Audio Mehr als Fluxus: Alison Knowles im Museum Wiesbaden
Die erste Retrospektive der amerikanischen Künstlerin zeigt keine Unbekannte: Bereits 1962 haben in der Landeshauptstadt die Fluxus-Festspiele ihren Ausgang genommen, die eine neue Kunstrichtung begründet habe, Alison Knowles war damals als einzige Frau mit dabei.
Was genau ist nochmal Fluxus?
Das Wort kommt aus dem Lateinischen und bedeutet soviel wie "fließend". Also einen fließenden Übergang von Kunst und Leben, bei dem Kreativität und Zufall gleichberechtigt sind. Die Fluxurianer haben radikale Fragen gestellt: "Wie funktioniert eigentlich Kunst, wo findet sie statt, wer macht Kunst und wer erklärt, was Kunst eigentlich ist?" Kunst wurde neu gedacht, Autoritäten in Frage gestellt, es ging um Interaktion mit dem Publikum und durfte auch gerne mal schockieren, so hat man 1962 als Höhepunkt des Festivals einen Flügel zerstört.
Spielen die Performances in der Ausstellung eine Rolle, sie sind ja ihrer Natur nach vergänglich…
Naturgemäß sind Performances schwer auszustellen. Sie werden in der Retrospektive in Wiesbaden durch Fotografien und Filmaufnahmen dokumentiert. Z.B. durch einen Film des Hessischen Rundfunks, der das Fluxus Festival dokumentiert hat. Andere Aktionen wie den „Identical lunch“, das gemeinsame Essen mit Künstlerkollegen, hat Alison Knowles später in Siebdrucke umgesetzt. Quadratisch, gelb und poppig, wie LP-Cover, hängen Bilder von George Macunias oder Anne Brazeau mit vollem Mund an der Wand.
Jetzt geht es aber in der Retrospektive zu Alison Knowles um ihr ganzes Werk, was ist noch zu sehen?
Bisher ist die Amerikanerin Alison Knowles nur im Kontext von Fluxus nach Europa eingeladen worden. Sie hat Malerei studiert, auch bei bekannten Lehrern, wie z.B. dem abstrakten Expressionisten Franz Kline. Ende der 50er Jahre begegnet sie dann John Cage, lernt über ihn die Bedeutung des Zufalls in der Komposition kennen und beginnt sofort, eine neue Kunst zu schaffen, die nichts mehr z.B. mit klassischer Komposition zu tun hat.
John Cage hat Zufallskompositionen entwickelt, die nach dem Prinzip des Würfelwerfens funktionieren...
Etwas ganz Vergleichbares hat auch Alison Knowles in der Malerei gemacht: Sie hat beispielsweise einen Leinenträger gefaltet, hat die verschiedenen Positionen durchnummeriert und hat gewürfelt, wo welche Form hinkommt und wo welche Farbe hinkommt. Sie hat auch Gegenstände gesammelt, diese mit Bezeichnungen versehen und in Setzkästen gepackt. Sie war auch eine der ersten, die mit Lebensmitteln gearbeitet hat: In Wiesbaden ist eine Art Sandkasten aufgebaut, der mit weißen Bohnen gefüllt ist. Man kann als Besucher die Schuhe ausziehen und die Bohnen mit den Füßen zu erkunden. Die Geräusche, die man dabei macht, werden durch kleine Mikrophone verstärkt. Solche pädagogisch gedachten, integrative Ansätze gibt es bei ihr häufiger. So hat sie eine Installation geschaffen, die mit Blindenschrift arbeitet, durch eine andere Arbeit kann man – theoretisch – hindurchkriechen. Leider geht das in der laufenden Ausstellung dann doch nicht, typisch Museum darf man das Stück nicht berühren.
Alison Knowles war Vorreiterin, die erste weibliche Fluxuskünstlerin – hatte sie feministische Positionen?
Nicht ausdrücklich, sie hat häuslichen Motiven in ihrer Performance-Arbeit verwendet, aber eher aus ihrem Aspekt der Alltäglichkeit heraus. Sie hat z.B. Gegenstände aus ihrer Küche für die Herstellung von Drucken verwendet. Allerdings geht es da nicht um die Konnotation eines weiblichen Lebensraumes, sondern eher um eine Art Symbolschrift, um das Geheimnisvolle im Bekannten, denn die Bilder und Abbilder, die sie mit Küchensieb und Reibe erzeugt werden vollkommen unkenntlich und etwas ganz neues. Alison Knowles hat diesen Sinn für das Praktische, den Blick für die Alltäglichkeiten. Eine Lust an der Kollaboration, das "Um-die-Ecke-denken", das zeichnet das ihr aus. Es macht Sinn, dass diese Retrospektive in Wiesbaden gezeigt wird, wo sie mit ihrer Fluxus-Aktion 1962 schon auf der Bühne stand. Jetzt, 62 Jahre später, werden auch die übrigen Aspekte ihres Werkes gewürdigt.
Sendung: hr2-kultur, 19.9.24, 7:30 Uhr