Jüdische Künstler zu Antisemitismus und fehlender Solidarität "Wir erleben ohrenbetäubendes Schweigen"

Wie geht es jüdischen Kunstschaffenden hierzulande nach dem Massaker der Hamas? Drei von ihnen berichten davon, was die regelrechte Explosion des Antisemitismus und mangelnde Solidarität im Kulturbetrieb mit ihnen macht.

Das Bild zeigt eine Collage aus drei Fotos. Zu sehen sind zwei Männer mit dunklen Haaren und Brille und eine blonde Frau.
Jonathan Günther, Monica Gutman und Steve Landau kritisieren mangelnde Solidarität im hessischen Kulturbetrieb. Bild © Wilhelm Schultze, privat; Collage: hr
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1.200 ermordete Zivilisten und Sicherheitskräfte, mehr als 5.400 Verletzte, über 200 Geiseln: Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober hat auch Jüdinnen und Juden hierzulande erschüttert. Was vielen von ihnen seitdem fehlt, ist die große öffentliche Solidarität, wie sie etwa mit den USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 bekundet wurde - auch im Kulturbereich.

Zwar äußerten unter anderem Theater schriftlich ihre Solidarität, es gab Diskussionsrunden zum Nahostkonflikt oder einzelne Solidaritätskonzerte. Doch schon wenige Tage nach dem Massaker relativierten namhafte Kunstschaffende die Verbrechen der Hamas, etwa der Philosoph Slavoj Žižek auf der Frankfurter Buchmesse.

Videobeitrag

Wir müssen laut werden, nicht nur Jüdinnen und Juden

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Bild © hessenschau.de
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Jüdische Künstlerinnen und Künstler wünschen sich mehr Unterstützung - etwa auf Demonstrationen, aber auch von Bildungseinrichtungen, Kulturinstitutionen, Kolleginnen und Kollegen. Drei Kulturtätige aus Hessen berichten von ihren Erfahrungen der vergangenen Wochen.

Steve Landau, Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Wiesbaden

Steve Landau
Steve Landau Bild © privat

"Wir hatten an dem Montag nach dem Hamas-Massaker schon die ersten hässlichen Anrufe mit Aussagen wie: 'Ihr habt es verdient.' Das hat uns sehr schockiert und überrascht. In den darauffolgenden Wochen hatte ich eine kurzfristige Absage von einer Berufsschulklasse, die die Synagoge besuchen wollte. Wir haben etwa 80 Gruppen, die uns pro Jahr besuchen. Die Absage kam mit der Aussage: 'Wir haben zu viele Muslime in der Klasse, wir können für nichts garantieren.'

Am gleichen Tag hat mich ein Pfarrer angerufen, es sollten 45 Konfirmanden in die Synagoge kommen. Der Pfarrer warnte mich: Er wisse nicht, welche Fragen gestellt würden. Er hätte gesehen, welche Medien die jungen Leute konsumieren. Auch das war für mich eine Überraschung. In letzter Zeit haben wir aber auch viele freundliche E-Mails bekommen, die ihre Bestürzung zum Ausdruck bringen und uns ihre Solidarität erklären.

In der Vergangenheit habe ich oft erlebt, dass die Kunstszene sich sehr schnell positioniert, und das vermissen wir momentan in dieser Eindeutigkeit. Das berichten auch viele Künstlerinnen und Künstler, die versuchen, in ihren Institutionen Stimmen zu generieren. Da kommt leider sehr wenig.

Zitat
Wir hätten uns mehr Solidarität aus der Mehrheitsgesellschaft gewünscht. Zitat von Steve Landau
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Das Hessische Staatstheater hat eine Solidaritätsbekundung verfasst, von der ich nur über Bande erfahren habe. Wir erleben einfach ein ohrenbetäubendes Schweigen aus der Kunstszene heraus, die normalerweise sehr laut ist. Auch für ein Solidaritätskonzert, das wir vor kurzem organisiert haben, hätten wir uns mehr Unterstützung aus der Mehrheitsgesellschaft gewünscht.

Positiv überrascht hat uns, dass die Haltung der Politik diesmal eindeutiger war und ist. Auf lokaler Ebene gab es Gespräche zwischen dem Vorstand und dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden. Wir hatten am 9. November auch eine Gedenkveranstaltung, da hat der Bürgermeister deutlich Position bezogen."

Monica Gutman, Pianistin und Dozentin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) Frankfurt

Monica Gutman
Monica Gutman Bild © privat

"Im Nahostkonflikt habe ich den Eindruck, dass viele überhaupt nicht wissen, worüber sie reden, weil sie überhaupt nicht nachschauen, worum es eigentlich geht. Sich etwa fragen: Wie ist die Historie?

