International gefragte Künstlerin Nightlife, Daylife, Waldlife: Die Welt von Fotografin Sandra Mann
Als junge Frau fotografierte Sandra Mann am liebsten Nachtschwärmer. Heute setzt die international gefragte Fotografin aus Groß-Gerau lieber geflüchtete Frauen, Künstlerpersönlichkeiten oder Bäume in Szene. Im Interview erzählt sie, wie sie vom "Nightlife" zum "Waldlife" gefunden hat.
Das Nachtleben war für Sandra Mann der Start einer internationalen Karriere: Um die Jahrtausendwende fotografierte sie Feiernde in Clubs und Bars, vor und hinter der Theke - zuerst rund um ihre Heimat Groß-Gerau, später auch in den Metropolen dieser Welt. Ihre Impressionen aus der Glamour- und Partywelt von Paris, Mailand und New York machten die heute 52 Jahre alte Fotografin schließlich international bekannt.
Heute macht Mann statt Bars und Clubs lieber den Wald zur Bühne. Für eine Ausstellung im Frankfurter Techno-Museum MOMEM begibt sie sich nun aber noch einmal zurück ins Nightlife der 1990er- und 2000er-Jahre. Im Interview erzählt sie, was Besucherinnen und Besucher dort erwartet und wieso sie ihr Atelier bis heute in Frankfurt hat.
hessenschau.de: Ihre aktuelle Ausstellung ist im Rahmen der Schau "Milestones – Favorite Club Tracks 1985-2020" im Frankfurter MOMEM. Was wird dort von Ihnen zu sehen sein?
Sandra Mann: Es gibt eine Rauminstallation, voraussichtlich auf zwei Wänden, mit einer ganz speziellen Projektion auf Taft-Stoffen. Dort sind etwa 170 Fotografien von mir zu sehen, alle aus dem Nachtleben und der Musikszene. Ausgesucht habe ich sie aus 600.000 Dias. Die zu bearbeiten war eine schöne Arbeit, ein bisschen "back to the roots".
hessenschau.de: Die Arbeiten sind größtenteils in den 1990er- und 2000er- Jahren entstanden. Gibt es ein Lieblingsmotiv?
Mann: Ich habe mein Studium finanziert mit Jobs in Bars und Clubs. Gleichzeitig konzentriere ich mich fotografisch immer auf ein ganz bestimmtes Thema. So ist die Serie zum Thema Nachtleben entstanden.
Ich mag zum Beispiel das Bild von Sandra, die sich ein Blatt vor den Mund hält, auf dem ein halbes Männergesicht zu sehen ist. Eigentlich ein sehr frühes Bild zum Thema Gender. Und dazu raucht sie noch. Das war schon besonders, weil Frauen früher in der Öffentlichkeit gar nicht rauchen sollten.
hessenschau.de: Sie waren in Ihrer Karriere in der Werbung sehr erfolgreich und haben die Glamourwelt der großen Metropolen fotografiert. Warum haben Sie damit aufgehört?
Mann: Das war zwischen 1997 bis 2006 sehr intensiv. Ich habe zwar auch Porträtfotos gemacht, aber mir hat die tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit sozialen Themen gefehlt. Das hat sich geändert. Zum Beispiel habe ich ein Buch über Frauen gemacht, die 2015 nach Deutschland geflüchtet sind. Wir haben fünf Frauen interviewt und porträtiert, das sind ganz bewegende Geschichten.
Da bin ich auch das erste Mal fotografisch an meine Grenzen gekommen. Ich habe gemerkt: Die Emotionalität und auch die Geschichten, die die hatten, die kann man nicht so einfach in einem Bild fassen. Wir haben uns dann entschieden, sich die Frauen selbst so inszenieren zu lassen, wie sie sich gerne sehen. Das hat mir sehr viel gegeben und das war sehr wichtig für mich.
hessenschau.de: Wie kam es zu diesem Perspektivenwechsel?
Mann: 2012 war ein Punkt, an dem ich mich selbst gefragt habe: Was mache ich hier eigentlich? Welche Bilder sind es überhaupt wert, noch weiter in die Welt getragen zu werden?
Dann habe ich mir überlegt: Was ist das Wesentliche? Was ist wirklich wichtig zu inszenieren? Und das ist doch unsere Umgebung, die Natur, von der wir abhängig sind als Menschen. Das war weit vor der Fridays-For-Future-Bewegung.
hessenschau.de: Sie haben sich den Wald als Bühne für Ihre Inszenierungen ausgesucht. Oft sind es Porträts mit Künstlern, wie zum Beispiel das mit den Seerosen. Wie kam es dazu?
Mann: Die Künstlerin Jessica Schäfer, die da in dem Teich badet, macht selbst Installationen. Deswegen auch diese zerknüllten Plastikbecher, die auf den ersten Blick aussehen wie Seerosen.
Es gibt das Bild in ganz groß. Teilweise stehen die Leute bis zu 15 Minuten davor und erkennen diese Becher nicht, weil es genau so fotografiert ist wie Monets Seerosen-Bilder. Das ist so im kollektiven Gedächtnis implementiert, dass man das gar nicht mehr anders sehen kann. Wenn man meine Arbeit ein bisschen kennt, dann weiß man: Man muss ein bisschen genauer hinschauen.
hessenschau.de: Ist das Ihr Anliegen, den Menschen mehr Aufmerksamkeit zu bringen?
Mann: Ich finde, es muss immer ein Dialog sein. Ich bin keine Fotografin oder Künstlerin, die jemandem etwas überstülpt. Ich versuche, das mit den Leuten zusammen zu erarbeiten. Für mich ist das Schönste, wenn jemand, der eigentlich gar nichts mit Fotografie oder mit Kunst zu tun hat, ein Bild total toll findet und sagt: "Ach, das ist ja super" und sich dann damit befasst.
Deswegen hab ich auch diese Wahrnehmungs-Irritationen in die Bilder eingearbeitet. Da merkt man sehr schnell: Wer setzt sich wirklich mit den Dingen auseinander und wer nicht? Wir leben in einer Welt, wo die Menschen viel zu viel Dinge übersehen. Das hat mit Wahrnehmung, mit Aufmerksamkeit zu tun.
hessenschau.de: Sie arbeiten als Fotografin, kuratieren Ausstellungen, machen Rauminstallationen und sind außerdem noch Dozentin. Woran hängt Ihr Herz besonders?
Mann: Ich habe ja an der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Offenbach studiert und habe auch schon sehr früh angefangen zu zeichnen und zu malen, ich komme eigentlich von der Malerei.
Dann habe ich Lewis Baltz kennengelernt, ein ganz toller amerikanischer Fotograf, mit dem habe ich sehr viel gearbeitet. Das ist mein Schwerpunkt geworden. Ich liebe die Fotografie, aber sie ist auch nur ein Teilbereich meiner Arbeit.
hessenschau.de: Sie werden in den großen Galerien der Welt ausgestellt. Trotzdem haben Sie Ihren Standort in Frankfurt, Ihr Atelier in Fechenheim, nie aufgegeben. Warum?
Mann: Wir haben durch den internationalen Flughafen perfekte Anbindungen, auch wenn es in der Pandemie etwas schwieriger war. Ich liebe Frankfurt auch aus dem Grund, weil es so kompakt ist. Und die Frankfurter Bevölkerung ist einfach toll, sie ist gemischt, sie ist international, sie ist sehr offen für Veränderungen. Daher fühle ich mich hier sehr beheimatet.
Das Interview führte Yvonne Koch.
Sendung: hr-fernsehen, 02.02.2023, 16.45 Uhr
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