Künstler mit kognitiver Beeinträchtigung Wie das Frankfurter "Atelier Goldstein" prominente Künstler hervorbringt
Im Frankfurter "Atelier Goldstein" machen Menschen wie Julius Bockelt mit kognitiver Beeinträchtigung ihre Kunst. Damit haben sie es schon auf die documenta geschafft. Das Ziel: Seine Künstler so unabhängig machen, dass das Atelier sich selbst überflüssig macht.
Wenn im "Atelier Goldstein" das Telefon klingelt und jemand fragt, ob es bei einer Ausstellung zum Thema "Outsider Art" oder etwa "Down-Syndrom" mitmachen will, würde Sophia Edschmid absagen. "Möglicherweise beeinflusst eine Behinderung das Werk einer Person weniger, als andere biografische Faktoren", sagt die Co-Leiterin des Ateliers in Frankfurt Sachsenhausen, das insgesamt vierzehn Künstler und Künstlerinnen mit kognitiven Beeinträchtigungen beheimatet.
"Das als Vorzeichen für jede künstlerische Arbeit zu sehen, würde der Arbeit der Künstlerinnen und Künstler nicht gerecht werden", findet Edschmid. Sie leitet das seit 2001 bestehende Atelier zusammen mit Sven Fritz, Träger ist der Verein Lebenshilfe Frankfurt.
Von der documenta bis zum Pariser Centre Pompidou
Ein gutes Beispiel dafür, dass Kunst von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen ihre Position auf dem Markt der Zeitgenössischen Kunst finden kann, sind die Werke von Julius Bockelt. Seine Wolkenbilder sind gerade im Sinclair-Haus neben Gemälden von Gerhard Richter zum Thema "Wolken" zu sehen. Seine Kunst gehört inzwischen auch zur Sammlung des renommierten Pariser Museums Centre Pompidou.
Bockelt beobachtet seit seiner Kindheit Wolken, mittlerweile hat er mindestens 45.000 von ihnen fotografiert, erzählt er beim Atelierbesuch. Ihm gehe es darum, das Vergängliche festzuhalten, kleinste Verlagerungen zu erkennen, aber auch Schwingungen von Tönen auf das Papier zu bringen. Das mündet zum Beispiel in Bildern mit etlichen geraden, sich teilweise überschneidenden Linien. Der 36-Jährige scheint die Welt bis ins Kleinste zerlegen zu wollen.
"Mein Bruder hat mir gesagt: Du interessierst dich für Sachen, die für andere selbstverständlich sind", erzählt Bockelt. Früher hätte man ihm gesagt, er stelle immer so viele Fragen. Im Atelier Goldstein könne er ungestört in seine Welt eintauchen und seinen Fragen nachgehen. Er teilt sich den Raum mit Markus Schmitz, der sein Gefühl für das Atelier Goldstein so beschreibt: "Mein erstes Zuhause ist einfach ein Dach über dem Kopf. Hier ist mein eigentliches Zuhause."
Man merkt, dass die Menschen hier ernst genommen werden, auch künstlerisch. Jeder hat seinen eigenen Arbeitsplatz und einen Assistenten. Das Besondere daran: Die Assistenten sind keine Pädagogen oder Sozialarbeiter, sondern Künstler. "Wenn wir jemanden aufnehmen, glauben Sven Fritz und ich daran, dass die Person eine Position in der zeitgenössischen Kunst einnehmen kann und gehen einen langen Weg mit ihr", sagt Edschmid. In den vergangenen fünf Jahren hätten sie zwei Leute aufgenommen, aber bestimmt 50 Bewerber gehabt.
Das B im Ausweis sollte keine Rolle spielen
Das scheint sich auszuzahlen. 2022 waren neben Julius Bockelt auch weitere Künstler des "Atelier Goldstein" auf die "documenta fifteen" eingeladen: Hans-Jörg Georgi, Franz von Saalfeld und Juewen Zang. Der wiederum hat es als erster Student mit kognitiver Beeinträchtigung geschafft, als Student an die Offenbacher Hochschule aufgenommen zu werden - und ein Vordiplom von 1,0 zu machen.
Das sei ein jahrelanger Kampf gewesen, erzählt Edschmid. Studierende mit körperlicher Beeinträchtigung bekämen schnell einen Assistenten zur Seite gestellt, bei kognitiven Beeinträchtigungen sei das viel schwieriger. Man merkt, dass es ihr und Schmitz wichtig ist, dass die kognitiven Beeinträchtigungen der Künstler nicht den Blick auf die Kunst vernebeln: "Muss ihre Kunst wirklich ein Leben lang zusammen mit dem B im Ausweis gesehen werden?"
Sendung: hr-iNFO, 17.03.2023, 20.30 Uhr
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