Der barbarische Überfall vom 7. Oktober hat mich wie alle unglaublich schockiert. Ich kam mir vor wie im Mittelalter, wo Hexen verbrannt wurden und ein Menschenleben überhaupt nicht mehr gezählt hat. Vor allem: Es waren so viele Kinder, Babys, Frauen, die X Mal vergewaltigt wurden, bevor sie umgebracht wurden.

Die Reaktionen waren schon stark, für mich aber nicht stark genug. Was ich persönlich am schlimmsten finde, ist die Vermischung der Politik Israels mit Antisemitismus gegenüber europäischen Juden. Bei der Politik kann man mit einigem einverstanden sein, mit einigem nicht. Es gab dort zuletzt täglich Proteste. Aber: Was kann ein Jude, der hier lebt, für die Politik Israels?

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Einen Molotowcocktail auf eine Synagoge zu schmeißen, ist reiner Judenhass. Zitat von Monica Gutman
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Michel Friedman hat geschrieben: Wenn ihr ein Problem mit der Politik Israels habt, dann geht vor die Botschaft zum Demonstrieren. Aber wenn man hier einen Molotowcocktail auf eine Synagoge schmeißt, dann ist das reiner Judenhass.

Wobei mich auch entsetzt hat, dass das Existenzrecht Israels wieder infrage gestellt wird. Ich habe nicht geahnt, dass das aus so vielen Richtungen kommt und so mächtig ist. Wenn mich jemand fragt, was man tun kann, sage ich: Nicht schweigen, der Angst vor Extremisten nicht nachgeben. Das ohrenbetäubende Schweigen auch in der Kulturszene ist sehr schlimm. Auch das Schweigen hat zu dem geführt, was im Holocaust passiert ist."

Jonathan Günther, Projektmanager im Jüdischen Museum Frankfurt

Jonathan Günther
Jonathan Günther Bild © Wilhelm Schultze

"Verändert hat sich für mich seit dem 7. Oktober, dass der wahrgenommene Antisemitismus in Frankfurt mehr geworden ist. Antisemitismus ist für mich immer präsent, er findet in einer Pendelbewegung statt. Jetzt hat es einen Ausschlag gegeben, den ich in dieser Intensität noch nicht erlebt habe.

Es sind dabei nicht ausschließlich die Muslim:innen, deren Antisemitismus eine Gefahr für jüdisches Leben in Deutschland darstellt. Jüdische Menschen sehen und wissen, wie Rechte den gegenwärtigen Konflikt und die teils antisemitische Positionierung vieler Menschen mit vermeintlich muslimischen Hintergrund nutzen, um ihre Rassismen zu legitimieren. Das befeuert den antimuslimischen Rassismus in der Gesellschaft.

Ich habe als jüdischer Mensch, in Deutschland lebend, mit Verbindungen nach Israel, schon immer die Rolle eines Advokaten für all jenes, was Jüdinnen und Juden tun und für all das, was der jüdische Staat tut. Es werden viele Solidaritätsbekundungen an mich herangetragen, aber auch viele Vorwürfe: Du musst dich doch gegen den Krieg des israelischen Staates aussprechen.

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Es gibt ein massives Defizit an Wissen über die historischen Entwicklungen im Nahen Osten. Zitat von Jonathan Günther
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Das löst verschiedenen Gefühle in mir aus: Das macht wütend, das macht traurig, es macht hilflos, weil man nicht weiß, wie man da noch reagieren soll. Was ich in den ersten Wochen des Konflikts getan habe, den Dialog suchen, versuchen zu erklären, auch entlang der historischen Entwicklungen des Konflikts, das interessiert die Fragenden oft nicht. Dabei gibt es ein massives Defizit an Wissen über die historischen Entwicklungen im Nahen Osten, aber auch über Völkerrechtsbegriffe wie den des Genozids oder den des Apartheidstaats.

Der Israelbezogene Antisemitismus arbeitet mit der Dämonisierung des Staates Israel. An deren Linie entlang wird ein Bild gezeichnet von den Juden, die in Israel teuflische Dinge tun würden, was am Vorwurf des Genozids deutlich wird. Oder dass Israel ein Apartheidstaat sei, dessen Folge der 7. Oktober sei. Das sieht man in den Nachrichten, in den sozialen Medien, das ist omnipräsent.

Die Sicherheit im Nahen Osten, in Israel ist für viele jüdische Menschen so wichtig, weil Israel als Ultima Ratio der sichere Hafen, der Zufluchtsort ist, den jüdische Menschen haben. Das ist etwas Psychologisches, dass man einen Schutzraum hat, den man im Zweifel aufsuchen kann, und der ist gerade in Gefahr."

Protokolle von Sonja Fouraté und Jan Tussing.

Weitere Informationen

Sendung: hr2, 23.11.2023, 17.45 Uhr

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Quelle: hessenschau.de