Meditation im Weltkulturenmuseum Ich spüre eine Hängematte

Museumsbesuch mal anders: Das Weltkulturenmuseum in Frankfurt bietet zu seiner Ausstellung "healing. Leben im Gleichgewicht" eine Meditation im und mit dem Museum an. Wie das geht und wie man sich emotional mit einer Hängematte verknüpft, erlebt eine Reporterin im Selbstversuch.

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Bild © Wolfgang Günzel/Weltkulturenmuseum| zur Audio-Einzelseite
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Das Weltkulturenmuseum schließt am Abend seine Türen, alle Besucher gehen, nur wir nicht: Ein gutes Dutzend Menschen, die hier sind, um "mit anderen Augen zu sehen", wie es im Programmheft heißt. Das heißt, wir wollen die Ausstellung "healing. Leben im Gleichgewicht" meditativ erkunden. Bietet sich ja irgendwie an bei diesem Titel. Und nachts im Museum, das ist ja auch spannend.

Wir sitzen also im Foyer im musealen Stuhlkreis, jeder mit einer dieser typischen Sitzgelegenheiten ausgestattet, die man im Museum bekommen kann. Worum es hier eigentlich gehen soll, erklärt uns Martin Brüger, er ist Künstler und Meditationslehrer und er hat sich diese Veranstaltung ausgedacht. Er möchte, dass wir "anders wahrnehmen, nicht kognitiv und einen individuellen Zugang zu den Kunstwerken" bekommen. Es sei gut, wenn wir die Ausstellung noch nicht gesehen hätten. Er erklärt, dass wir uns nachher mit einem einzelnen Exponat beschäftigen sollen, das wir uns selbst aussuchen.

Zehn Minuten Rundgang für einen ersten Eindruck

Als erstes schickt uns Brüger für zehn Minuten durch die Ausstellung - mit dem Auftrag, gar nicht so genau hinzusehen. Wir sollen einen Gesamteindruck bekommen und am besten keine Texte lesen oder Videoinstallationen anschauen. Er gibt uns noch mit auf den Weg, das bleibt bei mir hängen von dem Vielen, was er uns in seiner Einführung erzählt, dass wir erkennen sollen: Es gibt Exponate, die Geschichten erzählen und solche, die eben einfach Gegenstände sind.

Ein erster Flirtversuch - und Crush!

Stimmt. Ich sehe komplexe Installationen, mit Video, Licht und Audio. Bestimmt interessant. Aber ich soll mich ja nicht näher damit beschäftigen. Schade! Und ich sehe Masken, Töpfe, Haarkämme, Plastikflaschen.

Weil ich weiß, dass ich mich gleich mit einem Exponat intensiv beschäftigen soll, und zwar nicht mit einer Videoinstallation, wie Bürger uns mit auf den Weg gegeben hat, flirte ich schon mal mit einigen Dingen, die eben "einfach Gegenstände" sind. Ich werfe Blicke hierhin und dorthin und prüfe, ob es mit uns laufen könnte. Und ja, zwischen mir und einer geflochtenen Hängematte aus Bambusseilen, die in einer Ecke hängt, funkt es gleich heftig.

Eine Hängematte hängt im Weltkulturenmusem
In dieser Hängematte habe ich meine Gedanken für eine Weile abgelegt. Bild © Katrin Kimpel

Ich will nur dich

Bevor ich mich aber an die Hängematte ranmachen kann, muss ich erst mal zurück zur Gruppe ins Foyer. Der Meditationslehrer erklärt uns, was wir überhaupt machen sollen und dass wir nicht traurig sein sollen, wenn jemand anderes zuerst zu "unserem" Exponat geht. Es sei nicht wichtig, was man auswähle. Das sehe ich spontan anders, ich kann mich gerade nur noch schwer auf seine weiterhin vielen Worte konzentrieren, denn ich habe nun Angst, jemand könnte mir die Hängematte wegschnappen. Ich bin emotional schon total verflochten.

Was will diese Hängematte mir sagen?

Unsere Aufgabe lautet: Gehe zu dem Exponat und versuche zehn Minuten lang zu ergründen, was dieses Ding ist und was es Dir sagen will – und lese dabei nicht die Beschreibung! Nach zehn Minuten (den Wechsel markiert der glockenhelle Ton einer Zimbel, den Brüger durch das Museum klingen lässt) wechselt die Perspektive. Ich soll erkunden, was ich dem Ding sagen möchte, was ich in ihm sehe.

Ich würde sagen, ich meistere diese Aufgabe so mittelprächtig: Was die Hängematte mir sagen will, kann ich nur mutmaßen. Woher kommt sie? Wer hat sie gemacht? Und warum? Keine Ahnung, nur Fantasien in meinem Kopf.

