"Im Westen nichts Neues"-Schauspieler Grünewald im Interview "Der Film ist eine ganz schöne Zumutung an vielen Stellen"
Mit "Im Westen nichts Neues" könnte bei den Oscars erstmals eine deutsche Produktion als bester Film ausgezeichnet werden. Der Frankfurter Adrian Grünewald spielt darin einen jungen Soldaten. Wie er sich auf die Rolle vorbereitet hat, erzählt er im Interview.
Der Roman "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque ist ein Klassiker der Weltliteratur. Die erste Verfilmung von 1930 gilt als einer der besten Filme der US-amerikanischen Geschichte und wurde mit zwei Oscars ausgezeichnet.
Die erste deutsche Filmadaption des Antikriegsromans für den Streamingdienst Netflix könnte ihr nun den Rang ablaufen. Mit neun Nominierungen, darunter als "Bester Film", hat sie zumindest schon zwei Rekorde aufgestellt: Noch nie hatte ein deutscher Film mehr Nominierungen, noch nie war ein deutscher Film als bester Film nominiert.
Mitten drin im Award-Trubel: der 23 Jahre alte Schauspieler Adrian Grünewald aus Frankfurt. Er spielt einen jungen Soldaten, der 1917 voller Euphorie an die Front geht, schnell aber von der Realität eingeholt wird. Im Interview erzählt er, wie er die Dreharbeiten erlebt hat.
hessenschau.de: Sie sind 23 Jahre alt, der Erste Weltkrieg weit weg. Wie fühlt man sich in eine solche Rolle hinein?
Adrian Grünewald: Das ist ein total bizarres Erlebnis gewesen. Man kommt da hin und macht bei so einer Illusionsmaschine mit, befindet sich auf einmal in einer Kriegssituation.
Ich habe ganz viel gelesen, Dokumentationen gesehen und versucht, ein Gefühl zu bekommen durch Berichte von Leuten damals. Aber es ist tatsächlich so, dass man das gar nicht alleine als Figur, als Darsteller erzählen muss. Da sind so viele Bereiche und so viele Leute, die gemeinsam daran arbeiten, diese Illusion zu erschaffen.
hessenschau.de: Wie haben Sie die Dreharbeiten erlebt?
Grünewald: Wir haben vor zwei Jahren gedreht, das ging über mehrere Monate. Anfangs gab es ein Bootcamp, in dem wir uns vorbereitet haben. Wir haben mit Militärexperten gesprochen und sind ein bisschen eingeführt worden: wie man eine Gasmaske anzieht, wie man richtig salutiert. Da waren wir erst mal ein paar Wochen beschäftigt.
Es ist ja doch eine besondere Situation, so etwas zu spielen und zu vermitteln. Sobald man am Set ist, wird einem wirklich angst und bange. Da kommen diese 200 Komparsen, es gehen Fake-Explosionen hoch, es ist schlammig, und von oben kommt Regen.
Meine Figur Ludwig ist kein erfahrener Soldat, sondern genau wie ich ein Junge, der sehr wenig Erfahrung mit Krieg hat. Er kommt da hin und kann das alles überhaupt nicht fassen. Das war für mich sehr dankbar.
hessenschau.de: Was ist dieser Ludwig für ein Mensch?
Grünewald: Er ist ein Freund und Klassenkamerad der Hauptfigur Paul Bäumer und zieht 1917, angesteckt von dieser Propaganda und Euphorie, mit in den Krieg. Aber an der Front fällt er ganz schnell aus allen Wolken und ist geschockt. Alles in ihm sträubt sich gegen diese Situation, aber er kann nicht mehr zurück.
hessenschau.de: Kannten Sie den Roman oder eine der früheren Verfilmungen vor den Dreharbeiten?
Grünewald: Als die Anfrage kam, hatte ich den Roman noch nicht gelesen. Das war im ersten Lockdown. Ich habe mich dann hingesetzt und dieses Buch gelesen und war total berührt. Ich wusste, dass ich da unbedingt mitwirken möchte.
