Neues Buch zum 30. Todestag Was Nirvana-Sänger Kurt Cobain unsterblich macht
Mit "Smells Like Teen Spirit" wurde Nirvana Anfang der 1990er Jahre berühmt. Eine Frankfurter Buchautorin schaut zum 30. Todestag von Kurt Cobain aus der Perspektive einer Millennial auf die Kultband. Sie sagt: Nirvana war der Zeit in vielen Punkten weit voraus.
Ein hessisches Teenagerzimmer um die Jahrtausendwende: Eben noch hingen Boyband-Poster an der Wand, aber auf einmal ist alles anders. Zum ersten Mal hört die 14-jährige Isabella Caldart "Smells Like Teen Spirit" - und sie hat ein Erweckungserlebnis.
"Ich bin auf dem Bett auf und abgesprungen", lacht sie. "Ich wusste nicht, worum es in dem Song geht, aber ich habe es sofort gespürt." Es - das Gefühl jugendlicher Revolte.
Für Isabella Caldart der Beginn einer großen Liebe, und sie ist damit nicht allein. Die kratzige Wut, die Emotion machen Nirvana und die Figur Cobain zeitlos, wie die Frankfurter Autorin und Bloggerin in ihrem neuen Buch "Nirvana. 100 Seiten" zeigt.
The Sound of Aufstand
Die Geschichte von Kurt Cobain beginnt in etwa so: Schwere Kindheit, ADHS-Diagnose, tingelt in vier Jahren durch zehn Familien. Erst in der Musik, in der Punk- und Indieszene, fühlt sich der 1967 geborene Kurt so richtig zu Hause.
Als Ende der 1980er dann Grunge als Musikgenre aufkommt, sortieren die Kritiker auch Nirvana darunter - was Kurt und seinen Mitspielern Dave Grohl und Krist Novoselic zwar nicht passt, aber die rohen, verzerrten Grunge-Gitarren werden ihr Ticket zum Erfolg.
Auftritt in Hanau und Frankfurt - aber nicht mehr in Offenbach
Schon vor ihrem Durchbruch mit dem "Nevermind"-Album touren Nirvana durch Deutschland. Im November 1989 spielen sie in Hanau im Kultur-Basar.
Zwei Jahre später, im November 1991, rocken sie eine komplett ausverkaufte Frankfurter Batschkapp. Dank MTV-Rotation von "Smells Like Teen Spirit" sind Nirvana kein Indie-Geheimtipp mehr, sondern die Band der Stunde.
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Kurt Cobain, Star wider Willen
Nirvana wüten gegen Kommerz und Anpassungsdruck, suchen Perspektiven. Aber der sensible Cobain, ein Antiheld, wie er im Buche steht, kommt mit seiner Rolle als Star wider Willen nicht klar. Er leidet, flieht in Drogen. Am 5. April 1994 nimmt er sich in Seattle das Leben - im Alter von 27 Jahren.
Das für März 1994 geplante Konzert in der Offenbacher Stadthalle war zuvor schon wegen Cobains Gesundheitszustand abgesagt worden.
Warum noch eine Nirvana-Biografie?
Dass neben den bereits etablierten Nirvana-Biografien von Michael Azerrad und Charles R. Cross nun noch Platz für eine neue Annäherung an die Band ist, eine frische Sichtweise sogar überfällig, liegt für Isabella Caldart auf der Hand. "Ich glaube, dass das Buch eine Lücke füllt", sagt sie.
Der Autorin, Jahrgang 1986, geht es 2024 auch um den jüngeren, weiblichen Blickwinkel. Um queere, feministische Aspekte, die politische Dimension der Band und um Cobains Spiel mit den Medien. Als Millennial gehört Caldart zur ersten Generation, die nach Cobains Tod musikalisch sozialisiert wurde und sich ihr Fan-Wissen rückwärts erarbeitet hat - mit allen Fragen und Kritikpunkten.
"Wusstet ihr, dass ich schwul bin?"
Heute kräht kein Hahn mehr danach, wenn männlich gelesene Stars in Kleid und Rock, mit Nagellack und Lidschatten auftreten. 1991 ist das noch anders – und ausgerechnet in der Macho-Rockshow "Headbangers Ball" auf MTV tritt Kurt Cobain im gelben Ballkleid auf.
