Music Discovery Project Elektro-Musiker Schiller lädt zur Weltreise ein
Mit seinem Musikprojekt Schiller lotet Elektro-Spezialist Christopher von Deylen musikalische Grenzen aus. Jetzt steht er für das Music Discovery Project mit dem hr-Sinfonieorchester auf der Bühne. Im Interview erzählt er, warum dabei einiges schief gehen kann.
In der Frankfurter Jahrhunderthalle treffen Crossover-Experten aufeinander: Da ist einmal das hr-Sinfonieorchester, das für das Music Discovery Project regelmäßig musikalische Welten aufeinandertreffen lässt und Klassik mal mit Pop, mal mit Hip-Hop kombiniert.
Und da ist Christopher von Deylen, der mit dem Projekt Schiller seit rund 25 Jahren Musik zwischen Elektropop, Trance und den sphärischen Klängen des Ambient-Pop produziert. Gemeinsam begeben sie sich für zwei Konzerte auf "Weltreise". Im Interview erklärt der Musiker, wieso er das Motto gewählt hat und warum Iran eine besondere Rolle einnimmt.
hessenschau.de: Wie war Ihre Reaktion, als Sie die Anfrage erhalten haben, mit dem hr-Sinfonieorchester aufzutreten?
Schiller: Ich war überrascht und fasziniert, aber auch geschmeichelt. Das ist keine Anfrage wie jede andere. Das Sinfonieorchester ist nicht - mit Verlaub - irgendein Kurorchester, sondern ein fantastischer Klangkörper.
Wenn ich sagen würde, da ist ein Traum wahr geworden, dann ist das nur halb wahr - das ist etwas, das ich mich nie zu träumen gewagt hätte. Es ist vor allen Dingen auch etwas, bei dem ich aus meinen gewohnten Bahnen herauskomme und mich beweisen muss.
Da kommt man nicht hin und sagt: Ich bin der Herr Schiller und ich mache hier jetzt, was ich immer mache und ihr könnt mitspielen, wenn ihr wollt. Es braucht eine Verzahnung und eine Gemeinsamkeit, die authentisch sein muss. Das Publikum merkt sofort, wenn geflunkert wird, musikalisch oder emotional.
hessenschau.de: Das Motto lautet in diesem Jahr "Weltreise". Wie kamen Sie darauf?
Schiller: Ich habe mit Stefan Hoffmann, dem Initiator dieses fantastischen Projekts, nach einer Überschrift gesucht. Nach 20 Minuten war der Titel "Weltreise" klar.
Ich versuche immer wieder, mich aus meiner gewohnten Komfortzone zu destillieren. Es ist auch nach den Corona-Jahren nicht leichter geworden, meine Frau und zwei Katzen zu verlassen. Aber es lohnt sich immer.
Manchmal reichen schon zwei Tage Holland, um aus einer anderen Perspektive aufs eigene Leben und auf die Welt zu schauen. Gerade beim Reisen in Gegenden, die nicht mit pittoresken Postkarten-Motiven locken oder nicht auf den typischen Bucketlists stehen, entstehen für mich die schönsten Erinnerungen.
hessenschau.de: Und welche Rolle spielt das Reisen musikalisch?
Schiller: Es kommt sehr selten vor, dass ich an einen Ort fahre und mich direkt eine Melodie besucht oder ich dort komponiere und neue Musik wie ein Reise-Souvenir mit nach Hause bringe.
Es geht nicht darum, eine Reise zu vertonen, sodass man dem Stück anhört, wo es entstanden ist. Irgendwie scheint das Reisen die Atome im Gehirn aber zu beeinflussen: Denn das, was zurück im Studio musikalisch passiert, ist sicherlich von der Reise beeinflusst.
Das ist das, was mich immer wieder jung und und neugierig fühlen lässt: Man weiß nie, was passiert.
hessenschau.de: Beim Music Discovery Project wird nur wenig dem Zufall überlassen, oder? Wie läuft die Zusammenarbeit?
Schiller: Es gibt zwei Möglichkeiten in der Verzahnung mit einem Orchester. Entweder es spielt einfach das nach, was schon da ist oder doppelt das. Oder man erfindet neue Stimmen, nimmt neue Partituren, neue Noten hinzu. Sequenzen, die vorher gar nicht da waren, weil ein Fagott etwa andere Möglichkeiten hat als ein Synthesizer.
