Kulturfestival "Hayat Habibi*s" Der geilste Typ vom Allerheiligenviertel
Der Mousonturm veranstaltet ein Festival in einem Frankfurter Rotlichtviertel, um Geschichten von den Menschen dort zu erzählen. Einer von ihnen ist der Café-Betreiber Cengiz Selek.
Wenn Cengiz Selek in sein Café Ecke Konsti hinter der Konstablerwache kommt, gibt er erst mal jedem Gast die Hand. Eine Umarmung, Selam, kleiner Scherz, lautes Gelächter. An den Wänden hängen kleine Gemälde von Gästen und Verwandten.
Seit acht Jahren betreibt der gebürtige Frankfurter das Café im Allerheiligenviertel. Es ist so etwas wie der Sammelpunkt, das Herz des Viertels. Gegenüber ist ein Puff, in der Straße sind ein türkischer Supermarkt, ein von einem Kurden betriebener Kiosk, Friseure.
Mit Drogen wird auch gehandelt in den Straßen, neuerdings findet man hier leere Lachgas-Flaschen. In der Nähe ist das 1. Polizeirevier, das vor ein paar Jahren bundesweit bekannt wurde, weil sechs Polizisten sich in einer Whatsapp-Gruppe rassistische Posts hin und her schickten.
"Nicht jede Frau, die hier vorbei läuft, geht in den Puff"
Nicht den besten Ruf hat das Viertel also. Doch Cengiz Selek guckt anders darauf. Es ist seine Heimat. Sein Vater, der in den Sechziger Jahren als Gastarbeiter aus der Türkei hierher kam und bei der Müllabfuhr arbeitete, wollte bis zu seinem Tod partout nicht die Allerheiligenstraße verlassen. So gut aufgehoben hat er sich hier gefühlt.
"Hier sind ganz normale Menschen", sagt Selek. "Nicht jede Frau, die hier vorbei läuft, geht in den Puff. Und wenn ich mein Portemonnaie vergessen habe, sagen sie im Supermarkt zu mir: Bruder, zahlst du morgen", erklärt der 44-Jährige. "Hier ist ne gute Nachbarschaft."
Ärger wegen eines Musikvideos von Celo & Abdi
Diese Erfahrungen greift das Mousonturm-Festival "Hayat Habibi*s" auf, was aus dem Arabischen kommt und so viel bedeutet wie "Leben, Schatzis". Cengiz Seleks Geschichten sind auch dabei, beim Karaoke-Geschichten-Abend in seinem Café, den die Schauspielerin Ariella Hirshfeld zusammengestellt hat.
Darin erzählt er zum Beispiel, wie die Polizei eine Zeitlang ständig Razzien in seinem Café gemacht hat. Irgendwann sei er im Revier vorbeigegangen und habe so lange auf den Verantwortlichen gewartet, bis er vorgelassen wurde. Da gebe es ein Video vom Frankfurter Rap-Duo Celo & Abdi, habe der Polizist gesagt, in dem werde vor dem Café Ecke Konsti und auch darin mit Drogen gehandelt.
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"Ey, habe ich denen gesagt, das ist das Musikvideo von 'Aroma in der Großstadt‘. Mit Celo war ich auf der Grundschule, dem schlage ich doch keinen Gefallen ab. Das ist Kunst, Mann, we love to entertain you!" Seitdem sei die Polizei nicht mehr gekommen.
Kriminalisierte Menschen erzählen von Alltagserlebnissen
Um solche empowernden Geschichten geht es auch Onur Suzan Nobrega, der Kuratorin. "Bei dem Festival erheben sich die Stimmen der von Rassismus betroffenen, kriminalisierten, überausgebeuteten Menschen Frankfurts", erklärt Nobrega: "Sie erzählen von ihren lokalen und transnationalen Biografien, Alltagserlebnissen und Gewalterfahrungen." Alldem setzten sie liebevoll Zusammenhalt entgegen, sagt die Wissenschaftlerin von der Hochschule Darmstadt.
Cengiz Selek freut sich, dass durch das Festival andere Leute in sein Café kommen. "Nur weil es hier auch komische Typen gibt, heißt das nicht, dass die Leute hier scheiße sind", sagt er. "Ich habe 'ne Bar im Allerheiligenviertel. Andere haben eine im Westend." Jeder mache seine Geschäfte.
Solange die Leute sich benehmen würden, in der U-Bahn aufstehen bei Schwangeren, die Freiheit der anderen nicht bedrohten, sei ihm egal, woher man komme: "Deutscher, Türke, Kurde - entweder bist du ein Wichser oder nicht."
"Bauprojekt wird Viertel nicht wirklich ändern"
Auch dem riesigen Bauprojekt Main Yard, das die Ort Group aus München gegenüber seinem Café baut, steht Cengiz erst mal offen gegenüber. Neben Gaststätten, einem Hotel und einem Apartmenthaus entstehen 280 Mietwohnungen, 15 davon öffentlich gefördert.
Einige befürchten, dass ärmere Menschen durch das neue Quartier aus dem Viertel verdrängt werden. Andere versprechen sich eine Aufwertung davon. "Natürlich bin ich für Veränderung, aber das Viertel war schon immer schmuddelig. Ich glaube nicht, dass sich das durch Main Yard wirklich ändert", glaubt Cengiz Selek.
Wenn die neuen Bewohner sich ein bisschen vom Zusammengehörigkeitsgefühl der alten Bewohner abgucken, wäre das schon mal ein Anfang.