Interview zu digitalem Ausstellungsprojekt "Wir wollen die afghanische Kultur lebendig halten"
Seit der Machtübernahme der Taliban vor zwei Jahren wurden unzählige Kunstwerke in Afghanistan vernichtet, neue Kunst zu schaffen ist lebensgefährlich. Der Nassauische Kunstverein in Wiesbaden will afghanischen Künstlern wieder eine Stimme geben - mit einer ambitionierten Ausstellungsserie.
In Afghanistan Kunst produzieren? Das ist seit 2021 faktisch unmöglich geworden. Die Taliban haben die künstlerische Darstellung von Lebewesen, besonders von Menschen, verboten. Kunstschaffende leben in ständiger Angst, verstecken oder zerstören ihre Werke. Teils fielen oder fallen sie Plünderungen und gezielter Zerstörung bei Hausdurchsuchungen zum Opfer.
Einige Künstlerinnen und Künstler arbeiten seit zwei Jahren trotzdem - aber versteckt. Diesen Menschen will der Nassauische Kunstverein helfen - mit der digitalen Ausstellung "Hidden Statement - Art in Afghanistan". Im Interview erzählen Elke Gruhn, die Vorsitzende des Kunstvereins, und Kurator Yama Rahimi von den dramatischen Umständen, in denen die Künstler aktuell leben, wie die Ausstellung funktioniert und was sie erreichen soll.
Das Gespräch führte Sonja Fouraté.
hessenschau.de: Frau Gruhn, Herr Rahimi, Sie wollen eine digitale Ausstellung mit 200 Künstlerinnen und Künstlern stemmen, das klingt ambitioniert. Wie entstand die Idee dazu?
Elke Gruhn: Yama Rahimi und ich, wir kennen uns jetzt schon seit 2015 und seither begleitet uns das Thema Afghanistan. Als die Taliban 2021 die Macht übernommen haben, war sofort die Frage da: Was können wir tun? Also haben wir zunächst mit Evakuierungs-Listen begonnen, mit denen wir der Bundesregierung empfohlen haben, wer aus dem künstlerischen Bereich auf jeden Fall raus muss. Diese Empfehlungen sind inzwischen in das Bundes-Aufnahmeprogramm für Afghanistan gemündet.
Im vergangenen Herbst kam dann die Idee auf, dass wir auch konkret etwas für die Künstlerinnen und Künstler tun wollen, die noch im Land sind und seit zwei Jahren nicht arbeiten können oder dürfen, weil es im Grunde Lebensgefahr bedeutet, künstlerisch tätig zu sein. Das heißt aber nicht, dass nicht weiter produziert wird. Und dafür schaffen wir eine Plattform.
hessenschau.de: Wie erfolgreich sind Ihre Bemühungen bisher?
Yama Rahimi: Wir haben glücklicherweise schon 450 Menschen nach Deutschland evakuieren können, denen wir auch bei der Integration helfen konnten. Jetzt arbeiten wir mit einer Liste von rund 1.000 Personen, die wir rausholen wollen, rund 200 Kunstschaffende und ihre Familien. Denen wollen wir zwischenzeitlich eine Möglichkeit schaffen, sich auszudrücken, etwas zu sagen.
hessenschau.de: Sie stehen in Kontakt mit diesen Menschen. Wie arbeiten sie momentan? Wovon leben sie?
Rahimi: Ich kriege jeden Tag Nachrichten, dass es am Nötigsten fehlt, und dass der Druck, nicht entdeckt zu werden, sehr hoch ist. Selbst über WhatsApp trauen sie sich kaum, ihre Gefühle mitzuteilen.
Gruhn: Es ist im doppelten Sinne eine existentielle Frage. Zum einen geht es um Broterwerb. Kunstschaffende haben kein Einkommen mehr, wenn sie ihre Kunst nicht mehr verkaufen können. Zum anderen ist es für eine Künstlerin oder für einen Künstler unabdingbar wichtig, weiter schaffen zu können und diese Werke dann einer öffentlichen Diskussion auszusetzen, auch um für Kuratorinnen und Kuratoren sichtbar zu sein.
Wir stemmen uns zudem dagegen, dass Netzwerke, die im Kunstbetrieb so wichtig sind, zusammenbrechen. Die afghanischen Kunstschaffenden sind komplett von der Bildfläche verschwunden, weil es faktisch kaum möglich ist, noch Künstler:innen aus dem Land für Veranstaltungen einzuladen. Sie dürfen ja nicht reisen. Es ist ein katastrophaler Zustand.
