Neues Smartphone-Spiel "Städel Universe" Hilferuf aus der Zukunft

Das Städel-Museum geht einen neuen Weg der Kunstvermittlung - mit einem Spiel über die Sammlung, das jeder auf dem Smartphone oder Computer spielen kann. Nur Effekthascherei oder eine gute Idee? Wir haben das Kunst-Spiel getestet.

Eine Frau steht vor einem großformatigen Kunstwerk, das Smartphone in der Hand
"Städel Universe" soll die Werke des Städels spielerisch erfahrbar machen. Bild © Tanja Küchle/hr
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Es beginnt mit einem Hilferuf aus der Zukunft: Über dem Bild eines steinernen Portals erscheint eine Textbotschaft auf dem Smartphone. Eine gewisse "AI" erzählt, in der Zukunft würde immer mehr Wissen verloren gehen und die Kunstwerke des Städel-Museums würden dieses Wissen enthalten.

Meine Mission: es frei zu legen und zu sammeln. Sofort bin ich motiviert und tippe – leicht nervös – auf "Weiter".

Bevor es zum ersten Bild geht, zunächst zu diesem seltsamen Titel: Warum heißt das Spiel "Städel Universe"? Es beziehe sich damit auf den nächtlichen Sternenhimmel, die Sternzeichen, das Universum, sagt der Spieledesigner Peter Lee aus Südkorea, von dem diese Idee stammt.

Collage: Eine abstrakte Skulptur im Freien, daneben ein Screenshot mit Informationen dazu
"Tor II" von Per Kirkeby steht für die Kunstwelt, die mit der App betreten wird. Bild © Tanja Küchle/hr

Beides, der Kosmos und die Sammlung des Städel Museums, würden für uns Menschen potenziell unendlich viele Möglichkeiten der Erfahrung bergen. Schon immer hätten sich die Menschen, wie etwa in der Seefahrt, zur Orientierung an den Sternenhimmel gewandt.

Und schon immer diente Kunst dem Menschen ebenfalls als Mittel, um sich mit grundlegenden Fragen der Menschheit auseinander zu setzen: Woher kommen wir? Wer sind wir? Wie sieht unsere Zukunft aus?

Wo ist bloß die Inventarnummer? 

Die digitale Umsetzung dieser Sternenhimmel-Kunstuniversum-Analogie ist in sich schlüssig aufgebaut. Leider sieht die Benutzeroberfläche des Spiels mit der Systematik der Sternzeichen auf den ersten Blick komplizierter aus, als sie ist.  

Zum Glück kann man dem Klick-Reflex kaum widerstehen. Ich zumindest möchte unbedingt wissen, was sich hinter den kleinen Vorschaubildchen der Kunstwerke verbirgt - und schon bin ich drin im Spiel.

Digitale Schnitzeljagd

Das umfasst 36 Werke der Städel-Dauerausstellung, vorwiegend Gemälde: Rembrandt und Alte Meister ebenso wie zeitgenössische Arbeiten von Isa Genzken und Daniel Richter. 

Es erinnert ein bisschen an eine klassische analoge Schnitzeljagd, wie sie seit den 1980ern gerne Schulklassen in Naturkundemuseen angeboten werden. Tatsächlich ist es alles andere als dröge, sondern bietet tatsächlich einen unterhaltsamen und aktiven Zugang zu den Kunstwerken. 

Wie ein Detektiv durchs Museum

Zunächst wird man im Spiel aufgefordert, die Inventarnummer jedes angeklickten Kunstwerks einzugeben. Die steht auf den Texttafeln neben den Werken in der Ausstellung, oder man kann sie sich von der App direkt anzeigen lassen.  

Mehr Spaß macht es aber, selbst treppauf, treppab, durchs Museum zu tigern wie eine Detektivin und das Original samt Zahlencode zu erstöbern.

Vor dem echten Bild stehend, kann man sich dann durch amüsante und verblüffende, manchmal auch etwas didaktisch wirkende Fragen und Antworten spielen. 

Eine Frau steht vor einem großformatigen Kunstwerk und schaut auf ihr Smartphone
Das Spiel zieht in seinen Bann: Reporterin Tanja Küchle auf Schnitzeljagd im Städel. Bild © Tanja Küchle/hr

So erfährt man zum Beispiel, dass die monumentale Schreibmaschine auf dem Gemälde von Konrad Klappheck für die Schreibtischtäter des Nationalsozialismus steht – und ebenso für das Wirtschaftswunder nach 1945. 

Und, wie es Rembrandt schon im 17. Jahrhundert geschafft hat, die Blicke gezielt auf bestimmte Details in seinen Bildern zu lenken, etwa indem er alles andere in Dunkelheit abtauchen ließ und weniger detailgetreu malte.

