"Het Onderwater Cabaret" Wiesbadener macht Satire-Magazin gegen Nazis nach 80 Jahren öffentlich
Im Zweiten Weltkrieg gestaltete der im Untergrund lebende Jude Curt Bloch ein Satire-Magazin. Rund 80 Jahre später wird sein kreativer Kampf gegen die Nazis nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Ohne das Engagement eines Wiesbadeners wäre es dazu wohl nicht gekommen.
"Ich bin nicht zu besiegen, wie sehr ihr’s auch probiert, ich bin nicht kleinzukriegen, ob ihr mich malträtiert", schrieb Curt Bloch 1945, nur wenige Monate vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs.
Zu diesem Zeitpunkt lebte der in Dortmund geborene jüdische Jurist schon seit mehr als zwei Jahren im Untergrund in den Niederlanden, wo er sich unter anderem auf einem Dachboden vor den Nazis versteckte.
Blochs Gedicht "Ahasver" dürfte nicht nur ihn selbst zum Durchhalten motiviert haben, sondern auch weitere Untergetauchte: Als Teil des von ihm verfassten Satire-Magazins "Het Onderwater Cabaret" (OWC), auf Deutsch "Das Unterwasserkabarett", zirkulierte es im Widerstandsnetzwerk.
Wiesbadener macht Nachlass bekannt
Um sich während seiner Zeit im Versteck zu beschäftigen, produzierte Bloch zwischen 1943 und Kriegsende insgesamt 96 Hefte des "Unterwasserkabaretts". Der Name ist eine Anspielung an das Untertauchen der Verfolgten. Jetzt werden sie erstmals der Öffentlichkeit präsentiert: im Jüdischen Museum Berlin und mit einem Online-Projekt.
Dass die Welt nach fast 80 Jahren von diesem kreativen Widerstand erfährt, ist unter anderem Thilo von Debschitz aus Wiesbaden zu verdanken.
Der Kommunikationsdesigner hat gemeinsam mit Blochs Tochter, Simone Bloch, und Unterstützung von unter anderem dem Rotary Club Wiesbaden-Kochbrunnen eine Webseite gestaltet, die den Nachlass des Widerstandskämpfers zeigt, Hintergrundinformationen liefert und die Magazin-Inhalte jedem zugänglich macht - nach Jahrzehnten, in denen die Postkarten-großen Hefte in der Wohnung der Familie aufbewahrt wurden.
Kontaktaufnahme über Facebook
Als Kind habe sie die Magazine mit Zeichnungen von Adolf Hitler oder Joseph Goebbels darauf als einschüchternd und unheimlich empfunden, sagte Bloch der englischen Zeitung "The Guardian". Erst Jahre später habe sie verstanden, dass sie für den Kampf ihres Vaters gegen den Holocaust stünden.
Auf von Debschitz sei sie über ein von ihm gestaltetes Buch über den jüdischen Arzt Fritz Kahn aufmerksam geworden. Sie kontaktierte ihn auf Facebook. "Sie hat gefragt, ob ich ihr helfen kann, den kreativen Nachlass ihres Vaters nach Europa zu bringen", sagt der Wiesbadener.
"Ein kleines Kunstwerk"
Als er die Hefte zum ersten Mal gesehen habe, sei er "fast vom Glauben abgefallen, dass man so einen Schatz fast 80 Jahre später überhaupt noch heben kann". Bloch thematisiert darin auf ironische Art unter anderem Kriegsereignisse, Nazipropaganda, seine Situation im Versteck und das Schicksal seiner Familie.
Seine Gedichte sind auf Niederländisch und Deutsch verfasst, teilweise auch Englisch. Für die Cover gestaltete er Collagen aus Zeitungsausschnitten und zeichnete Karikaturen. "Er hat sein eigenes kleines Kunstwerk geschaffen mit Schere, Leim und den Illustrierten, die ihm seine Helfer gebracht haben", erklärt der Designer.
Satire als Waffe
Seine Freunde im Widerstand reichten das neueste Magazin untereinander weiter. Sobald jeder der rund 30 Menschen es einmal gelesen hatte, kam es zurück zu Bloch - der in der Zeit schon die nächste Ausgabe gestaltet hatte.
Sich mit einem solchen Satireheft erwischen zu lassen, sei lebensgefährlich gewesen, weiß von Debschitz. "Auf Spottgedichte auf Adolf Hitler, auf Joseph Goebbels, stand in jedem Fall die Todesstrafe."
Bloch habe Satire als eine Waffe genutzt. Man könne aus seinen Gedichten aber auch seine Verzweiflung herauslesen, die Sorgen, die er sich um die Zukunft seiner Familie machte, sagt von Debschitz.
Ausstellung in Berlin
Um Blochs Vermächtnis noch präsenter zu machen, stellte der Designer einen Kontakt zwischen Simone Bloch und dem Jüdischen Museum Berlin her.
Im Rahmen der Ausstellung "Mein Dichten ist wie Dynamit" werden dort ab Freitag alle Ausgaben von "Het Onderwater Cabaret" mit insgesamt 483 handgeschriebenen Gedichten sowie weitere Schriften Blochs ausgestellt. Sie wurden dafür aufwendig restauriert. Ergänzend bietet ein Online-Feature Einblick in drei ausgewählte Hefte.
Themen weiterhin aktuell
Am 3. April 1945, zwei Tage nach der Befreiung von Enschede, erschien die letzte Ausgabe des "Onderwater Cabaret". Blochs Hefte seien eine großartige Wiederentdeckung, sagt von Debschitz. "Der Inhalt ist nach wie vor sehr aktuell: Es geht um Frieden, um Gerechtigkeit und den Kampf gegen Antisemitismus und Faschismus."
Aus der Vergangenheit könne man auch etwas für die heutige Zeit mitnehmen, heißt es auf der Webseite: Wenn man die Geschehnisse der Vergangenheit besser verstehe, könne man sich jeglicher Form der Diskriminierung in der Gegenwart entgegenstellen.
Sendung: hr2, 08.02.2024, 16.40 Uhr
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