Medienkunstschau über Rassismus und Vorurteile Diese Ausstellung hält Besuchern den Spiegel vor
Wer sieht kriminell aus? Wer wird abgeschoben? Und wer darf bleiben? Mit Themen wie Rassismus und Vorurteilen befasst sich eine Medienkunstausstellung in Dieburg. Erstellt haben sie Studierende eines außergewöhnlichen Masterstudiengangs der Hochschule Darmstadt.
Wer in dieser Ausstellung digitales Hightech erwartet hat, wundert sich erst einmal. Stattdessen wird der Raum von schlichten weißen Pappschachteln unterschiedlicher Größe dominiert. Sie sind in loser Anordnung an mehreren Plätzen aufgehäuft.
Erst bei genauerem Hinsehen erfasst das Auge die digitalen Installationen. Auf zwei Bildschirmen geben Menschen in einer simulierten Fragesituation Auskunft über sich. Das Szenario: eine fiktive Ausländerbehörde. Als Standspiegel getarnte Monitore zeigen Gesichter in unterschiedlichen Gemütslagen.
Rassismus und Vorurteile im Fokus
Die Ausstellung "Begegnungen in Dieburg" im Museum Schloss Fechenbach in Dieburg behandelt Themen wie Abschiebung, Rassismus, Vorurteile. Erstellt wurde sie von Studierenden des Masterstudiengangs Internationale Medienkulturarbeit, den die Hochschule Darmstadt seit einigen Jahren anbietet.
"Wir wollten keine Technikschau", erklärt Klaus Schüller, Lehrkraft im Fachbereich Media der Hochschule. Nicht die "krasseste VR-Brille" oder den schönsten Bildschirm wollte man zeigen, vielmehr gehe es um digitale Ästhetik.
Die weißen Schachteln sind Schüller zufolge eine Anspielung auf das Konzept des "White Cube". Dabei geht es darum, Kunst in weißen Räumen zu präsentieren, damit die Umgebung nicht von der eigentlichen Kunst ablenkt.
Studiengang für künftige Kuratoren
Der Studiengang bietet 50 Prozent Theorie und 50 Prozent praktische Arbeit – laut Schüller international ein Alleinstellungsmerkmal. Die Studierenden sollen lernen, "Formen und Inhalte digitaler Medien ästhetisch und ethisch hochwertig in die Gesellschaft hinein zu vermitteln", heißt es in einer Mitteilung der Hochschule.
Ein wesentliches Berufsziel für Absolventen ist es, später einmal Ausstellungen zu organisieren und zu kuratieren. Wie fordernd dies im Spannungsfeld unterschiedlicher kultureller Sichtweisen sein kann, hat der Antisemitismus-Skandal um die documenta 15 gezeigt. Das indonesische Künstlerkollektiv schien von der Debatte über die Symbolik in Deutschland überrascht.
Unterschiedlichen Perspektiven Raum geben
"Ich glaube, dass Kunst gerade dafür da ist, dass diese Probleme auffallen", sagt Schüller. "Wir verfolgen den Ansatz, den verschiedenen Perspektiven Platz zu geben."
Von Vorteil dürfte dabei sein, dass die Studierenden am Fachbereich aus den unterschiedlichsten Ländern und Kulturen kommen. Kenia, Tunesien, Kolumbien - die knapp zwanzig Anwesenden nennen beim Pressetermin fast kein Land doppelt.
"Selbst kuratorisch zu arbeiten, war sehr verlockend"
Defne Selman stammt aus Antalya. In der Türkei hat sie ihren Bachelor in Philosophie gemacht. Ihren ersten Mastertitel hat sie in Rom erworben, doch dort konnte sie ihren Wunsch, Medienkunst zu studieren, nicht erfüllen. Deshalb kam sie nach Hessen.
"Der Studiengang hier ist sehr praxisorientiert", sagt sie. "Die Möglichkeit, an einem Museum kuratorisch zu arbeiten, war sehr verlockend." Die 26-Jährige ist in ihrem zweiten Semester bereits als Tutorin tätig, möchte auch irgendwann in Deutschland ihren Doktortitel erwerben.
Ihr Kommilitone aus Nigeria fand den Kurs über den Akademischen Austauschdienst DAAD. Er sei Lehrer und immer an Medienkunst interessiert gewesen, erzählt er. Der Studiengang sei der einzige gewesen, der genau auf seine Bedürfnisse passte. "Ich konnte etwas Ähnliches nirgends sonst in Deutschland finden."
"Die Projekte, die wir umsetzen, landen nicht in irgendeiner Schublade", sagt Dozent Schüller. "Sie werden in die echte Welt getragen". Attraktiv für internationale Studierende sei auch, dass die Lehrveranstaltungen auf Englisch gehalten werden. Im Ausland für das Programm werben braucht die Hochschule daher nach eigenen Angaben nicht.
Kunst aus Begegnung, frei nach Beuys
Zur Praxisnähe gehört ein jährlich stattfindender Open-Air-Workshop. Aus ihm ist auch die Schau "Begegnungen in Dieburg" entstanden. Die internationalen Hochschüler haben dazu rund 60 Dieburgerinnen und Dieburger auf dem Marktplatz mit provokanten Fragen konfrontiert: Wer sieht kriminell aus? Wen würden Sie abschieben? Wer darf bleiben? Was ist typisch deutsch?
Das Konzept ist laut Hochschule angelehnt an die "Soziale Plastik" von Joseph Beuys (1921-1986). Basierend auf den Antworten generiert etwa eine künstliche Intelligenz fotorealistische Bilder von Ausstellungsbesuchern, die sich zuvor per Mausklick selbst abgelichtet haben.
Die KI verfremdet diese Fotos nach Kategorien wie "guter Koch" oder "Krimineller". Die Ergebnisse sind überraschend - mit dem Ausgangsfoto haben sie häufig weniger Ähnlichkeit als erwartet.
Die Ausstellung hält Besuchern einen Spiegel vor, im übertragenen wie im wörtlichen Sinne. Für eine andere Installation sollten Passanten so in die Kamera schauen, wie nach geläufiger Vorstellung ein trauriger oder glücklicher Mensch aussieht. Eine weitere entführt akustisch in ferne Welten. Auch Kritik am sorglosen Umgang mit Medien kommt in dieser Ausstellung nicht zu kurz.