Neues Buch über Frauengeschichte Was Tomaten, Paragrafen und ein Fußball mit Emanzipation zu tun haben

Die Geschichte der Emanzipation, erzählt anhand von 30 Gegenständen: Das ist die Idee eines neuen Buchs, das die Kasseler Historikerin Kerstin Wolff geschrieben hat. Unter anderem wird darin geklärt, warum eine Tomate für große Aufregung sorgte.

Buchtitel und Porträt von Kerstin Wolff
Die Historikerin Kerstin Wolff hat ein Buch über die Geschichte der Frauenbewegung geschrieben. Bild © privat
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Manchmal lässt sich große Geschichte an einem einfachen Gegenstand erzählen. Zum Beispiel am Hosenanzug. Während Angela Merkel ihn zu einem Markenzeichen ihrer Kanzlerschaft machte, erntete noch 1970 die SPD-Abgeordnete Lenelotte von Bothmer einen Shitstorm, als sie mit Hosen statt Rock im Bundestag erschien.

Die Historikerin Kerstin Wolff beschäftigt sich mit den Lebenswelten von Frauen in Deutschland und Mitteleuropa im Laufe der Zeit. Bei ihrer Arbeit im Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel bemerkte sie, wie manche Gegenstände symptomatisch für gesellschaftliche Entwicklungen stehen.

Weitere Informationen

Tomate, Fahrrad, Guillotine

Eine kurze Frauengeschichte in 30 Objekten
Knesebeck-Verlag 2023, 20 Euro

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Zusammen mit der Frankfurter Illustratorin Tatjana Prenzel hat sie daraus ein Buch gemacht. 30 Gegenständen vom Auto bis zur Zigarette erzählen die Geschichte der Emanzipation. Auch Hessinnen spielen darin eine Rolle. Wir stellen drei Beispiele aus dem Buch vor.

Lotte Specht und der Fußball

Anfang 1930 hatte die 19-jährige Frankfurterin Lotte Specht eine unerhörte Idee: Über eine Zeitungsannonce suchte sie Mitspielerinnen – und zwar für Fußball! Fußballspielende Frauen, das entsprach nicht dem Rollenverständnis der damaligen Zeit. Der sportbegeisterten jungen Frau war klar, dass der Aufruf für Ärger sorgen könnte, aber: "Ich habe mir gedacht: Was die Männer können, können wir auch."

Rund 40 Frauen meldeten sich auf den Aufruf, 35 von ihnen gründeten im März 1930 den 1. Deutschen Damen Fußballclub  (1. DDFC). Doch Lotte Specht und ihr Team hatten von Anfang an mit starken Vorurteilen zu kämpfen und so wurde der erste Frauenfußballclub nach nur einem Jahr wieder aufgelöst. Unter anderem waren die massiven Beschwerden in der Metzgerei von Spechts Vater der Grund.

Zeichnung einer hockenden Frau mit Fußball
Illustration von Tatjana Prenzel. Bild © Tatjana Prenzel

Zwischen 1945 und 1955 erlebte der Frauenfußball in Deutschland dann einen ersten kleinen Aufschwung, ausgehend von der britischen Besatzungszone. Der neu etablierte Deutsche Fußball Bund (DFB) wollte diese Entwicklung nicht unterstützen und verbot noch 1955 seinen Mitgliedsvereinen, Abteilungen für Frauen zu gründen oder den Sport auf irgendeine andere Art zu fördern.

Doch das Verbot zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Die Frauen kickten einfach außerhalb des DFB weiter, bis der Verband 40 Jahre nach Gründung des ersten Frauenfussballclubs einknickte und 1970 den Frauen das Spielen im Verein ermöglichte.

In Frankfurt erinnert seit 2014 der "Lotte-Specht-Park" im Europaviertel an die Fußball-Pionierin.

Kristina Hänel und der §219a

Das Kapitel "Der Paragraf" im Buch von Kerstin Wolff steht für eine Frage, über die in Deutschland schon seit über 150 Jahren gestritten wird - um die Strafbarkeit von Abtreibungen.