Der Druck, nicht als Kunstschaffende erkannt zu werden, ist enorm, weswegen wir die Ausstellung auch anonym halten. Kunstschaffende bringen ihre Familie in Gefahr. Das geht so weit, dass sie ihre Kunst vernichten, damit es keine Beweismittel mehr gibt.
hessenschau: Ihr Projekt ist also auch eine Art digitales Archiv?
Gruhn: Digital, weil wir die Kunstwerke unter den jetzigen Umständen nicht raus transportieren können aus Afghanistan, um sie zu retten. Gleichzeitig ist diese Kunst ein Teil der afghanischen Kultur und wir schauen im Moment auch in die Zukunft: Wie wird sich diese afghanische Kultur entwickeln? Fehlen am Ende einige Jahre, weil die Kunstwerke und die Künstlerinnen und Künstler aus dieser sehr wichtigen Zeit im Grunde nicht mehr existieren?
hessenschau.de: Wie gehen Sie technisch vor, wenn Sie die Werke nicht aus dem Land heraus transportieren können?
Gruhn: Wir haben im Zuge der Digitalisierung des Gebäudes des Kunstvereins einen leeren Ausstellungsraum geschaffen, in den wir die Bilder digital hängen können. Die Künstlerinnen und Künstler aus Afghanistan liefern ihre Bilder als Fotos über WhatsApp, über E-Mail, was gerade geht. Diese werden in eine Datenbank eingepflegt und daraus können wir schöpfen und Ausstellungen konzipieren.
Im Moment sieht es so aus, dass praktisch eine Art Portfolio der jeweiligen Person sichtbar wird. Eines Tages wird es auch thematische Gruppenausstellungen geben. Es sind aber riesige Datenmengen. Deswegen sind im Moment auch erst acht Ausstellungen sichtbar, es muss technisch noch nachgerüstet werden, wofür wir gerade noch Finanzierungshilfen beantragen.
hessenschau.de: Wie ist das Feedback der ersten Kunstschaffenden, deren Werke schon online sind?
Rahimi: Sie sind sehr glücklich, dass ihre Kunst wieder zu sehen ist. Ich merke aber an der Art, wie sie schreiben, dass sie aus dem Land emigrieren wollen. Sie wollen mit ihren Familien in Sicherheit sein, um in Sicherheit wieder Kunst machen zu können - auch um die afghanische Kultur lebendig zu halten.
Ich persönlich bin zudem schon mit der Frage beschäftigt, wie wir die Menschen hier integrieren, sie aus den Asylbewerberheimen rausbekommen, damit sie wirklich wieder arbeiten können. Das kostet sehr viel Zeit. Dazu habe ich inzwischen das "Dreamteam" mit Menschen gegründet, die wir schon herausbekommen haben.
hessenschau.de: Was tun Sie, wenn Kuratoren sich melden?
Gruhn: In unserer Idealvorstellung schauen sich das tatsächlich auch Kuratorinnen und Kuratoren an und entwickeln dann weitere Ausstellungen. Damit hätten wir ein Netzwerk gerettet, das wir im Moment physisch nicht aufrechterhalten können - erst dann wieder, wenn wir die Menschen auf der Liste in Sicherheit haben. Von den ersten wissen wir übrigens, dass sie tatsächlich Aufnahmezusagen erhalten haben.
hessenschau.de: Bekommen Sie auch sonstige Hilfsangebote?
Gruhn: Wir haben zumindest begonnen, Statements zu dem Thema auf unserer Homepage zu veröffentlichen. Da sind noch einige recht bekannte Persönlichkeiten angefragt. Ich hoffe, dass in der nächsten Zukunft noch ein bisschen mehr kommt, denn auch das ist eine Form des Archivs, die Frage, wie Denker:innen unserer Generation mit der Situation in Afghanistan umgehen.
Man ist im Grunde völlig hilflos. Wir sitzen hier, wir sehen alle dieses Unrecht, wir sehen alle diese Katastrophe und trotzdem können wir von hier aus nichts ändern. Dieses Projekt ist unsere Art, damit umzugehen.
Sendung: hr2, 10.07.2023, 9 Uhr
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