Kunsthistorikerin übernimmt Kasseler Rosenzweig-Professur "Antisemitismus und Antizionismus sind für mich zwei verschiedene Dinge"
In politisch aufgeladenen Zeiten tritt die israelische Kunsthistorikerin Galit Noga-Banai die Rosenzweig-Professur an der Uni Kassel an. Im Interview spricht sie über Netanyahus Gaza-Politik und ihre engen Verbindungen zu Deutschland.
Am Dienstag feierte der Staat Israel seine 76-jährige Unabhängigkeit. Einen Tag später betrauerten Palästinenserinnen und Palästinenser weltweit die Nakba, die Vertreibung aus ihrer Heimat vor 76 Jahren. Auch in Kassel fand dazu eine Demonstration an der Universität statt.
In diesem Umfeld hat die israelische Wissenschaftlerin Galit Noga-Banai ihre Franz-Rosenzweig-Gastprofessur der Universität Kassel angetreten. Im Gespräch mit hessenschau.de bezeichnet sie die vielfach diskutierten Proteste gegen die israelische Gaza-Politik von Studierenden weltweit als grundsätzlich legitim. Es komme aber darauf an, wie die Kritik geäußert werde.
Das Gespräch führte Leander Löwe in englischer Sprache.
Ende der weiteren Informationenhessenschau.de: Die Kasseler Rosenzweig-Professur hat auch eine symbolische Bedeutung: Die Beziehung zwischen Judentum und Christentum standen in Franz Rosenzweigs Wirken im Vordergrund. Wie wichtig ist das in Ihrer Arbeit?
Galit Noga-Banai: Vorweg: Ich bin eine israelische Jüdin, die an deutschen Militärfriedhöfen forscht. Das ist merkwürdig genug, würde ich sagen. Aber schon mein ganzes Leben habe ich christliche Kunst und Architektur an der Hebräischen Universität Jerusalem gelehrt, um sicherzustellen, dass die Menschen bei uns den christlichen Hintergrund der westlichen Kultur kennen.
In all den Jahren habe ich versucht, die Welten zusammenzubringen und zu zeigen, wie sie ein schönes und tiefgehendes Erbe erzeugen, besonders hier in Europa, aber auch bei uns, in Palästina, in Israel - oder um die richtige Definition zu nutzen: im Heiligen Land.
hessenschau.de: Viele der vorherigen Inhaber des Lehrstuhls waren durch Antisemitismus aus ihrer Heimat vertrieben worden. Nun ist der Antisemitismus in Deutschland seit dem letzten Herbst so verbreitet wie lange nicht. Was macht das mit Ihnen?
Galit Noga-Banai: Am Samstag war ich in Frankfurt. Das war ein bisschen gruselig, die Anzahl der Menschen und die Dinge, die sie geschrien haben.
In Kassel merke ich davon nichts. Bisher habe ich nur jemanden mit einem Schild gesehen: "Water for Gaza". Das ist aber aus meiner Sicht legitim. Solange das nicht gewaltvoll passiert, ist die Dynamik des Protests willkommen. Ich weiß, dass Antisemitismus und Antizionismus zwei unterschiedliche Dinge sind - und ich hoffe, die Mehrheit wird das auch verstehen.
hessenschau.de: An vielen US-amerikanischen, aber auch deutschen Universitäten gibt es gerade vehemente Proteste gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen. Wie empfinden Sie das?
Galit Noga-Banai: Es kommt darauf an, was die Protestierenden sagen, ob sie den Kontext kennen und ob sie Geschichte verstehen. Wenn alles gut und schlecht, schwarz und weiß ist, dann ist das falsch. Doch wenn sie verstehen, dass es Grauzonen und verschiedene Nuancen dieser Geschichte gibt, dann ist das ein legitimer Protest.
Meine Erfahrung hier an der Kunsthochschule ist, dass die Studierenden die Nuancen verstehen, vielleicht weil sie Künstler sind und deshalb Kultur verstehen. Sie sind sehr offen und neugierig. Ich hatte sogar einen israelischen Erasmus-Studenten im Kurs. Die anderen haben ihm die ganze Zeit Fragen gestellt und mit ihm gesprochen. Das war sehr gut!
hessenschau.de: Ist diese Art von Opposition derzeit auch in Israel vorhanden?
Galit Noga-Banai: Ja, auf jeden Fall. Ich habe mit meinem Ehemann im vergangenen Jahr jede Woche demonstriert. Jeden Samstag. Denn auch wir identifizieren uns nicht wirklich mit der aktuellen israelischen Regierung.
Ich zeige Ihnen ein Bild: Wir tragen T-Shirts. Auf dem meines Ehemannes steht "Bring them home", auf meinem eigenen steht "Du bist der Anführer, das war deine Schuld" - gerichtet ist das an Netanyahu. Wir gehen zum Demonstrieren am liebsten nach Tel Aviv, denn dort sind die Massen, riesige Gruppen.
hessenschau.de: Generell scheinen Sie ein sehr politischer Mensch zu sein. Sie besuchten die Passionsfestspiele in Oberammergau, schreiben regelmäßig Essays in der FAZ und protestierten gegen den Synagogenneubau in Hamburg.
Galit Noga-Banai: Ja, letzteres leider ohne Erfolg. Sie haben das alte Mosaik in Hamburg entfernt, da hatten wir kein Glück. Aber ich habe die Petition organisiert, die das Entfernen der "Judensau" von Wittenberg verhindern sollte - und das hatte Erfolg!
hessenschau.de: Es sieht also so aus, als hätten Sie über die Jahre eine enge Beziehung zu Deutschland aufgebaut. Wie sehr sind Sie denn von Ihrem Lebensmittelpunkt in Jerusalem mit Deutschland verbunden?
Galit Noga-Banai: Ich hatte wunderbare, wundervolle deutsche Großeltern auf der einen Seite, die anderen kamen aus dem Iran. Ich schaue deutsches Fernsehen und habe vor 31 Jahren in Schwäbisch Hall Deutsch gelernt. Also fühle ich mich hier wirklich zu Hause.
Zwei Jahre habe ich meinen Postdoc in Berlin gemacht, daher bin ich vertraut mit der deutschen Gastfreundschaft. Ich bin selbst sehr pünktlich, ich mache alles rechtzeitig oder immer fünf Minuten zu früh.
hessenschau.de: Macht es Sie dennoch nervös, dass die Polizei selbst Ihre Antrittsvorlesung hier in Kassel auf dem Zettel hat?
Galit Noga-Banai: Ich fühle mich hier sehr, sehr sicher. Kassel ist sehr einladend und liberal. Darüber war ich so überrascht, ich kann jetzt gar nicht abwarten, nach meiner Zeit eines Tages wieder hierher zu kommen.
Sendung: hr4, 14.05.2024, 8.30 Uhr
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