Die Verfilmung von 1930 habe ich im Prozess der Vorbereitung angeschaut, die ist auch unheimlich eindrucksvoll und stark.
hessenschau.de: Seit einem Jahr herrscht wieder Krieg in Europa. Hat sich Ihr Blick auf das Weltgeschehen, auf den Krieg durch die Arbeit an dem Film geändert?
Grünewald: Natürlich kriegt man bei solchen Dreharbeiten einen kleinen Einblick, und ich habe erfahren, wie das ist für einen Soldaten ist. Trotzdem kratzt man nur an der Oberfläche. Man fährt wieder zurück zum Hotel und wird bemuttert, hat da Mittagessen und Buffet. Auch wenn diese Dreherfahrung sehr eindrücklich war, kann ich, glaube ich, nicht sagen, dass ich annähernd Kriegserfahrungen gemacht habe.
hessenschau.de: Zum Cast gehören Daniel Brühl und Albrecht Schuch. Wie war das, mit so erfahrenen Schauspielern zu arbeiten?
Grünewald: Es war eine Freude. Ich habe selbst nur mit Albrecht Schuch gedreht, aber das war eine ganz tolle Erfahrung. Es war spannend zu sehen, wie er mit seiner Erfahrung an die Sache herangeht.
Wir haben uns als Gruppe gegenseitig supported und auch den Film gemeinsam das erste Mal gesehen. Wir waren total geplättet und konnten danach nicht groß sprechen. Der Film ist eine ganz schöne Zumutung, an vielen Stellen kann man gar nicht richtig hinschauen. Auch wenn man die Leute kennt, die da spielen und weiß, das ist alles nur Illusion.
hessenschau.de: Sie schreiben gemeinsam auch deutsche Filmgeschichte: Der Film wurde bei den BAFTAs, den British Academy Film Awards, insgesamt siebenmal ausgezeichnet, darunter als Bester Film. Außerdem ist er für neun Oscars nominiert - ein Rekord. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Grünewald: Nein, es hat mich sehr überrascht. Es ist überwältigend und freut mich auch für die Kolleginnen und Kollegen, dass ihre Arbeit so gewürdigt wird.
hessenschau.de: Wie schätzen Sie die Chancen bei der Oscar-Verleihung am Sonntag ein? Fliegen Sie mit nach Los Angeles?
Grünewald: Die Chancen kann ich überhaupt nicht einschätzen. Ich war ja schon bei den BAFTAs total baff. Das hätte ich überhaupt nicht gedacht, dass der Film da wirklich so abräumt. Mit nach L. A. fliege ich nicht. Ich glaube, das ist ein sehr, sehr ausgesuchter Kreis, der da bei den Oscars sein wird.
hessenschau.de: Würden Sie sagen, der Film hat Ihre Arbeit verändert? Welche Projekte stehen als nächstes für Sie an?
Grünewald: Es ist natürlich seit dem Ende der Dreharbeiten von "Im Westen nichts Neues" viel passiert. Ich habe erst mal meinen Abschluss gemacht und andere Projekte gehabt, zum Beispiel einen Rostock-"Polizeiruf" letztes Jahr. Gerade mache ich die dritte Staffel der ZDF-Serie "Sløborn" und spiele Theater am Berliner Ensemble.
Ich fände es spannend, wenn mit dem Alter und der Reife in den nächsten Jahren andere Rollen und Perspektiven hinzukommen. Da wird sich noch mal ein ganz anderes Spielspektrum eröffnen, darauf freue ich mich sehr.
hessenschau.de: Und dann lieber eine Romantic Comedy als Kriegsfilme, bei denen man im Schlamm robben muss?
Grünewald: Romantic Comedy habe ich tatsächlich noch gar nicht gemacht. Wäre vielleicht auch mal ganz spannend.
Das Gespräch führte Jan Tussing.
Sendung: hr-iNFO, 06.03.2023, 6.30 Uhr
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