Landesprogramm "Hafen der Zuflucht" Kurdische Journalisten finden Sicherheit in Gießen
Sie sind ihrem Beruf nachgegangen - und haben dafür jahrelang in der Türkei im Gefängnis gesessen: Zwei kurdische Journalisten sind die neuen Stipendiaten des Landesprogramms "Hafen der Zuflucht" für Schriftsteller und Journalisten. In Gießen wollen sie Kraft schöpfen für neue Projekte.
Wörter können auch eine Rettung sein. Dem kurdischen Journalisten Nedim Türfent halfen sie nach eigenen Angaben, eineinhalb Jahre Isolationshaft in einer winzigen Zelle in einem türkischen Gefängnis zu überstehen.
Manchmal habe er nicht einmal Bücher gehabt, um sich abzulenken, sagt Türfent. Nach ein paar Schritten habe er vor der nächsten grauen Wand gestanden. Also habe er begonnen, Gedichte zu schreiben. Und Briefe zu beantworten.
"Viele Menschen von überall her haben mir geschrieben", erinnert sich Türfent. "Schriftsteller, Journalisten, Kinder, Lehrer. Das war für mich etwas ganz Besonderes." Journalisten in Deutschland hatten die Briefaktion initiiert, um inhaftierte Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen.
Gießen als Zufluchtsort
Jetzt bekommt er noch eine andere Form der Unterstützung aus Deutschland: Türfent und seine Verlobte, die Journalistin Özgür Sevinç Şimşek, sind die neuen Stipendiaten des Programms "Hafen der Zuflucht". Das Land Hessen hilft damit seit vergangenem Jahr Menschen, die wegen ihrer literarischen, journalistischen oder künstlerischen Tätigkeit unterdrückt werden - so wie Türfent und Şimşek.
Seit 2016 verbrachte der Journalist, der über Menschenrechtsverletzungen gegen Kurden im türkischen Grenzgebiet zu Iran und Irak berichtete, mehr als sechseinhalb Jahre in Haft.
Besonders ein Video rückte ihn ins Visier der Sicherheitskräfte. Es zeigt, wie türkische Polizisten kurdische Bauarbeiter zwingen, sich halbnackt und gefesselt mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen und sie bedrohen.
Prozess erst nach einem Jahr Haft
Das Video brachte Nedim Türfent einen Preis ein - und den beteiligten Polizisten Ermittlungen. Die blieben allerdings ohne Konsequenzen. Er selbst habe dafür immer deutlichere Drohungen erhalten, sei schließlich sogar von Polizisten verschleppt und gefoltert worden, sagt er.
Einen Tag später sei er ins Gefängnis gekommen. Auf seinen Prozess habe er mehr als ein Jahr warten müssen. Das Urteil lautete wie bei anderen regierungskritischen Journalisten, zum Beispiel dem deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel: Terrorismuspropaganda.
Folter und Gewalt bei der Festnahme
Auch Türfents Verlobte Özgür Sevinç Şimşek saß seit Mai 2016 mehr als fünf Jahre im Gefängnis - wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung". Dabei habe sie lediglich journalistisch von einer Pressekonferenz berichtet, bei der Studierende Angriffe des sogenannten Islamischen Staats auf kurdische Gebiete verurteilt hätten.
Şimşek berichtet ebenfalls von Gewalt und Folter bei der Festnahme. In der Haft habe sie sich an einem Hungerstreik beteiligt, um gegen Rechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen zu protestieren und einen neuen Friedensprozess mit den Kurden zu bewirken.
Verein unterstützt im Alltag
Um sich von der Haft zu erholen und durchatmen zu können, verließen Şimşek und Türfent im vergangenen Dezember ihr Heimatland. In Leipzig nahmen sie zunächst an einem Programm des Zentrums für Presse- und Medienfreiheit für bedrohte Journalisten teil, jetzt sind sie in Gießen.
Mit dem dort ansässigen Verein Gefangenes Wort arbeitet die Landesregierung für das "Hafen der Zuflucht"-Stipendium zusammen. Der Verein übernimmt die Umsetzung und Auswahl der Stipendiaten. Die Vorsitzende Lydia Binsch sieht die Stärke von Gefangenes Wort "in allem, was schreibt" - und freut sich daher darauf, zwei Journalisten betreuen zu können.
Die Unterstützung des Vereins reicht von praktischer Hilfe wie dem Bereitstellen einer Wohnung, einem monatlichen Stipendiatsgeld und psychologischer Betreuung bis zu Inhaltlichem, beispielsweise der Organisation von Auftritten. Nedim Türfent kann sich auch vorstellen, während seines Stipendiums die im Gefängnis entstandenen Gedichte zu veröffentlichen.
Streit mit vorheriger Stipendiatin
Offen ist, wie es mit der vorherigen Stipendiatin in Gießen weitergeht. Die Förderung für die iranische Sängerin Sahar Ajdamsani ist bereits Ende März ausgelaufen. Sie weigert sich nach eigenen Angaben aber, aus der Stipendiats-Wohnung auszuziehen. Gefangenes Wort und das Ministerium bestätigen das.
Schon länger tun sich im Verhältnis zwischen dem Verein und Ajdamsani Risse auf, inzwischen kommunizieren beide Seiten nur noch über Anwälte.
Ajdamsani sagt, sie leide psychisch stark unter der Situation und fürchte, bald auf der Straße zu stehen. Eine eigene Wohnung könne sie nicht finanzieren. Dem Verein wirft sie unter anderem vor, ihr nicht bei der Suche nach einem neuen Stipendium geholfen zu haben.
Ministerium: Wollen gute Lösung für beide Seiten
Der Verein weist die Vorwürfe zurück und gibt an, Ajdamsani habe alle Vorschläge abgelehnt - zum Beispiel den, zumindest vorübergehend Asyl in Deutschland zu beantragen. Auf eine Räumungsklage will der Verein nach eigener Aussage aber erst einmal verzichten. Für die neuen Stipendiaten sei eine andere Wohnung gefunden worden.
Das zuständige Ministerium für Wissenschaft und Kultur in Wiesbaden erklärte dazu, man stehe mit dem Verein im Austausch und sei an einer für beide Seiten guten Lösung interessiert.
Für Nedim Türfent und Özgür Sevinç Şimşek steht derweil fest, dass sie irgendwann in die Türkei zurückkehren und wieder als Journalisten arbeiten werden. Dabei hat Nedim Türfent die Gefahr klar vor Augen. "Vielleicht sperren sie mich ein, vielleicht foltern sie mich. Nur Gott weiß es. Aber ich werde weitermachen."
Redaktion: Anna Lisa Lüft
Sendung: hr2, 31.05.2024, 7.10 Uhr