Der Paragraf 219a StGB stand lange im Schatten des sehr viel bekannteren Paragrafen 218, der seit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 den Schwangerschaftsabbruch regelt. Damals waren auch die Paragrafen 219 und 220 eingeführt worden, die das Werben für einen Abbruch und den Verkauf von entsprechenden Medikamenten verboten.

Die deutsche Wiedervereinigung machte eine Reform des umstrittenen Paragrafen 218 notwendig, weil in der BRD und der DDR unterschiedliche Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch galten. Der vieldiskutierte Kompromiss von 1995 ist eine Fristenlösung: Bis zur 12. Schwangerschaftswoche bleiben Abtreibungen straffrei, wenn vorher eine Beratung in Anspruch genommen wurde.

Buch Tomate Fahrrad Guillotine
Bild © Tatjana Prenzel

Um Mediziner trotzdem juristisch an Abtreibungen zu hindern, konzentrierten sich so genannte Lebensschützer von da an auf den Paragrafen 219. Ärztinnen und Gynäkologen, die Abtreibungen durchführten, wurden dafür angezeigt, dass sie zum Beispiel auf ihrer Homepage über die Leistung informierten.

Die Taktik hatte einige Zeit Erfolg, bis sich Medizinerinnen zu wehren begannen, darunter die Gießener Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel. Sie war 2016 von Abtreibungsgegnern angezeigt worden, hatte sich aber gegen die Verurteilung durch alle Instanzen gekämpft und schließlich Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Im Juni 2022 hatte ihr Kampf um ein Recht auf Aufklärung für schwangere Frauen schließlich Erfolg: Der Bundestag schaffte den Paragrafen 219a ersatzlos ab.

Sigrid Rüger und die Tomate

Am Freitag, dem 13. September 1968 traf sich Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) zu einer Delegiertenkonferenz in Frankfurt. Der Bund verstand sich selbst als neue linke Kraft und als Kern der außerparlamentarischen Opposition. Doch die Gewissheit, auf der "richtigen" Seite der Geschichte zu stehen, geriet bei diesem Treffen gefährlich ins Wanken.

Eine Delegierte des 'Aktionsrates zur Befreiung der Frau' erinnerte in ihrem Redebeitrag die Genossen scharf daran, dass es auch in linken und studentischen Kreisen fast ausnahmslos Frauen waren, die die Kindererziehung und die Hausarbeit übernahmen. So könnten Frauen keine gleichberechtigte Position in der Gesellschaft einnehmen, sagte sie.

Die engagierte Rede traf im Saal auf verblüffte Stille. Der SDS-Vorstand versuchte, ohne Debatte zur Tagesordnung überzugehen. Das aber passte den anwesenden Frauen - unter ihnen Sigrid Rüger - überhaupt nicht. Rüger nahm daraufhin die Sache in die Hand: Sie warf drei Tomaten, die sie eigentlich als Pausenverpflegung mitgebracht hatte, in Richtung des Vorstands.

Buntstiftzeichnung von demonstrierenden Frauen, eine wirft eine Tomate
So interpretiert Illustratorin Tatjana Prenzel die Tomate als Protest-Gemüse. Bild © Tatjana Prenzel

Die Aktion brachte eine neue Welle der Frauenbewegung ins Rollen. Der 'Aktionsrat zur Befreiung der Frau' hatte aus dem Desaster die Konsequenz gezogen, künftig unabhängig vom SDS zu kämpfen. In vielen größeren und kleineren Städten entstanden so genannte Weiberräte. Sie setzten sich dafür ein, vermeintlich "private" Probleme als strukturelle Probleme zu begreifen, die nicht individuell zu lösen sind.

Ein Ergebnis der Bewegung waren die "Kinderläden". Die Betreuungseinrichtungen propagierten die Idee der Selbsthilfe als Alternative zu Kindergärten und setzten auf anti-autoritäre Erziehung. Der erste Kinderladen wurde 1967 in Frankfurt-Eschersheim gegründet.

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Sendung: hr-iNFO, 07.04.2023, 20:30 Uhr

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Quelle: Alexandra Müller-Schmieg, hessenschau.de