Projekt "Musik statt Straße" aus Hessen Wie Musik Kinder aus einem Slum befreit

Georgi Kalaidjiev aus Fernwald gehört zu den besten Geigern der Welt. Geboren wurde er in einem Slum in Bulgarien. Um Kindern dort zu helfen, haben er und seine Lebensgefährtin das Projekt "Musik statt Straße" gegründet. Jetzt wird ihnen eine besondere Ehre zuteil.

Musiker beim Proben
Die jungen Musikerinnen und Musiker beim Proben. Bild © Georgi Kalaidjiev
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Wie sie die viele ehrenamtliche Arbeit neben ihrem Beruf denn schafft, werde sie manchmal gefragt, sagt Maria Hauschild. Schreiben, telefonieren, Spenden sammeln, Quittungen ausstellen - die Organisation ihres Projekts "Musik statt Straße" macht Hauschild nach eigenen Angaben abends nach der Arbeit, zuhause im Fernwalder Ortsteil Annerod (Gießen). Ihr Lebensgefährte, der Geiger Georgi Kalaidjiev, sei quasi 24 Stunden am Tag mit dem Projekt beschäftigt.

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"Die Freude, dass man wirklich etwas bewirken kann, gibt Energie", sagt Hauschild. "Außerdem fühlen wir uns getragen von den Gießenern, von Annerod, wir werden voller Liebe seelisch, aber auch materiell unterstützt."

Besondere Ehre: Konzert vor Vertretern der UNO

Rund 16 Jahre ist es her, da gründeten Hauschild und Kalaidjiev "Musik statt Straße". Durch das Projekt haben inzwischen über 400 Kinder aus dem überwiegend von Roma bewohnten Slum "Nadeshda" in der bulgarischen Stadt Sliwen in einer eigens gegründeten Schule (Musik-)Unterricht und damit eine Zukunft bekommen.

17 von ihnen wird am kommenden Dienstag eine besondere Ehre zuteil: Die Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren geben in Genf vor Vertretern der Vereinten Nationen ein Konzert. Die Organisation tagt dort zur Zeit zum Thema Menschen- und Kinderrechte. Geladen wurde "Musik statt Straße" als Initiative, die genau diese Rechte verwirklicht.

Kinder sind jetzt selbst Musiklehrer

Eine Initiative, bei der sich inzwischen in gewisser Weise auch ein Kreis schließt: 13 der betreuten Kinder sind selbst Lehrer geworden, erzählt Kalaidjiev. Viele finden weit bessere Jobs als ihre Eltern, die in teils prekären Verhältnissen in ganz Europa arbeiten müssen, sagt der Geiger. Eine Cellistin hat jüngst einen Studienplatz in Medizin bekommen.

Musiker beim Proben
Georgi Kalaidjiev mit einigen seiner Schützlinge. Bild © Georgi Kalaidjiev

Gerade bei Mädchen aus besagtem Slum sei das ungewöhnlich, denn ihnen werde Bildung häufig verwehrt. Stattdessen müssten sie früh heiraten, Kinder bekommen, manche würden zwangsprostituiert. Da das inzwischen mehrfach ausgezeichnete Projekt überregional bekannt ist, betreut es zeitweise um die 75 Kinder gleichzeitig, erzählen Kalaidjiev und Hauschild.

Internationale Karriere mit Solisten

Georgi Kalaidjiev wurde 1947 selbst im Slum in Sliwen geboren. Mit vier Jahren habe er vom Vater eine Geige bekommen - später machte er eine internationale Karriere. Mit 26 Jahren wurde er Konzertmeister der "Sofioter Solisten". Mit ihnen trat er an Orten wie der Royal Albert Hall London, der Carnegie Hall New York oder dem Opera House Sydney auf.

Der italienische Komponist Ennio Morricone (1928-2020) war so begeistert von den Musikern, dass er von ihnen Filmmusiken einspielen ließ. Kalaidjiev widmete er sogar eine eigene Komposition. Lange Zeit war der Geiger zudem Mitglied der Gießener Philharmoniker.

25.000 Menschen auf engem Raum

Seit 1993 lebt Kalaidjiev in Deutschland. Als er 2006 seine Heimatstadt besuchte, sei er entsetzt gewesen, sagt er. Das Ghetto ist mit rund 25.000 Menschen inzwischen eines der größten Roma-Ghettos in Europa. Mit seiner Lebensgefährtin Hauschild gründete Kalaidjiev "Musik statt Straße".

Finanziert wird das Projekt durch Spenden und Benefizkonzerte des ebenfalls von Kalaidjiew gegründeten Multikulturellen Orchesters der Universitätsstadt Gießen, in dem auch Ex-Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz gelegentlich zur Flöte greift.

Bis Sonntag Programm in Genf

In Genf geben die Musikerinnen und Musiker ihr Konzert, stellen das Projekt vor und führen zahlreiche Gespräche mit Delegierten. Möglicherwiese kann es eine Ausweitung von "Musik statt Straße" auf andere Länder geben. Dafür sei ihnen schon Interesse signalisiert worden, verraten Kalaidjiew und Hauschild.

Sendung: hr2-kultur,

Quelle: hessenschau.de