Neue Ausstellung in Frankfurt "Barrikaden, Camps, Sekundenkleber": Was hat Protest mit Architektur zu tun?
Zelte, Hütten oder Baumhäuser - wenn gegen neue Autobahnen oder den Kohleabbau protestiert wird, bauen sich die Protestierenden oft eigene Behausungen. Eine ganz eigene Form von Architektur, die jetzt im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt zu sehen ist.
Als Anfang des Jahres der Fechenheimer Wald in Frankfurt geräumt wurde, saßen einige der Protestierenden auf Bäumen oder Pfählen. Mit der Besetzung des Waldes wollten sie gegen dessen Abholzung und den Bau eines Autobahnanschlusses demonstrieren. Einer dieser Pfähle, ein sogenannter "Monopod", ist jetzt im Museum zu sehen, als Teil der Ausstellung "Protest/Architektur" im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt (DAM).
Andauernder Protest erfordert Architektur
Doch ist so ein grob bearbeiteter Baumstamm schon Architektur? Und warum interessiert sich ein Architekturmuseum für die Aktionsformen verschiedener Protestbewegungen? "In dem Moment, wo sich jemand auf die Straße setzt, wird das Ganze zu einem räumlichen Phänomen", erklärt Kurator und Projektleiter Oliver Elser. Wenn es viele sind, die an dem Ort länger ausharren wollen, dann gehe es auch um Architektur.
Wo kann man schlafen? Wo gibt es Toiletten und eine Küche? Wo kann man sich versammeln? Die Architektur der Protestcamps liefert zum Teil faszinierende Antworten auf diese Fragen: kunstvoll aufgespannte Zeltdächer auf einem zentralen Platz in Madrid, meterhohe Holztürme an der Braunkohlegrube bei Lützerath, mit Hängebrücken verbundene Baumhäuser im Hambacher Forst. All das zeigt die Ausstellung mit detailgetreuen Modellen, Fotos und Originalexponaten.
Mit ihrer besonderen Gestaltung werden Hüttendörfer und Zeltlager "zum Symbol des Protests", sagt Oliver Elser. "Jedes Protestcamp entwickelt dabei ein gewisses utopisches Potential." So soll die Architektur etwa den Zusammenhalt einer Besetzergruppe zum Ausdruck bringen oder auch die Verbundenheit mit der Natur.
Immer mehr setzen Protestierende dabei auf eindrucksvolle Bilder für die Medien. Vor allem aber dienen die Strukturen dazu, das Ausharren an dem Ort zu ermöglichen und Angriffe auf das Camp abzuwehren. In Lützerath wurden bewusst hohe Bauwerke errichtet, weil dies die Polizei dazu zwang, bei der Räumung Spezialkräfte einzusetzen. "Verzögerungsarchitektur" nennen das die Ausstellungsmacher.
Dokumentation von Protest-Architektur
Ein Klassiker des Protestcamps ist das Hüttendorf gegen den Bau der Startbahn West am Frankfurter Flughafen. Hier waren ab Mai 1980 bis zu 60 Hütten entstanden, darunter auch eine Kirche. Sie wurde als einziges Gebäude bei der Räumung des Hüttendorfs Ende 1981 nicht zerstört und steht heute am Ortsrand von Mörfelden-Walldorf (Groß-Gerau).
Studierende der Technischen Hochschule Darmstadt haben damals die Gebäude des Hüttendorfs akribisch erfasst und gezeichnet - "so wie man als Architekturstudent lernt, eine romanische Kirche zu zeichnen", sagt Kurator Elser. "Das ist das bestdokumentierte Protestcamp überhaupt!"
Die flüchtige und ständig vom Abriss bedrohte Architektur des Protests ins Museum zu bringen, ist ein spannendes Projekt des Deutschen Architekturmuseums, das diese Ausstellung gemeinsam mit dem Museum für angewandte Kunst in Wien erarbeitet hat.
Es zeigt, wie sich Protestierende in aller Welt ihre eigenen Räume geschaffen und erobert haben - von den Majdan-Protesten in Kiew bis zu Occupy Wall Street in New York, vom Arabischen Frühling auf dem Kairoer Tahrir-Platz bis zur "Republik Freies Wendland" bei Gorleben in Niedersachsen, ein eigens errichtetes Hüttendorf von Atomkraftgegner:innen.
Manche dieser Proteste haben ihr Ziel erreicht oder gar die Gesellschaft verändert, viele wurden aber auch blutig niedergeschlagen. "Bisweilen kann es tödlich enden", sagt der Kurator Oliver Elser. Die Härte der Auseinandersetzungen habe man in der Ausstellung bewusst nicht ausgeblendet.
Sendung: hr2, 15.09.2023, 8.11 Uhr
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