hr-Sinfonieorchester in Friedberg Ein Hörerlebnis für Hörbeeinträchtigte
Ein Kontrabass, Tuben und Geigen in der Turnhalle – Zeichen für ein besonderes Event: Die diesjährige Schultour des hr-Sinfonieorchesters ist gestartet. Zum Auftakt gaben die Musiker und Musikerinnen ein Konzert in einer Schule für Kinder mit Hörbehinderung.
Es ist eine ganz besondere Atmosphäre in der Turnhalle der Johannes-Vatter-Schule in Friedberg, einer Schule mit dem Förderschwerpunkt Hören: Es fiedelt, trötet und trommelt. Alles klingt noch durcheinander, denn erstmal werden die Instrumente noch ein- und aufeinander abgestimmt.
Gleichzeitig füllen sich die Turn-Matten und Bänke mit Schülerinnen und Schülern. Es wird geflüstert, wild gestikuliert und gekichert. Und es liegt spürbar eine Spannung in der Luft. Seit Tagen freuen sich die Kinder und Jugendlichen auf dieses Schulkonzert, erzählt Direktor Bernhard Hohl.
Er ist sicher: "Allein die Masse an Instrumenten, diese große Menge an Musikern, dieser Schalleindruck, der hier entsteht: Das wird für die Kinder ein unglaubliches Erlebnis."
Mitten im Geschehen
Ein paar Kinder haben einen besonderen Platz, denn wer beim Aufbau mitgeholfen hat, darf mitten unter den 45 Musikerinnen und Musiker sitzen und die Instrumente hautnah erleben. Dann betritt Dirigentin Katharina Müllner unter Applaus die Turnhalle, platziert sich auf einem kleinen Podest und schlagartig wird es ruhig im Saal. Die ersten Klänge aus der Oper Carmen erklingen. Erst mitreißend und laut, dann verhaltener.
Manche Kinder sitzen mit offenem Mund da, andere haben die Augen geschlossen oder wiegen sich leicht im Takt. Jedes der 150 Kinder und Jugendlichen im Publikum nimmt die Töne anders wahr, denn alle hier haben eine Hörbeeinträchtigung.
Manche Schüler und Schülerinnen hören nur auf einem Ohr oder hören nur bestimmte Frequenzen, andere haben ein Hörgerät oder ein Cochlea-Implantat und einige Kinder sind auch vollständig taub.
Musik kann man auch spüren
Der 13-Jährige Noah zum Beispiel hört nur auf einem Ohr. Aber er weiß, dass man Musik auch noch anders wahrnehmen kann. "Wenn man wirklich sehr schlecht hört, ist die Vibration auch immer entscheidend. Die spüren ja alle." Und ja, bei so einem großen Sinfonieorchester im Raum gibt es sehr viele Vibrationen. Nicht nur in der ersten Reihe, denn die Schwingungen übertragen sich über die Luft und den Boden.
Auch optisch ist einiges geboten: Wie sitzen die Musiker zusammen? Was ist das größte, welches das kleinste Instrument in so einem Orchester? Und wie heißen die überhaupt? Mit kleinen Zwischenmoderationen – die natürlich von einer Gebärdendolmetscherin übersetzt werden – bekommen die Schülerinnen und Schüler genau solche Fragen beantwortet.
Klassische Musik kann auch spannend sein
Ganz nebenbei gibt es launige Einblicke in die Welt der klassischen Musik: Eine Oper beginne immer mit einer Ouvertüre, erklärt die Moderatorin zum Beispiel. "Nicht zu verwechseln mit der Kuvertüre, die es auf dem Kuchen gibt", erklärt sie. Obwohl es durchaus eine Gemeinsamkeit gebe: "Die Kuvertüre ist das Erste, was man als Geschmack in den Mund bekommt, wenn man in das Stück hineinbeißt." Die Ouvertüre sei der erste "Geschmack" für die Ohren von einer Oper.
Mozart, Grieg, Bizet, Beethoven – es ist ein bunter Mix, ein Eindruck von der Vielfalt klassischer Musik, den die Schülerinnen und Schüler bei diesem Konzert bekommen.
Tosender Applaus für junge Solistin
Dann tritt eine Solistin auf und ein Raunen geht durch das Publikum. Denn die Violinistin Josephine Stelter ist offensichtlich jung. Sehr jung. Sie ist gerade erst 18 geworden.
Als sie für das Scherzo vivacissimo vom Komponisten Prokofjew ihre Geige in rasender Geschwindigkeit und Virtuosität bearbeitet, sind alle fasziniert. Selbst die Jugendlichen, die vorher Schwierigkeiten beim Stillsitzen hatten. Tosender Applaus, als sie fertig ist.
Beeindrucktes Publikum
Als sie bei der anschließenden Fragerunde verrät, dass sie schon mit vier Jahren angefangen hat, Geige zu spielen, geht ein beeindrucktes Raunen durch die Turnhalle. Josephine selbst kennt das schon. Deshalb ist sie gerne bei Schulkonzerten dabei: "Wenn man immer nur die älteren Menschen sieht, die im Orchester sitzen, dann ist das ein Stückchen weiter weg, als wenn da jemand steht, der 16, 17 Jahre alt ist." Die Kinder bekämen durch eine junge Protagonistin einen viel besseren Bezug zu der Musik.
In der Turnhalle der Johannes-Vatter-Schule ist das Konzept der Schulkonzerte auf jeden Fall aufgegangen. Es gab begeisterte Gesichter, viel Applaus und danach sogar Feedback.
Zum Beispiel von der 15-jährigen Pia: "Ich höre auch sehr gerne Musik, nur manchmal habe ich damit Probleme. Für mich war es heute sehr faszinierend." Und Noah setzt sogar noch einen drauf: "Ich finde, dass man der klassischen Musik auch mal eine Chance geben kann."