Lebenswerk-Ausstellung in Wiesbaden Oscar-Preisträger Schlöndorff: "Streaming lässt lauter Zombies zurück"
Volker Schlöndorff verkaufte seinen Vorlass an das Deutsche Filminstitut und Filmmuseum. Aus den Erinnerungsstücken ist eine Ausstellung in seiner Heimatstadt Wiesbaden entstanden. Sie würdigt das Lebenswerk des Erfolgsregisseurs.
Passend zum Titel "Volker Schlöndorff. Von Wiesbaden in die Welt" reiste Volker Schlöndorff zur Eröffnung der Wiesbadener Ausstellung zu seinem Lebenswerk aus Paris an. Vom Flughafen ging es direkt in den Wiesbadener Bellevue-Saal, wo er kurz Gelegenheit hatte, seine Ausstellung in Augenschein zu nehmen, bevor die offizielle Pressekonferenz um die Ecke in der Caligari Filmbühne stattfand.
"Das wühlt sehr viel auf, was man vergessen hat, weil es so zum Anfassen ist", sagt der 84-Jährige dort sichtlich bewegt, während er in einem roten Plüsch-Sessel im Kinosaal sitzt. "Ich muss mich dem stellen. Alles ist nun posthum festgehalten, bereit fürs Jüngste Gericht sozusagen."
Und es gibt vieles, was erinnerungswürdig ist am Leben von Volker Schlöndorff. Da ist allen voran die Günter-Grass-Verfilmung "Die Blechtrommel", für die Schlöndorff 1980 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann. Und da sind seine Verfilmungen von Bölls "Die verlorene Ehre der Katharina Blum"(1975) und Max Frischs "Homo Faber" (1991).
Kinderbriefe, Arthur Miller und jede Menge Fotos
Bekannte Filme Schlöndorffs laufen in der Ausstellung in einer 35-minütigen Collage auf Leinwand ab. Unter dickem Glas auf Tischen ausgebreitet liegen Briefe, die in Kinderhandschrift von Ferienerlebnissen erzählen, immer erwachsener werden und in Korrespondenzen mit Schriftstellern wie Arthur Miller, Günter Grass oder Max Frisch münden. Da befinden sich Drehbücher, Filmobjekte und immer wieder Fotos.
15 laufende Meter nimmt Schlöndorffs Vorlass im Deutschen Filminstitut und Filmmuseum (DFF) in Frankfurt am Main ein, aus dessen Sammlung die Ausstellung kuratiert wurde. Schon früh hat der Erfolgsregisseur angefangen, Erinnerungsstücke seiner Dreharbeiten dem DFF zuzuschicken.
"Ich hatte zu Hause einfach keinen Platz mehr. Auf dem Dachboden hätte ich das alles nicht horten können", so Schlöndorff. Auch seine neueste Errungenschaft hat einen Platz in der Ausstellung: Die "Ehren-Lola" des Deutschen Filmpreises, den er erst kürzlich in Berlin für sein Lebenswerk erhalten hat.
Wiesbaden: "Der Ort, von dem ich fliehen wollte"
Ein Lebenswerk, das in der hessischen Landeshauptstadt 1939 seinen Anfang nahm. Hier wuchs Volker Schlöndorff als Sohn eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes auf und entwickelte entgegen dem väterlichen Wunsch seine Liebe zum Film. Inspiration fand er dabei allerdings mehr im Ausland als in seiner Heimatstadt, die er damals als erstickend wahrnahm und als Ort, von dem er fliehen wollte.
Und doch hat sich Schlöndorff mit Wiesbaden ausgesöhnt. In einem Dokumentarfilm in der Ausstellung erzählt er, dass Wiesbaden eng mit seinen ersten Filmerfolgen zusammenhängt. Hier erhielt er die Drehbuchförderung für sein Regiedebüt "Der junge Törless" (1966). Ein Film, der für ihn zu den Karriere-Highlights zähle und der heute noch aktuell sei.
"Es geht um Mobbing in der Schule", erzählt Schlöndorff. "Das ist heute noch viel schlimmer als damals. Selbst eine Kadettenanstalt war, glaube ich, noch menschlicher als das, was heute durch Social Media passiert."
Schlöndorff kritisch gegenüber Streamingdiensten
Social Media oder Streamingdienstleister wie Amazon Prime oder Netflix - die Welt des bewegten Bildes hat sich in den letzten Jahren rasant verändert und mit ihr die Art des Filmemachens. Der Oscar-Regisseur sieht die Machart von Serien, die auf "Binge Watching", also einen Serien-Marathon, ausgelegt sind, kritisch.
Man werde dauernd atemlos gehalten, komme dabei aber nie zu sich. Film müsse für ihn eine kathartische Wirkung haben. Für Schlöndorff könne Streaming das nicht bieten. "Das lässt lauter Zombies zurück."
Keine Kino-Vorstellung ohne Rahmenprogramm
Doch wie die Menschen von der heimischen Couch in die Kinos locken? Mit seinem aktuellen Dokumentarfilm "Der Waldmacher" (2022), der sich mit der Aufforstung Afrikas beschäftigt, tourt Schlöndorff gerade durch die Kinos und stellt dabei fest: "Nur einen Film abzuspielen, das reicht heute nicht mehr. Jede Vorstellung muss ein Ereignis sein." Mit Talks, Diskussionsrunden oder Schauspieler:innen und Regisseur:innen vor Ort könne man das Publikum wieder in die Kinos holen.
Ideen und Neugierde auf weitere Filme hat der 84-Jährige übrigens auch noch. Und das DFF hat sicher auch noch ein paar weitere Regalmeter frei für weitere Kisten von Volker Schlöndorff.
Sendung: hr2, 19.05.2023, 7.10 Uhr
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