"Dieses Spielen mit queerer Symbolik gab und gibt es in vielen Subkulturen", meint Isabella Caldart. "Aber eben nicht im Mainstream. Da haben wir ein paar Vorreiter wie David Bowie, Prince, natürlich Freddie Mercury, die mit traditionellen Männerrollen gebrochen haben. Aber das waren Ausnahmen."
"Ally" der marginalisierten Communitys
Kurt Cobain spielt offen mit Genderrollen, attackiert die Homophobie eines Axl Rose und lässt die Nirvana-Fans wissen: Wenn ihr sexistisch, rassistisch, schwulenfeindlich seid, wollen wir euch nicht.
Ob Cobain wirklich – wie manche heute vermuten – queer war, kann niemand mit Sicherheit sagen. Dass er wiederholt erklärt hat, schwul zu sein, war zum Teil Provokation. Er hat sich aber auch immer wieder klar als "Ally" positioniert, wie Isabella Caldart betont: als Verbündeter marginalisierter Communitys.
Das Spiel mit dem Medien-Feuer
Eine Mär von Nirvana geht so: Die Band lehnt den Presserummel und die Konsumgesellschaft ab. Sie will authentisch bleiben, doch die bösen Medien und Plattenfirmen machen sie kaputt. In dieser Lesart wird Cobain von einer Skandal-gierigen Presse förmlich zu Tode gehetzt.
Dieses Bild ist schief, glaubt Caldart. Stattdessen habe Kurt Cobain bewusst die Möglichkeiten ausgereizt, die MTV und die Musikpresse seiner Band boten. "Er wusste genau, bis wohin er gehen kann. Er hat seine rebellische Haltung immer wieder durchscheinen lassen, aber im Grunde wusste er: ich brauche die Medien, und die Medien brauchen mich."
Dieses Verhältnis kippt ab 1992, als Cobains Frau Courtney Love in einem Vanity Fair-Artikel (vermutlich zu Unrecht) bezichtigt wird, während der Schwangerschaft Heroin genommen zu haben. "Danach galten die beiden bis zum Schluss in der Presse als DAS Heroinpaar", so Caldart.
Dass Drogen bei Kurt & Courtney durchaus im Spiel waren und ihre psychische Gesundheit litt, redet die Autorin nicht klein – betrachtet aber nicht alles durch diese Brille.
Nirvana sind politisch
Die USA Ende der 1980er Jahre: Die Iran-Contra-Affäre, AIDS, die republikanisch-konservativen Regierungen von Ronald Reagan und George H.W. Bush haben ihre Spuren hinterlassen. Für die "total linke", feministische, anti-rassistische Band (so beschreibt Bassist Krist Novoselic Nirvana) ist klar, dass sie dagegenhalten muss.
"Nirvanas politische Einstellung konnte man aber weniger ihren Texten entnehmen als ihrer öffentlichen Positionierung", sagt dazu die Frankfurter Autorin Isabella Caldart. Sie belegt das unter anderem mit Interviewaussagen und Nirvanas zahlreichen Benefizkonzerten. So engagierte sich die Band gegen Zensur und schwulenfeindliche Gesetzgebung, für das Recht auf Abtreibung, für die Opfer des Jugoslawienkrieges.
Nirvanas Leben nach dem Tod
Aber klar: Der Sound der Revolte heißt heute HipHop und Rap. Als große Jugendkultur hat Rock à la Nirvana ausgedient. Wenn man heute Kids in Nirvana-Shirts sieht, ist das eher eine Mode-Erscheinung, kein Fantum. Trotzdem: Nirvana-Hymnen wie "Smells Like Teen Spirit" und "Come As You Are" werden täglich immer noch eine gute Million Mal gestreamt.
Weil bei dieser aufrührerischen und dennoch sensiblen Musik das Gefühl stimmt. Viele Teenager, egal welcher Generation, haben eine Nirvana-Phase, glaubt Caldart - egal wie kurz sie ist: "Das erwischt dich zu einer Zeit, wo du voller Rebellengeist bist. Die Message verstehst du, selbst wenn du den Text nicht verstehst. Einfach von der Energie her."
Redaktion: Alexandra Müller-Schmieg
Sendung: hr1 am Morgen, 05.04.2024, 06:00 Uhr