Ausstellung "Ich muss mich erstmal sammeln" Landesmuseum Darmstadt macht Vergessenes sichtbar
Gemälde schweben in der Luft. Teppiche laufen die Wände hoch. Ausgestopfte Eulen tragen Schmuck. In der neuen Sonderausstellung des Hessischen Landesmuseums in Darmstadt werden Konventionen gebrochen, um das Museum ganz neu zu erleben.
Wie ein Museum fühlt sich die Ausstellung "Ich muss mich erstmal sammeln" nicht an. In Glasvitrinen und Regalen liegen Cola- neben Whiskey-Flaschen, Portraits aus dem Barock hängen über ausgestopften Rebhühnern und Vintage-Haartrocknern, ein überdimensionaler Daumen aus Bronze steht neben einer Skulptur, deren vordere Hälfte fehlt.
Die Ausstellung der österreichischen Künstler Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata lädt zum Schmunzeln ein. Hier geht es nicht um die Gelehrsamkeit von Kunstobjekten und deren Erschaffer dahinter wie sonst in Museen.
Vielmehr geht es hier um das Schrille, Bunte, Skurrile und das absichtlich Humorvolle. Die meisten Exponate stammen dabei aus den Archivbeständen des Hessischen Landesmuseums Darmstadt (HLMD).
Vergessenes sichtbar machen
Die Recherchen des Künstlerduos führten sie zu den Museumsbeständen aus Malerei, Kunsthandwerk oder Zoologie. Manche Exponate werden zum allerersten Mal ausgestellt.
"Wir waren viel in den Sammlungen unterwegs und wollten vergessene Geschichten sichtbar machen", erklärt Künstlerin Jakob Lena Knebl.
Das Portrait eines unbekannten Mädchens mit Blumenkorb sieht beispielsweise zum ersten Mal das Tageslicht. Es besitzt keine Inventarnummer und man weiß nicht, wie es in das Museum kam oder warum es in die Sammlung aufgenommen wurde. "Vielleicht wird ja ein Besucher seine Urgroßmutter wiedererkennen," scherzt Knebl.
Für Museumsdirektor und Kunsthistoriker Martin Faass ist "Ich muss mich erstmal sammeln" eine einzigartige Möglichkeit, vergessene Exponate endlich auszustellen.
Die bunte Mischung habe zwar kunstgeschichtlich keine Verbindung miteinander, "aber es kommen Natur, Kunst und Design in einem wunderbaren Durcheinander zusammen, durch das man das Museum neu erleben kann."
Jeder sieht etwas anderes
Im großen Saal des Museums werden die gesammelten Objekte ohne Barrieren präsentiert. Es gibt keine eingestellten Wände, die Fenster sind nicht abgeklebt und alle Vitrinen und Regale sind aus Acrylglas.
Egal, wo man sich befindet, haben Besucher einen Blick auf die gesamte Ausstellungsfläche. Dadurch entstehen Raumcollagen, betont Knebl, deren Bild sich mit jeder Bewegung der Besucher verändere.
Die Künstlerin, die schon in Paris oder Tokyo ausgestellt hat, spielt mit der Sinnlichkeit. "Ich muss nicht auf die Parameter einer üblichen Museumspräsentation eingehen. Ich will die Sichtweise von Menschen herausfordern, sodass Dinge auf eine andere Art und Weise wahrgenommen werden."
Stilvolle Arrangements
Das bemerkt man spätestens bei der Installation "Transaktionsanalyse". Verschiedene Skulpturen, einige davon Knebls eigene Arbeiten, zeigen die Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen. Doch finden sich auch eine Vintage-Stehlampe von Stilnovo und präparierte Wasservögel in der gleichen Vitrine.
Aus der richtigen Perspektive wirken die Exponate stilvoll arrangiert. Die Künstlerin agiert mit der individuellen Wahrnehmung der Besucher.
Eine "Schule des Sehens"
Jakob Lena Knebl empfindet ihre Ausstellung als eine "Schule des Sehens". Es gibt keine Schrift-Tafeln. Wer mehr über die Exponate wissen möchte, muss QR-Codes einscannen. Jeder werde dadurch auf die gleiche Ebene gestellt und muss lernen, Kunst für sich selbst zu verstehen, erläutert die Künstlerin.
"Es geht um die Demokratisierung der Kunst. Bei uns sind Cola und Bierflaschen auf der gleichen Ebene wie Vasen von den Wiener Werkstätten oder Skulpturen von Maillol."
Im Zentrum der Installation "Flowers of Romance", inspiriert von schwarzer Romantik, steht César Baldaccinis "Le Pouce", ein überdimensionaler Bronzeguss in Form eines menschlichen Daumens.
Daneben steht Knebls eigene Skulptur "Maria", deren vordere Hälfte absichtlich weggeschnitten wurde. Symbolisieren sollen sie den Fingerabdruck jedes einzelnen Besuchers und die Fläche, auf der man selbst Dinge projizieren und gestalten kann, erklärt Knebl.
Kunst mit Humor
Jakob Lena Knebl motiviert dazu, mit Kunst auch Spaß zu haben. Sicherlich sind einige Exponate absichtlich lustig. So schmunzelt die antike Skulptur "Kouros von Tenea" aus der Holzkiste heraus, in der sie im Depot des Museums verstaut ist.
"Humor ist eine wichtige, machtvolle Methode", sagt die Künstlerin. "Denn dem Lachen kann man sich nicht verwehren." Es gehe nicht darum, über Kunstgeschichte zu lernen. Viel lieber möchte Knebl, dass Kunst auf eine individuelle Art und Weise erlebt wird.
Bis zum 16. Februar 2025 dürfen Besucher sich der schrillen Reizüberflutung aussetzen.