Künstler David Weiss über seine Sinti- und Roma-Wurzeln "Vielleicht bin ich einfach immer so dieses Dazwischen"
Am 8. April ist Internationaler Tag der Roma. In der Welt der Kunst erhalten Sinti und Roma in den letzten Jahren zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit. Ein Künstler aus Witzenhausen erklärt, warum es für ihn keine Roma-Kunst gibt - nur Roma, die Kunst machen.
Ein großer Wels, mit breitem Maul und fransigen Tastbarteln, schaut dem Betrachtenden von der Leinwand entgegen. Es ist ein Holzschnitt, den der Witzenhausener Künstler David Weiss in verschiedenen Farben übermalt hat.
Seine Gemälde und Illustrationen haben etwas Comic-haftes. Aber sie haben absolut nichts von den folkloristischen Vorstellungen einer vermeintlich farbenfroh-naiven Sinti-und-Roma-Kunst. David Weiss sieht sich selbst nicht als "Roma-Künstler" – was auch immer darunter zu verstehen sei. "Es gibt keine Roma-Kunst, nur Sinti und Roma, die Kunst machen", sagt Weiss.
Gut gehütetes Familiengeheimnis
Erst als er 18 Jahre alt ist, erzählt ihm sein Großvater, dass seine Uroma wahrscheinlich Sintezza war: "Heute muss man sich nicht mehr dafür schämen, aber wir stammen von Zigeunern ab", habe der Großvater gesagt.
Für den Jugendlichen Weiss ergab nach der Offenbarung seines Großvaters plötzlich vieles in seinem Leben einen Sinn. Aufgewachsen ist er im dörflichen Landenhausen im Vogelsberg als "ganz normaler Dorfjunge", wie er sagt.
Doch er hat einen etwas dunkleren Teint und schwarze Haare. "In welchem Flüchtlingsheim wohnst du?", sei er als Kind sehr häufig von den Leuten im Dorf gefragt worden.
Bezüge im eigenen Leben
Im Wissen um die wahrscheinliche Sinti-Uroma beginnt er, sich gezielt mit der Kultur, Sprache und Geschichte der Sinti und Roma auseinander zu setzen.
Dabei stolpert er über diverse Bezüge in seinem eigenen Leben. Der auffälligste: der für Sinti typische Familienname "Weiss".
Vom Aussterben bedroht
David Weiss macht Abitur, studiert ökologische Agrarwissenschaft und danach Freie Grafik, Illustration und Comic an der Kunsthochschule in Kassel. Heute ist der fast Vierzigjährige ein vielseitiger Künstler, der von seiner Kunst leben kann.
Von Holzschnitten mit Welsen, Widdern und Wölfen, die er anschließend farbig übermalt, über Installationen aus Schafwolle und Kupferrohren bis zu humorvollen Skulpturen aus Bronzeguss: Sein übergeordnetes Thema ist Natur, Klimawandel und was man ihm entgegensetzen kann.
Zeitgenössische Kunst von Sinti und Roma
Die Kunst von David Weiss hält sein ehemaliger Galerist, der Kurator Moritz Pankok, für ein Paradebeispiel zeitgenössischer Kunst, die Sinti und Roma heute machen. Pankok gehört zur Berliner Stiftung "Kai Dikhas", die sich gezielt für die Kunst dieser Volksgruppe einsetzt. David Weiss sei als sehr kosmopolitischer Mensch "ein Weltbürger mit der Kultur der ganzen Welt."
Nicht notwendigerweise müssten sich die Künstlerinnen und Künstler mit ihrer Identität oder kulturellen Zugehörigkeit zur Minderheit beschäftigen. Viele würden sich aber aktiv gegen anti-ziganistische Klischees und Diskriminierung in ihrer Kunst einsetzen, erläutert Moritz Pankok.
Sie drehten sozusagen den Spieß um oder ließen Vorurteile ins Leere laufen. Eine dieser Künstlerinnen sei die polnische Romnia Malgorzata Mirga-Tas, die 2022 als erste Angehörige der Roma-Minderheit einen Länderpavillion auf der Kunstbiennale in Venedig vertreten durfte.
Zunehmende Anerkennung
Pankok freut sich, dass die Kunst der Sinti und Roma in den letzten 15 Jahren zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit genieße und mittlerweile auch öffentliche Sammlungen in Deutschland, aber vor allem in Frankreich, diese Kunst kauften.
"Da gehört diese Kunst hin", findet der Berliner Kurator, denn "diese Künstlerinnen haben ein sehr hohes künstlerisches Niveau und bereichern unsere Kunstszene."
Zuhause im Dazwischen
Viele Arbeiten von David Weiss, der in Burkina Faso Bronzeguss gelernt und in Madagaskar auf Forschungsreise war, und der sich vor einigen Jahren im nordhessischen Witzenhausen ein Atelier eingerichtet hat, sind in der Sammlung der Berliner Stiftung "Kai Dikhas" zu finden. Kai Dikhas heißt in Romanes "Ort, wo du siehst".
Gefragt danach, wo er eigentlich gesehen werden will, wohin er gehöre, sagt David Weiss: "Ich glaube, das ist mein Lebensthema. Vielleicht bin ich einfach immer so dieses Dazwischen halt."
Zwischen biodeutscher, weißer Mehrheitsgesellschaft und Sinti-und-Roma-Community, schmunzelt er. Und zwischen Kunst und Wissenschaft. "Und das ist ja vielleicht auch gut. Vielleicht bin ich einfach Mensch."
Redaktion: Laura Nies
Sendung: hr2-kultur, Am Morgen, 08.04.2024, 8 Uhr