Bitterböse, aber lustig Von Hungerhaken und Doppelkinnen: Gerhard Haderer in der Caricatura
Seine Figuren haben oft Doppelkinne, Speckschwarten oder Hängebrüste, seine Karikaturen sind bitterböse Kommentare zum Zeitgeschehen. Aber der Österreicher Gerhard Haderer malt auch großformatig in Öl, wie jetzt in der Frankfurter Caricatura zu sehen ist.
Gerhard Haderer, Jahrgang 1951, war erst als Grafiker und Illustrator für verschiedenen Werbeagenturen tätig, bevor er mit 30 Jahren für einen Neuanfang entschied. Er brach mit der Werbebranche und schwenkte auf die komische Kunst um.
Seither liefert er Karikaturen für Satirezeitschriften wie den österreichischen Watzmann, Titanic oder Pardon. In Deutschland wurde er vor allem durch seine Karikaturen im Wochenmagazin Stern bekannt, für den er 25 Jahre lang arbeitete.
Sein 2002 erschienenes Buch "Das Leben des Jesus" brachte ihm insbesondere von der Katholischen Kirche heftige Blasphemie-Vorwürfe ein. In Griechenland wurde er wegen Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft sogar zu sechs Monaten Haft verurteilt - ein Urteil, das später in der Berufung wieder aufgehoben wurde.
Warum ihm die Auseinandersetzung mit strittigen Themen wichtiger ist als das große Publikum und was er von den sozialen Medien hält, erzählt er im Interview.
hessenschau.de: Ihre Figuren sind oft sehr unvorteilhaft dargestellt, mal mit wabbelnden Fettmassen, mal wie fiese Hungerhaken. Mögen Sie Menschen nicht besonders?
Gerhard Haderer: Ich versuche die Menschen so darzustellen, wie ich sie wahrnehme. Es ist nicht so, dass ich absichtlich Menschen diffamieren möchte durch meine Arbeit. Ich versuche nur, ihnen möglichst realistisch gerecht zu werden - in meiner Perspektive, das gebe ich zu.
Aber das, was ich mache, ist tatsächlich eine Zuwendung zu den Menschen in all ihren Formen und Facetten. Und wenn ich die Protagonisten dieser Überflussgesellschaft in Europa zeichne, dann können eben das keine Hunger-Figuren sein.
hessenschau.de: Eines Ihrer Ölgemälde in der Ausstellung zeigt einen Hai, aus dessen Maul nur noch ein Arm mit einem Selfiestick herausguckt. Überhaupt scheint das Thema Mediennutzung, Social Media und der Umgang damit ein großes Thema für Sie zu sein. Nutzen Sie selbst Social Media?
Haderer: Nein, ich persönlich nutze sie nicht. Aber ich bin überzeugt davon, dass ich genug Informationen kriege über mein Umfeld. Ich habe echte Nerds in meiner Umgebung, die alles studieren, was über diese Medien kommt. Daher bin ich über die Spitzen schon informiert.
Ich bekenne mich allerdings dazu, dass ich ein absolut leidenschaftlicher und manischer manueller Zeichner bin. Und da ist zwischen mir und all diesen Medien eine echte Firewall. Ich will nichts zu tun haben mit Bildbearbeitung am Computer. Ich habe die absolute Lust, den Stift oder den Pinsel am Papier zu hören. Eine Art von sinnlicher Hingabe ist das und das macht mir wirklich Freude.
Und ich merke, dass ich glücklich bin, wenn ich eines dieser Blätter zehn, fünfzehn Stunden lang bearbeiten musste - oder wollte.
hessenschau.de: So besteht aber die Gefahr, dass Ihre Kritik, der Spiegel, den Sie der Gesellschaft vorhalten, bei den jungen Menschen gar nicht mehr ankommt.
Haderer: Das ist wahrscheinlich jetzt schon so, dass junge Menschen nicht daran interessiert sind, was ich mache. Aber es war mir noch nie ein großer Vorsatz, für ein Publikum zu zeichnen.
Es ist meine Art von Bewältigung bestimmter Gedanken, die unbedingt gezeichnet werden müssen. Dass die dann abgedruckt werden in Zeitungen halte ich für ein wunderbares Nebengeräusch. Aber ich hatte nie die Absicht, ein Publikum für mich zu gewinnen.
Ich zeichne mir eine Reflexion über das Leben von der Seele, das uns allen hin und wieder mal sehr erstaunlich vorkommt, und fühle mich dadurch nachher etwas besser als vorher.
hessenschau.de: Die meisten Karikaturen sind ja tagesaktuell, greifen die Themen und Missstände auf, die die Menschen gerade umtreiben. Bei Ihren Ölgemälden können Sie diese Aktualität aber gar nicht umsetzen, immerhin muss da Schicht für Schicht aufgetragen werden. Haben Ihrer Gemälde also andere Themen als Ihre gezeichneten Karikaturen?
Haderer: Nein, wo Haderer draufsteht, ist Haderer drin. Ich habe nicht spezielle Themen für Zeitungs-Karikaturen oder für Ölmalerei, sondern das sind generell meine Themen.
Wie zum Beispiel die katholische Kirche, mit der ich mich in Österreich als Ganzes jahrelang auseinandergesetzt habe, die Überflussgesellschaft oder der Zweite Weltkrieg. Natürlich fordert ein Schinken im Ausmaß von zweieinhalb Meter mal zwei Metern eine wesentlich andere Bildhaftigkeit als ein kleiner Cartoon.
Das ist genau die Herausforderung, dass man sich tagesaktuell wesentlich schneller, wesentlich undifferenzierter äußern kann. Denn es ist so wie im Gespräch: man wirft eine kleine Bemerkung hin und es folgt dann die nächste...
Wenn man will, dann kann man ein Thema aber auch mal vertiefen und das ist die Aufgabe, wenn man ein riesiges Ölgemälde gestalten will.
hessenschau.de: Sie haben zwar in Ihrer Ausbildung als Grafiker schon mit Ölmalerei zu tun gehabt, aber haben sich doch viel autodidaktisch für Ihre Gemälde draufgeschafft. Wie leicht ist es Ihnen gefallen, den Stift gegen den Pinsel auszutauschen?
Haderer: Man muss brennen, vom ersten bis zum letzten Strich und das dauert in meinem Fall wirklich drei bis vier Monate. Der Kopf darf da nicht aussteigen. Wenn das gelungen ist, dann ist das Thema tief genug.
So was mache ich ja nur ganz, ganz selten. Und so gibt es hier in dieser Ausstellung in Frankfurt zu meiner großen Freude alle fünf großformatigen Ölbilder, die ich je gemacht habe, alle auf einmal zu sehen.
Das Interview führte Yvonne Koch.
Sendung: hr2-kultur, 06.04.2023, 06:00 Uhr
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