Instagram des 17. Jahrhunderts

"Man merkt, dass Vieles, was uns in unserer unglaublich visuellen Welt heute umgibt, von Filmen über Werbung bis Social Media, den gleichen Konzepten der Inszenierung folgt, die vor hunderten von Jahren in der Kunst entwickelt worden sind", sagt Kunstvermittlerin Chantal Eschenfelder.  

Die Fähigkeit ein Bild zu "lesen", von der Komposition bis zum historischen Kontext seiner Entstehung, könne man während des Spielens im besten Fall ganz beiläufig erwerben. 

Ein Mann und eine Frau stehen lächelnd vor einem bunten Kunstwerk
Kunstvermittlerin Chantal Eschenfelder und Game-Designer Peter Lee haben das Spiel mit ihren Teams entwickelt. Bild © Tanja Küchle/hr

Auch für den Game-Designer Peter Lee vom südkoreanischen Spieledesign-Studio Nolgong steht der Spaß und die Erfahrung im Vordergrund. Die aber, sagt er, hänge maßgeblich davon ab, wie groß die Berührungsängste mit der Kunst seien. Das Spiel solle sie abbauen.

Das Angebot richte sich an alle ab 12 Jahren, vor allem aber an Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in ihrer Freizeit vor allem mit Social Media und wenig oder gar nicht mit Kunst in Museen beschäftigen. 

Eisbrecher und Aktivator 

Das Spiel könnte hier tatsächlich ein Eisbrecher sein, doch vermutlich nur als Zusatzangebot. Den Weg ins Städel Museum werden die meisten Jugendlichen wohl nicht wegen dieses Spiels, sondern eher wegen eines Klassenausflugs finden.  

Für alles Weitere sei die Verbindung von Kunst und Gaming in Form des "Städel Universe" hervorragend geeignet, meint Peter Lee. Denn beides beruhe auf einem sehr subjektiven Standpunkt und Zugang.  

Tatsächlich: Statt nur schauend vor dem Bild zu stehen, werden interessante mögliche Fragen dazu gestellt, die auch mich als Betrachterin auffordern einen Standpunkt einzunehmen und eine Meinung zu formulieren. 

Intuitiv verständlich

Screenshot mit verschiedenen Symbolen
Tierkreiszeichen strukturieren die Werke innerhalb des Spiels. Bild © Städel Museum

Die App funktioniert erfreulicherweise sehr intuitiv und leitet mich engmaschig über  Symbole und Buttons durch jeden Schritt zum nächsten, selbst wenn ich nicht alle Systematiken, Kompetenzen und Sternzeichen des Spiels bis ins Detail verstehe. Ich kann Stunden lang spielen – oder pausieren und später an einem anderen Ort weiterspielen. 

Die jetzt gelaunchte erste Version des Spiels wurde über vier Jahre in enger Zusammenarbeit zwischen dem Kunstvermittlungsteam des Städel Museums und der Firma Nolgong entwickelt, für einen nicht näher benannten sechsstelligen Betrag. 

Mission mit Suchtpotential

Sie sei noch nicht barrierefrei, doch an einer barrierefreien Fassung, etwa für Menschen mit Sehbehinderung, werde gearbeitet.

Es ist eine Mission mit Suchtpotential, ständig auf das nächste Bild klicken, das nächste Rätsel entschlüsseln zu wollen. Manchmal etwas pädagogisch, aber auch unterhaltsam, aufschlussreich und mit vielen Fun Facts versehen.

Lieblingsbilder von toten Fischen 

Auch Peter Lee hat im Zuge der Spielentwicklung etwas lieben gelernt, zu dem er vorher gar keinen Zugang hatte: die Stillleben niederländischer Maler aus dem 17. Jahrhundert. "Vor diesem Projekt habe ich mir das angeschaut und gedacht: okay, toter Fisch, Blumen, Käse, Früchte…was soll das? Was soll daran wichtig sein?" 

Dann habe er erfahren, wie bedeutend beispielsweise der Fischhandel ab dem 17. Jahrhundert wurde, und dass sich vor allem wohlhabende Kaufleute derartige Gemälde als Statussymbol in die Wohnung holten. "Das hat mir die Augen geöffnet. Jetzt finde ich diese Bilder gar nicht mehr langweilig. Im Gegenteil, ich liebe Gemälde von toten Fischen."

Weitere Informationen

Städel Universe

Technische Voraussetzung des Games ist ein Smartphone mit den aktuellsten Betriebssystemen von iOS oder Android. Das Game funktioniert über alle gängigen Webbrowser. In der Dauerausstellung steht das kostenlose Städel WIFI zur Verfügung.

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Redaktion: Alexandra Müller-Schmieg

Sendung: hr2-kultur, Am Nachmittag, 16.05.2024, 16.20 Uhr

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Quelle: hessenschau.de