Marburger Ginkgo spielt Hauptrolle in "Silent Friend" Trotz Stinkefrüchten wird dieser Baum ein Kinostar
Seine Früchte stinken nach Schweißfüßen, trotzdem soll ein Marburger Ginkgo-Baum nun die Hauptrolle in einem Kinofilm spielen, der in der Uni-Stadt gedreht wird - neben einem Bond-Girl und einem chinesischen Filmstar.
Es gibt Momente, in denen kann man durchaus dankbar sein, dass sich das Geruchs-Kino bisher nicht durchgesetzt hat. Zum Beispiel dann, wenn man am Fuß eines großen Baums im Alten Botanischen Garten in Marburg steht, der demnächst die Hauptrolle im internationalen Kinofilm "Silent Friend" spielen soll.
"Es stinkt nach Schweißfüßen", meint Bärbel Kaufmann vom Freundeskreis Alter Botanischer Garten, als sie eine der mirabellenähnlichen Früchte aus dem Laub aufsammelt und leicht andrückt. Wobei das wohl noch etwas untertrieben ist.
Die schrumpelige Frucht verströmt einen beißend-ranzigen Geruch: Buttersäure, erklärt Kaufmann, die früher mal Apothekerin war. Nichtsdestotrotz seien die Kerne essbar. "In Asien werden die geröstet und gegessen wie hier bei uns Erdnüsse."
Warum ausgerechnet dieser Baum?
Die Frucht stammt von einem über 30 Meter hohen weiblichen Ginkgo-Baum. Mal abgesehen vom Gestank – so ganz versteht Kaufmann nicht, warum die Macher des Kino-Films ausgerechnet diesen Baum hier als Zentrum ihrer Geschichte ausgewählt haben.
Sonderlich schön sei er ja nicht gewachsen, meint sie und zeigt auf die ungleichmäßigen Äste am derzeit noch kahlen Stamm. "Da hätten wir hier deutlich prächtigere Bäume gehabt – und auch ältere." Manche Bäume im Alten Botanischen Garten seien über 200 Jahre alt. Der Ginkgo dagegen sei erst 1960 gepflanzt worden.
Regisseurin: "Ginkgos sind lebende Fossilien"
Dass der Baum in dem hochkarätig besetzten internationalen Arthouse-Film nun trotzdem die Hauptrolle ergattert hat, liegt wohl nicht unbedingt an seiner guten Figur, sondern daran, dass seine Spezies so besonders ist und an dem, wofür Ginkgos grundsätzlich stehen.
"Ginkgos sind lebende Fossilien", so die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi bei der Vorstellung der Produktion im Marburger Rathaus. "Sie sind auch genetisch so aufgestellt, dass sie quasi am Sterben gehindert werden und sehr, sehr alt werden können."
Tatsächlich: Ginkgos gelten als extrem widerstandsfähig und können 1000 Jahre und älter werden. Mehrere Exemplare überlebten sogar die Atomkatastrophe von Hiroshima. Ihre charakteristische Blattform hat sich außerdem seit vielen Millionen Jahren nicht verändert.
Baum soll Geschichten verbinden
Enyedi erklärt: Früher hätten Ginkgos mal den ganzen Globus bedeckt, seien dann aber vielerorts ausgestorben und hätten nur in Asien überlebt. "Dass es sie nun wieder weltweit gibt, liegt an uns Menschen."
Die Oscar-nominierte Regisseurin meint: Sie mache in ihren Filmen keinen Unterschied zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen. In "Silent Friend" soll der Baum nun Geschichten aus verschiedenen Jahrzehnten miteinander verbinden.
Geschichten aus drei Jahrzehnten
Zuerst soll es um die Geschichte der ersten Studentin an der Marburger Uni im Jahr 1908 gehen. Dann um die eines jungen Manns aus einfachen Verhältnissen, der im Jahr 1972 in die Akademiker-Welt eintaucht.
Die - menschliche - Hauptrolle wird verkörpert vom chinesischen Filmstar Tony Leung Chiu Wai, der im vergangenen Jahr beim Filmfestival von Venedig für sein Lebenswerk ausgezeichnet wurde. Er spielt einen Neurowissenschaftler, der 2020 im Uni-Campus auf den Lahnbergen ein Forschungsprojekt aufbaut und schließlich in Marburg den ersten Corona-Lockdown erlebt.
Auch die Französin Léa Seydoux wird eine Nebenrolle spielen. Sie wurde 2015 als Bond-Girl im Film "James Bond 007: Spectre" bekannt.
Regisseurin hat lange Geschichte mit Marburg
Aber wieso überhaupt Marburg? Auch das liegt an Filmemacherin Enyedi, die nach eigenen Angaben bereits eine langjährige Beziehung zur Stadt und zum Alten Botanischen Garten hat, weil ihr Mann Anfang der 1970er Jahre in Marburg Germanistik studierte. Seit Jahren komme sie immer wieder gerne her und habe schon lange vorgehabt, in der Stadt mal einen Film zu drehen.
Marburg sei wie gemacht zum Filmen, so Enyedi. "Die Stadt ist eine Art Miniatur-Universum, in dem verschiedene geschichtliche Ebenen auch architektonisch auf eine wunderschöne Art und Weise koexistieren." Die Stadt solle deshalb nicht nur Kulisse sein, sondern auch die Handlung des Films prägen.
Verkehrseinschränkungen durch Dreharbeiten
Ab dem 9. April sollen die Dreharbeiten losgehen. 42 Drehtage sind dafür angesetzt. Laut Stadt wird es die größte Filmproduktion sein, die es in Marburg bisher gegeben hat. Weil an verschiedenen Orten im Stadtgebiet gedreht wird, wird es im April und Mai auch immer wieder kürzere Verkehrseinschränkungen geben.
Einen Vorboten der Dreharbeiten kann man im botanischen Garten übrigens bereits jetzt entdecken: Zwischen all die alten Bäume hat sich eine überdimensionale Baumstumpf-Attrappe aus Styropor geschmuggelt. Ob man die im Film dann vom Original-Ginkgo unterscheiden kann, wird sich ab 2025 zeigen. Dann soll "Silent Friend" in die deutschen Kinos kommen.
Sendung: hr-Fernsehen, hessenschau, 4.4.2024, 19.30 Uhr
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