Inklusion in Theater und Co. Wie können Menschen mit Behinderung Kulturangebote nutzen?
Ob Kino, Konzert oder Theater - Kultur-Angebote sind ein sinnliches Erlebnis. Leider können Menschen mit Behinderungen das oft nicht genießen und noch seltener können sie selbst mit auf die Bühne. Wie barrierefrei ist also Kultur?
Es knallt und tönt, Menschen treten auf und ab, es wird mit Kostümen und Kulissen gespielt: Genau solche Effekte und Spielereien auf der Bühne können Menschen mit Behinderung oft nicht wahrnehmen, weil sie zum Beispiel taub sind. Oder blind. Oder andere körperliche oder mentale Einschränkungen haben.
Audio-Deskription und spezielle Einführungen in Marburg
Isabella Brawata, die obwohl sie blind ist, gerne ins Theater geht, erinnert sich an eine Krimi-Inszenierung. "Da gab es eine Szene, wo jemand erschossen wurde, und alle Zuschauer wussten, wer erschossen ist, aber ich dachte, Mist, wer war das denn jetzt?"
Genau für solche Fälle arbeitet etwa das Hessischen Landestheater Marburg mit Audio-Deskription. Dabei bekommen Sehbehinderte einen Kopfhörer und hören eine Stimme, die schildert, was auf der Bühne zu sehen ist.
Am Landestheater werden schon seit 2017 Aufführungen mit Audio-Deskription angeboten. Zwar nicht für alle Stücke, aber es werden immer mehr. Und auch vor der Aufführung wird an Sehbehinderte gedacht, lobt Isabella Brawata. "Oft ist es so, dass blinde und sehbehinderte Zuschauerinnen und Zuschauer vorher da sein dürfen, dann wird das ganze Bühnenbild beschrieben, wer mitspielt und wie die Leute gekleidet sind."
Feste Mitarbeiterin kümmert sich um Barrierefreiheit
Noch umfangreicher setzt das Künstler- und Künstlerinnenhaus Mousonturm in Frankfurt die Barrierefreiheit um. Das Theater will nach eigenen Angaben Kultur für alle bieten. Ein wichtiger Schritt dahin ist eine Vollzeitstelle im Haus, die seit November von Lea Gockel besetzt wird. Sie ist die Koordinatorin für Barrierefreiheit und hat schon einiges umgesetzt: Im Foyer, im Lokal und an der Bar gibt es verschiedene Sitz- und Liegemöglichkeiten, Kopfhörer, Knautschbälle und sogar eine Chill-Out Zone mit abgedunkeltem Bereich, damit sich Menschen entspannen und reizarme Bereiche aufsuchen können.
Publikum und Theatermacher werden bedacht
Der Bartresen selbst wird an manchen Stellen abgesenkt, "damit Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer auf Augenhöhe bestellen können", erklärt Gockel. Und auch sehbehinderte Personen finden die abgesenkte Bar gut, weil es für sie einfacher ist, auf dieser Höhe ein Glas zu ertasten. "Wie ganz oft kommt Barrierefreiheit vielen Menschen zugute, wenn man sich damit beschäftigt."
Mit speziellen Residence-Programmen sollen angehende Theaterschaffende mit Behinderung unterstützt werden. "Der klassischen Weg einer Schauspiel- oder Regieausbildung ist für Künstlerinnen und Künstler mit Behinderung nicht möglich", meint Gockel.
Oft ist Rampe das Maximum an Inklusion
Die meisten Kulturbetriebe in Hessen sind allerdings noch lange nicht so weit, Barrierefreiheit und Inklusion umfassend zu denken. Sobald es über die Rampe am Eingang oder den Aufzug zur Behindertentoilette hinausgeht, sieht es häufig schlecht aus.
Zwar baut das Stadttheater Darmstadt ein taktiles Leitsystem für Sehbehinderte ein oder in Wiesbaden wird für eine Tanzaufführung mit behinderten Menschen geprobt, aber oft bleibt es bei Einzel-Aktionen.
Sozialverband: "Von Inklusion weit entfernt."
Der Sozialverband VdK Hessen-Thüringen betont, "von einem wirklich inklusiven Miteinander sind wir auch im Kulturbereich noch weit entfernt." Schon bei dem Versuch, sich über das Kulturangebot einer Stadt zu informieren, stünden etwa Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen oder mit kognitiven Einschränkungen vor großen Herausforderungen, meint VdK-Sprecherin Silke Asmußen.
"Weil die entsprechenden Informationen häufig weder in Brailleschrift noch in leichter Sprache verfügbar sind." Besonders wichtig sei es, kommunale Behindertenbeauftragte bei der Planung von Kulturangeboten vor Ort mit einzubeziehen.
Intendant: "Barrierefreiheit kostet Geld."
Die Brüder GrimmFestspiele in Hanau rühmen sich seit der vergangenen Spielzeit, dass sie barrierefrei seien, weil sie mit Gebärden-Dolmetschern und mit Audio-Deskription arbeiten. Tatsächlich gibt es in dieser Saison eine einzige Aufführung, die in Gebärdensprache übersetzt wird und auch die Audio-Deskription gibt es nur bei einer einzigen Aufführung von "Hans im Glück".
Festival-Intendant Frank-Lorentz Engel erklärt das mit hohem Aufwand und Kosten. Für die Audio-Deskription müssten sich die beiden Kommentatoren die Vorstellung vorher anschauen, außerdem "wird eine Kabine im Zuschauerraum aufgebaut, von der aus die beiden lärmgeschützt reden können, damit auch der Rest der Zuschauer nicht gestört wird." Das koste über 5.000 Euro, betont der Intendant, "ohne Sponsor und Aktion Mensch könnten wir das nicht wuppen."
Barrierefreiheit im Budget mitdenken
Die Koordinatorin für Barrierefreiheit in Frankfurt, Lea Gockel, fordert deshalb, dass Kosten für Barrierefreiheit so selbstverständlich eingeplant werden müssten, wie etwa Technikerkosten oder Leihgebühren für Geräte.
Das Ziel müsse sein, Chancengleichheit nicht über extra Budgets zu markieren, nicht Sondertöpfe und Subventionen anzuzapfen, sondern in den regulären Kulturbetrieb einzupreisen. "Es braucht ein Verständnis davon, was nötig ist und was es kostet, Kultur inklusiv und barrierefrei zu produzieren," betont Gockel.
Sendung: hr2, 06.06.2023, 8.30 Uhr.
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