Mehr als Show und Schauspiel Wie Impro-Theater das Leben bereichern kann
Keine Vorgaben und keine Regie: Beim Improvisationstheater entsteht alles ganz spontan. Für einige Akteure ist diese Kunstform mehr als eine Bühnen-Performance. Sie sehen fast schon eine therapeutische Wirkung in der Theaterform.
Beruflich war Michael "Shaggy" Schwarz eine Zeit lang auf (zu) vielen Baustellen unterwegs: Künstler, Moderator, DJ, Podcaster und einiges mehr. "Ich habe nicht mehr gemerkt, was ich da alles mache und bin seelisch in ein Loch gestürzt", sagt er.
Vor zwei Jahren litt er dann nach eigener Aussage unter Burn-out und besann sich auf Dinge, für die er die größte Liebe und Leidenschaft empfindet. Aus der Krise geholfen habe ihm schließlich auch Improvisationstheater, erzählt Schwarz. "Das hat mein Leben verändert."
Keine Regie, keine Vorgaben
Mittlerweile leitet Schwarz eine Impro-Theaterschule in Fulda. Das Improvisieren sei nicht nur ein kultureller Akt, sondern vielmehr eine Philosophie: "An Grenzen kommen, scheitern und wieder aufstehen: Das sind Fähigkeiten, die jeder im Leben benötigt."
Beim Impro-Theater spielt ein Solokünstler oder ein Ensemble frei und ohne Vorgaben. Es gibt keinen Regisseur, der etwas inszeniert. Jede Szene eröffnet eine neue Welt. Die Schauspieler wissen nicht, was passiert und müssen sich blitzschnell auf neue Situationen einstellen.
Eine Form von Lebenshilfe
Das fördert einerseits die Kreativität. Für seine Schülerinnen und Schüler sei dieser Gegenpol zum klassischen Theater aber auch eine Form von Lebenshilfe und ein Booster beim Herauskitzeln verborgener Fähigkeiten.
"Impro-Theater hilft, schlagfertiger und selbstbewusster zu werden", erklärt der Fuldaer. "Unvorhergesehenes bewältigt man auch besser."
Publikum gibt Impulse
Nicht selten ist es auch das Publikum, das den Akteuren auf der Bühne Themen vorgibt. Es kann dem zuvor mit einem Titel bedachten Akt während der Aufführung eine völlig andere Wendung geben, ist gleichermaßen Stimmungsmacher und Impulsgeber.
Beim Impro-Theater wird auch gesungen und getanzt. Durch all das entsteht eine besondere, unberechenbare Dynamik, die die Zuschauerinnen und Zuschauer ins Geschehen einbindet. Überraschungsmomente sind vorprogrammiert – und Spontaneität bei den Schauspielerinnen und Schauspielern besonders gefragt.
Impro-Theaterfestival wird zum Fight
Kostproben des Impro-Theaters bekommt das Publikum am Samstag auf der Bühne im Kulturkeller Fulda bei der Improvisations-Meisterschaft. Beim "Fuldaer Impro Fight" treten zehn Teilnehmende treten gegeneinander an.
Auf der Bühne stehen Profis, die mit Theaterspielen ihr Geld verdienen, und sehr ambitionierte Amateure. Das Publikum entscheidet, wer den Siegerpokal bekommt.
Aber der Sieg, Ruhm und Ehre sind nicht so wichtig, erklärt Schwarz. "Es geht darum, Spaß auf der Bühne zu haben, miteinander zu spielen und neue Erfahrungen zu sammeln."
Nachfrage gestiegen
Schwarz beobachtet einen regelrechten Boom beim Impro-Theater in Deutschland. Seit dem Aufkommen dieser Kunstform in den 1980er Jahren haben sich Dutzende von Schulen und Hunderte von Gruppen im Bundesgebiet gebildet, zum Beispiel das Wiesbadener Ensemble "Für Garderobe keine Haftung", das 2021 Kulturpreis der Landeshauptstadt gewann.
Eine stark gewachsene Nachfrage sieht Schwarz auch in seiner Schule Impro-Theater Fulda, die seit dem vergangenen Jahr im Konzept-Kaufhaus Karl eine neue Heimat gefunden hat. Hunderte Schülerinnen und Schüler hatte er bereits. "Wer mal einen Schnupperkurs gemacht hat, bleibt mit hoher Wahrscheinlichkeit dabei", freut er sich.
"Keine Berührungsängste mehr"
Gerhilde Blum zum Beispiel macht seit knapp zwei Jahren mit. "Das Spielen ohne Vorgaben ist toll, sehr kreativ. Ich mag es, Grenzen und Regeln zu überschreiten", sagt die Beamtin im Ruhestand. "Ich kann auch Lust daran empfinden, mal zu scheitern – und über mich selbst zu lachen."
Vorher habe sie eher zurückgezogen gelebt und sich mit Vorliebe um Haus und Garten gekümmert. Durchs Impro-Theater sei sie aufgeblüht, sagt die in Schlitz (Vogelsberg) lebende 68-Jährige. Für ihr Leben und ihren Umgang mit Menschen habe es einen Schub gegeben: "Ich habe keine Berührungsängste mehr."
Freies Spiel ohne Einschränkungen
Auch Lisa-Marie Niwek spielt in der Fuldaer Impro-Schule Theater und coacht dort nebenbei den Nachwuchs. Die 16 Jahre alte Gymnasiastin mochte in der Schule das Darstellende Spiel überhaupt nicht. "Das schränkte mich ein, auch in meiner Kreativität. Man ist gezwungen, Rollen auszufüllen." Nun spüre sie Freiheit im Spiel.
Und auch Niwek hat durchs Impro-Theater eine Entwicklung wahrgenommen. "Ich habe gelernt, mit Fehlern und Problemen besser umzugehen, auch im zwischenmenschlichen Bereich." Sie sei kommunikativer und offener. "Es ist eine riesige Bereicherung für mein Leben."