Kurzfilm einer Dieburger Studentin Wenn der erste Sex nicht zur Wolke-7-Erinnerung wird
Über Grenzverletzungen beim ersten Mal wird kaum gesprochen, meint die Filmemacherin Janina Lutter aus Dieburg. Ihr Kurzfilm "Wolke Z" zeigt Teenagerin Mila, die sich in eine Nacht mit Jonas stürzt und es bereut. Beim Open-Air Filmfest Weiterstadt wird der preisgekrönte Film gezeigt.
Es ist draußen noch nicht einmal richtig hell, als Mila beim Blick auf die Uhr aus Jonas' Bett kriecht und nach ihrem Rucksack greift. Jonas steht schnell auf, beide stehen sich verhalten gegenüber – aber Mila will einfach nur weg. Sie spült sich im Bad den Mund mit Seife aus, als Jonas' Mama nach der Nachtschicht auf einmal in der Badezimmertür steht. Auf die Frage, ob alles in Ordnung sei, rennt Mila an ihr vorbei. Sie kämpft mit den Tränen, als sie wenig später allein im Bus zur Schule fährt.
Es einfach über sich ergehen lassen
Bei den ersten sexuellen Erfahrungen geht es vielen Menschen wie Mila, meint Filmemacherin Janina Lutter. In ihrem Kurzfilm "Wolke Z" fasst Jonas Mila intim an, drängt sie und achtet nicht wirklich auf ihre Reaktion. Mila lässt es über sich ergehen, sie mag zunächst nicht Nein sagen.
Bewusst oder unbewusst würden Grenzen überschritten, betont Lutter. Mit dem Film will die 25-Jährige aus Dieburg die Stille um das Thema brechen, die sie beobachtet hat.
Film soll Diskurs eröffnen
"Ich wollte Menschen, die sich mit Mila identifizieren, einfach einen Raum geben, Worte dafür zu finden", sagt Lutter. So könnten sie nach dem Film einfach sagen: "Ja, so ähnlich war das bei mir auch. Oder: Ich kann dieses Gefühl nachvollziehen."
Gleichzeitig zeige der Film aber auch, welcher Schaden entstehe, wenn die Grenzen anderer nicht respektiert würden - unbeabsichtigt oder nicht, betont die Drehbuchautorin und Regisseurin.
Die vielen Fragen in Milas Kopf
In dem 17-minütigen Kurzfilm, den die Studentin gemeinsam mit anderen Studierenden ihres Bachelor-Studiengangs "Motion Pictures" an der Hochschule Darmstadt gedreht hat, geht es um Teenagerin Mila: Sensibel, nah und mit nur wenigen Worten zeigt "Wolke Z" das Durcheinander ihrer Gefühle.
Muss sie mithalten, wenn ihre beste Freundin mit ihrem Freund schlafen will? Wieso will sie doch nicht, als sie spontan bei Jonas übernachtet? Wieso gefiel ihr das nicht, als seine Hand in ihre Hose fährt? Hat sie sich falsch verhalten – oder war es Jonas?
Beim Filmfest Weiterstadt zu sehen
Gezeigt wird Lutters Film am kommenden Wochenende beim Open-Air-Filmfest in Weiterstadt (Darmstadt-Dieburg). Die Veranstalter wählten "Wolke Z" unter 2.000 Einreichungen aus, auch zwei vorherige studentische Kurzfilme von Lutter fanden bereits in den Vorjahren den Weg ins Filmfest-Programm. Ihr neuer Coming-of-Age-Kurzfilm wird am Samstag (17. August) um 13 Uhr gespielt, mit einer Altersempfehlung ab 14 Jahren. Der Eintritt ist beim Filmfest frei.
Im Frühjahr hatten Lutter und ihr Team mit "Wolke Z" bereits beim Deutschen Jugendfilmpreis abgeräumt: Sie gewannen den zweiten Platz und zusätzlich den Sonderpreis der Jugendjury.
Gedreht wurde "Wolke Z" während der Corona-Pandemie, überwiegend im Rhein-Main-Gebiet und in Südhessen. So ist zum Beispiel das Langener Hallenbad im Film zu sehen. Finanziert wurde das studentische Projekt über Crowdfunding und die Hessische Filmförderung.
Szenen mit körperlicher Nähe wurden mit Doubles gedreht, erzählt Lutter. "Weil die Darsteller eben auch sehr jung waren und wir sie auch schützen wollten."
Generationen schätzen Szene unterschiedlich ein
Die Szene in Jonas' Bett wird zur Schlüsselszene in dem Film. Mila kann das Geschehen zunächst nicht ordnen. Auch vom Publikum wurde die Szene bislang sehr unterschiedlich wahrgenommen, wie Lutter sagt. "Die älteren Generationen verstehen teils gar nicht, dass Jonas eine Grenze überschritten hat." Jüngere Zuschauer und Zuschauerinnen würden darin tendenziell eher eine Grenzverletzung sehen.
Die geschlechtsspezifische Sozialisierung und Erziehung habe dabei einen großen Einfluss: "Dass Jungs sich sehr oft in der Rolle fühlen, sie müssten den ersten Schritt machen und Mädchen sich eher in der Rolle wiederfinden, das zu tun, was der Junge so vorgibt."
Mila stellvertretend für "Gen Z"
Themen wie Konsens, Kommunikation über Sex und die eigenen Grenzen und Bedürfnisse seien in den jüngeren Generationen, der "Generation Z" und der "Generation Alpha", viel präsenter. Mila stehe dabei für die Generation Z (kurz: Gen Z), zu der sich Lutter auch zählt. Gemeint sind damit Menschen, die zwischen 1995 und 2009 geboren sind. Die Gen Z ist laut Lutter die "Generation des Umbruchs", auf diese spielt auch der Titel "Wolke Z" an.
Die nachfolgende Generation, die Generation Alpha (kurz: Gen α), habe schon einen viel sensibleren Umgang und ein größeres Bewusstsein für die Themen. Zur Generation Alpha zählen Menschen, die im Jahr 2010 und danach geboren worden sind.
Publikum nimmt Milas Rolle ein
In "Wolke Z" erlebt das Publikum Milas Geschichte aus ihrer Perspektive – etwa so als würde man als stiller Beobachter an ihrer Seite sein. Auf Augenhöhe, in Echtzeit und ohne zeitraffende Schnitte. Milas Erfahrungen werden so nachvollziehbar, ihre innere Zerrissenheit, der soziale Druck und die eigene Unsicherheit spürbar.
Dialoge gibt es in dem Kurzfilm eher wenige. Mila weiß nicht, wie sie ihre Grenzen kommunizieren soll. Noch schwerer fällt es ihr, über das Erlebte zu sprechen. Nach der Nacht bei Jonas trifft sie im Schulschwimmbad auf ihre beste Freundin. Sie weint, die Freundin hält sie in den Armen. Nur einen einzigen Satz bringt sie raus.
Die eigenen Erfahrungen reflektieren
"Für Mila ist es erst der Beginn, Worte dafür zu finden", erklärt Lutter. Der Film sollte weniger Antworten auf das Gezeigte geben, sondern vielmehr Fragen aufwerfen.
Vor Beginn des Films weist eine Triggerwarnung auf die Darstellung einer sexuellen Grenzüberschreitung hin. Am Ende des Films bleiben viele Fragen: Wie konnte es dazu kommen? Wer trägt Verantwortung dafür? Und: Wie war das eigentlich bei mir?