Wir haben versucht, das Beste aus beiden Welten zu kombinieren, sodass die musikalische DNA aufgenommen und gespiegelt wird, aber auch neue Facetten und neue Ebenen hinzukommen, um die Musik anzureichern.
hessenschau.de: Sie treten mit der iranischen Dotar-Künstlerin Yalda Abbasi auf, mit der Sie vorher schon zusammengearbeitet haben. Wie kam es dazu?
Schiller: Ich habe 2017 das erste Mal in Iran gespielt und beschlossen, dass ich für ein Album unbedingt mit iranischen Künstlern arbeiten möchte. Dort gibt es so viel unglaubliches Talent und so eine Liebe zur Musik, zur Kultur, auch unter jungen Menschen.
In einem Studio in Teheran haben wir 2018 ein paar Tage lang Aufnahmesessions gemacht. Yalda wurde mir als Dotar-Künstlerin avisiert. Sie hat im Studio ihr Instrument gestimmt, während der Toningenieur das Mikrofon vorbereitet hat, und dabei vor sich hingesummt. Das hatte so eine Magie, dass ich sofort gesagt habe: Das müssen wir aufnehmen.
Nun muss man wissen, dass Frauen im Iran nicht singen dürfen. Schon sie im Studio aufzunehmen, ist zweifelhaft. Der Studiobetreiber hat seine Lizenz aufs Spiel gesetzt, um diese Aufnahme überhaupt zu ermöglichen.
Wir haben das Stück aus dem Land geschmuggelt, wenn man so möchte, und es ist auf meinem Album "Morgenstund" erschienen. Yalda und ich haben unsere Zusammenarbeit danach weitergeführt - hier in Frankfurt, weil sie inzwischen in Deutschland wohnt.
hessenschau.de: Und wieso haben Sie Yalda Abbasi nun für das Music Discovery Project an Bord geholt?
Schiller: Wir haben für das Projekt verschiedene Stücke kuratiert, die etwas mit Reise zu tun haben, mit Reisenden oder eben auch mit verschiedenen Ländern und verschiedenen Kulturen. Da war das eigentlich ein "no-brainer", wie man so schön sagt, dass ich Yalda frage, ob sie sich das vorstellen kann - wohl wissend, dass das nicht nur für sie, sondern auch für mich eine ganz neue Erfahrung ist.
Auf einmal sind da ganz viele Menschen, die eigentlich wichtiger sind als wir, ein Dirigent, ein Arrangeur, ein Orchestermeister und ganz viele Musiker.
Sich da anzudocken und zu versuchen, sie für eine Musik einzunehmen, die sie privat vielleicht nicht unbedingt hören würden oder die nicht im Köchelverzeichnis von Mozart zu finden ist, finde ich ganz toll. Ich freue mich auch, dass Yalda hier sehr warm empfangen wurde.
hessenschau.de: Was wünschen Sie sich für die Konzerte? Was könnte idealerweise passieren?
Schiller: Sie können sich gar nicht vorstellen, was alles schief gehen kann. Es gibt natürlich ganz viele technische Dinge, die hinter den Kulissen vorbereitet werden, zum Beispiel eine Verzahnung, die dafür sorgt, dass wir auf derselben Zeitachse spielen.
Normalerweise leitet der Dirigent das Tempo des Orchesters, meine Sequenzer würden ihn aber ignorieren. Deswegen müssen wir sozusagen den Sequenzer zum Dirigenten machen und den richtigen Dirigenten aus Fleisch und Blut damit koppeln. Er hat einen Kopfhörer auf, über den er im Prinzip das Metronom vom Sequenzer hört, um dann wiederum das Orchester mitzunehmen. Das ist eine komplexe Angelegenheit.
Ich wünsche mir, dass alles klappt, wie wir uns das vorgestellt haben, und dass vielleicht ein, zwei Kleinigkeiten passieren, die unvorhergesehen sind. Es soll natürlich auch Raum bleiben für Dinge, die man so gar nicht gedacht hat. Und natürlich freue ich mich sehr darauf, mich einem neugierigen Publikum zu stellen und an zwei Abenden - wenn alles gut läuft - die Jahrhunderthalle zu verzaubern.
Das Gespräch führte Tanja Küchle.
Sendung: hr-fernsehen, hessenschau, 19.01.2024, 16.45 Uhr
Redaktion: Anna Lisa Lüft