graveurinnen oder Graveuren mit solchen Wappen verzieren.
Nischenberuf mit großer gesellschaftlicher Bedeutung
"Es ist kein Mainstream-Beruf, das muss man ganz klar sagen", so Berufsschullehrer Michael Otto, "aber wir brauchen Spezialisten".
An einer Aufstellwand in der Werkstatt hängen tellergroße, kreisrunde Gipsschablonen. Darauf zu sehen sind Schiffe aller Art auf der einen, der Bundesadler auf der anderen Seite - hergestellt von den Schülerinnen und Schülern für einen Wettbewerb, um irgendwann mal in die Fußstapfen ihres Lehrers zu treten und die echten Motive etwa für Euro-Münzen zu entwerfen.
Michael Otto hat für das Bundesfinanzministerium auch einige Sammlermünzen entworfen, beispielweise mit Motiven zu Goethes Faust, Hans im Glück von den Gebrüdern Grimm oder zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant.
30 Millionen mal geprägt – Dokumente für die Ewigkeit
Rund 30 Millionen Mal ist der Entwurf von Ausbilder Michael Otto für die Zwei-Euro-Münze bereits vervielfältigt worden und das macht ihn stolz. "Wir schaffen hier echte Kulturgüter" und das müsse auch trotz niedriger Schülerzahlen so bleiben. Die Münzen seien so etwas wie die "Visitenkarten unseres Landes" und dazu ein "Zeitdokument in Metall". "Geschichte bleibt uns über solche Metallprägungen besser erhalten als über Papier."
Die Vorstellung, dass in vielen hundert oder sogar tausend Jahren andere Menschen mal eine Münze finden könnten, die aus den Händen der Hanauer Graveurinnen und Graveure stammt, sei "einfach atemberaubend".