Kritik zum hr-Tatort mit Ulrich Tukur "Murot im Paradies" ist poetisch und verstörend

Der leitende Ermittler Felix Murot geht in diesem Tatort extreme Wege auf der Suche nach Glück. Dabei gerät er in die Fänge zweier Femmes Fatales, die ihn mitnehmen auf einen rauschhaften Trip. Ein düsterer Tatort voller unerwarteter Wendungen.

Ein älterer weißer Mann mit grauen Haaren liegt in einem blau beleuchteten Wassertank. Auf seinem Kopf sind Sensoren befestigt.
Im Wassertank erlebt Murot extreme Glücksgefühle, doch die Jagd nach ein bisschen Dopamin könnte ihn das Leben kosten. Bild © hr
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Die Bilder des neuen hr-Tatorts "Murot und das Paradies" (22.10.2023 um 20.15 Uhr im Ersten) sind düster, melancholisch. Blau- und Grautöne dominieren, es gibt wenig Licht, der Herbst scheint mit voller Wucht zuzuschlagen. Kein Wunder, dass Kommissar Murot (Ulrich Tukur) sich da nicht wohl fühlt: "Jeden Tag schleppt man sich aus dem Bett in dieses verschissene Leben", klagt er bei seinem Psychoanalytiker.

Der Ermittler kämpft mit einer Depression, spürt kein Glück mehr und fühlt sich im Alltag gefangen. 60 ist er jetzt und resigniert: "Man stellt fest, dass man am Ende nichts hat außer geplatzten Träumen, Mundgeruch, keinen Sex, aber dafür Rentenansprüche."

Gruselige Szenen in der Gerichtsmedizin

Und noch dazu hat er einen Job, der nicht mal eine Stunde ungestörte Therapie ermöglicht. Murots Handy klingelt. Eine tote Bankerin wurde von ihrer Putzfrau in ihrer Luxuswohnung gefunden. Zuerst deutet nichts auf ein Tötungsdelikt hin. Murot ist genervt. Doch die Autopsie bringt unerwartete Ergebnisse hervor: Vor ihrem Tod hat die junge Frau stundenlang im Wasser gelegen, ihr Bauchnabel war herausgeschnitten, sie wurde über eine Art Nabelschnur ernährt - und war extrem glücklich, wie Aufnahmen ihres Gehirns beweisen.

Die Spannung steigt und lässt den Körper kribbeln: Was soll diese wilde Mischung aus poetischen Passagen auf der Therapiecouch und brutalen Eingriffen in die Körper der Opfer? Alles fühlt sich ein nach amerikanischer Übertriebenheit an, fesselt aber durchaus die Aufmerksamkeit. Auch das Ermittler-Team, bestehend aus Felix Murot und Magda Wächter (Barbara Philipp), ist irritiert und nimmt die Ermittlungen auf.

Erst Flug durchs All, dann Anschlag auf Hitler

Umschnitt. Hektisches Tippen, gestresste Gesichter, leises Murmeln und ein Chef, der auf widerliche Art und Weise seinem Team Druck macht. Einer der Trader in diesem Bankenumfeld wird gleich mit Absicht einen Fehler machen, wenige Filmminuten später tot sein und auf dem Tisch der unbeliebten Gerichtsmedizinerin landen – ebenfalls ohne Nabel.

Doch davon ahnt der Kommissar noch nichts. Er ist an den ersten Leichenfundort zurückgekehrt, an dem, wie könnte es anders sein, eine wichtige Figur schon auf ihn wartet: Die lesbische Lebensgefährtin des ersten Opfers, die noch dazu eine provokante Performancekünstlerin ist. Es ist die erste Schwachstelle des Films: Das Gegensatzpaar "Bankerin – Künstlerin" ist ein bisschen zu viel fantasieloses Klischee, die progressiv sexuelle Attitüde der (natürlich!) jungen Frau mit dem unvermeidbar asymmetrischen Haarschnitt, die sich (natürlich!) an den alten weißen Mann ranmacht, um ihn vorzuführen, ebenso.

Zwei schöne junge Frauen stehen an einer Bahre, auf der ein älterer Mann mit Sensoren am Kopf liegt. Sie blicken lächelnd auf ihn herab.
Das Böse ist in diesem Tatort gleichermaßen Betörend. Auch der Kommissar kann den Femmes Fatales nicht widerstehen. Bild © hr

Abgründe in der Bankenwelt

Die junge Schöne lockt Murot tief in die Abgründe der Frankfurter Bankenwelt, in der alle high und geil sind, berauscht von der Macht ebenso wie von den Drogen, die sie nehmen. Murot lässt sich ein auf ihre Spielchen und landet schließlich selbst auf dem OP-Tisch, wo – keinerlei Überraschung hier – die nächste schöne Frau auf ihn wartet. Mit Hightech-Instrumenten schafft sie es, den depressiven Murot extreme Freude spüren zu lassen. Er ist ein Baby, fliegt durchs All, tötet Hitler.

Komissar Murot steht in einer Nazi-Uniform in einer Menschenmengen und schaut direkt in die Kamera.
Glücks- statt Albtraum. Als Attentäter fühlt sich Murot offenbar sehr glücklich. Bild © hr

Doch nach dem Glücksrausch fällt der Kommissar nur noch tiefer, bricht die Ermittlungen ab. Die Wohnung dreckig, er ungepflegt und aschfahl. Wie ein Süchtiger begibt er sich wieder in die Hände der Femmes Fatales, ignoriert, dass sie die Hauptverdächtigen und gefährlich sind. Wie weit wird er gehen auf der Suche nach dem Glück?

Fazit zum neuen Tatort

"Murot im Paradies" ist ein anfänglich überraschend spannender Sci-Fi-Thriller, aber mit klaren Schwachstellen: Viele der Figuren wären vielleicht vor zehn Jahren noch als progressiv wahrgenommen worden. Heute wirken sie bemüht woke und heben so wieder hervor, was sie eigentlich normalisieren wollen – Möglichkeiten fernab von Heterosexualität und Monogamie.

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So gar nicht woke ist leider auch der Umgang mit weiblicher Sexualität. Die Schnitte in den Bäuchen der Opfer werden mit dem Aussehen von weiblichen Geschlechtsorganen verglichen, und sogar Cupcakes gebacken, die kleine Vulven aus Frosting zieren. Dieses pubertäre Gehabe hat der Film nicht nötig und ein Schocker ist die Abbildung einer Vulva auch schon lange nicht mehr. Wer Lust auf eine ansonsten aber durchaus überraschende Story hat, sollte sich den Tatort unbedingt ansehen.

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Sendung: Das Erste, 22.20.2023, 20.15 Uhr

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Quelle: hessenschau.de