Im Gefühl versunken

Meine eigenen Gedanken zu dem Objekt meiner Begierde aber sind klar: Ich bin auf meinem Balkon, in meiner eigenen Hängematte, es ist warm, ich habe Ruhe. Ich versinke so in dieses Gefühl, dass ich fast vergesse, dass ich im Weltkulturenmuseum auf dem Boden sitze, es Februar ist und ich eigentlich bei der Arbeit bin. Die zweimal zehn Minuten sind rasend schnell vergangen und ich bin traurig, den Klang der Zimbel zu hören, die mich zurück ins Foyer ruft.

Es ist mir egal - ach nein, doch nicht!

Die nächste Übung erscheint mir noch schwieriger: Wir sollen einen weiteren Gegenstand finden, wir sollen ihn 15 Minuten betrachten, ohne jegliche Fragestellung. Nichts von ihm wollen und auch nichts reingeben. Oder vielleicht sollen wir ihn auch gar nicht betrachten, sondern nur sehen? Oder sollen wir die Augen schließen? Ich traue mich nicht zu fragen, offenbar haben alle anderen sofort eine Ahnung davon, wie man vor Gegenständen meditiert.

Ich suche mir also ein Ding, ich setze mich davor, lenke meinen Blick darauf und atme. Ein. Aus. Pause. Was mir gut gelingt: Nicht wissen zu wollen, was das eigentlich ist, das Ding. Ist mir wirklich total egal. Kurz frage ich mich allerdings, ob das in einer Ausstellung so sinnvoll ist. Nicht wissen zu wollen, was man sieht und keinen Kontext zu haben. Ich könnte auch zuhause vor meiner Waschmaschine sitzen. Ist das nicht verschenkt? Jetzt, wo ich schon mal da bin und diese Ausstellung mir doch so hochspannend erscheint …

Exponat Weltkulturenmuseum
Mein Ding: Heute frage ich Dich nicht, wer oder was Du bist. Bild © Katrin Kimpel

Ein leicht schlechtes Gewissen schleicht sich ein

Ok, diese Gedanken wegzuschieben, ist die eigentliche Herausforderung. Als das Glöckchen erklingt und das Ende der Übung markiert, wundere ich mich wieder, wie schnell die Zeit vergangen ist. Ich bin stolz, dass ich mein Gedankenkarussell anhalten konnte und habe ein etwas schlechtes Gewissen, weil ich mich so egoistisch und desinteressiert meinem Ding gegenüber verhalten habe. Nach wie vor ist es mir komplett schnuppe, was ich da gerade angestarrt habe. Letztlich war ich in meiner eigenen Welt, oder nirgendwo.

Beim nächsten Besuch dann wieder ganz klassisch

Zurück bei der Gruppe im Foyer gibt es noch eine kleine Feedbackrunde. Jeder, der will, darf seine Erfahrung beschreiben. Ich mochte die Meditation. Die Verbindung zum Museum fand ich schwierig, allerdings ist das Weltkulturenmuseum an sich ein sehr schöner Ort. Die Ruhe und das Privileg, dort zu sein, wenn alle anderen schon gehen mussten, habe ich genossen.

Die Ausstellung "healing. Leben im Gleichgewicht" schaue ich mir auf jeden Fall noch einmal auf die klassische Art an. Dann lese ich alles, schaue alle Videos und will alles ganz genau wissen. Und meiner Hängematte sage ich im Vorbeigehen kurz Hallo.

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Über die Ausstellung

Die Ausstellung "healing. Leben im Gleichgewicht" im Weltkulturenmuseum fragt: Wie können wir leben, in unseren Leben, auf unserem Planeten, mit all den globalen Problemen und den persönlichen Krisen? Im eigenen Körper, mit der persönlichen und kollektiven Geschichte? Wie können Krisen überwunden und Gleichgewicht gefunden werden? Themen wie Kolonialismus, Umweltzerstörung oder Psychische Grenzerfahrungen werden künstlerisch umgesetzt.

Gezeigt werden Arbeiten von Marina Abramović, La Vaughn Belle, Elena Bernabè, Roberta Carvalho, Alejandro Durán, Marco Del Fiol, Ayrson Heráclito, Feliciano Lana, Naziha Mestaoui, Michael O’Neill, Roldán Pinedo.

healing. Leben im Gleichgewicht
Bis 3. September
Weltkulturenmuseum Frankfurt
Die Ausstellung bietet ein umfassendes Begleitprogramm

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Quelle: hessenschau.de