Ausstellung im Städel Frankfurt Wie Rembrandt mit dem Bild des "Goldenen Amsterdams" aufräumte
Wegen Renovierungsarbeiten hat das Amsterdam Museum derzeit geschlossen. Davon profitiert das Städel: Es zeigt Leihgaben aus dem 17. Jahrhundert – und hebt hervor, wieso sich Rembrandts Werke von denen seiner Zeitgenossen unterscheiden.
Sie sitzen breitbeinig da, stemmen die Arme in die Hüften und nehmen viel mehr Platz ein, als sie bräuchten. Schon ihre Körpersprache verrät: Diese Männer fühlen sich wichtig.
Was der Künstler Bartholomeus van der Helst auf Leinwand festgehalten hat, ist ein Bild, das man auch heutzutage noch kennt, zum Beispiel aus U-Bahnen. Von "Manspreading" ist dann die Rede.
Werke werden nur selten verliehen
Dass es dieses Phänomen schon im 17. Jahrhundert gab, zeigt das Städel Frankfurt in seiner neuesten Ausstellung "Rembrandts Amsterdam". Zu sehen sind nicht nur Werke des bedeutendsten und bekanntesten niederländischen Künstlers des Barock. Im Fokus stehen die "Goldenen Zeiten" Amsterdams – und ihre Schattenseiten.
Ingesamt 110 Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafiken und Gebrauchsgegenstände von Rembrandt und anderen niederländischen Künstlerinnen und Künstlern des 17. Jahrhunderts hat das Städel dafür zusammengetragen.
Rund die Hälfte davon stammt aus dem Amsterdam Museum und wird nur äußerst selten verliehen. Weil das niederländische Museum derzeit aufwendig saniert wird, dürfen sie ausnahmsweise in Frankfurt gezeigt werden. In diesem Umfang waren die Kunstwerke laut Städel in Deutschland noch nie zu sehen.
Hier die Elite, dort die Armen
Van der Helsts Darstellung des damaligen gesellschaftlichen Lebens ist nur eine von vielen in der Ausstellung, die von Chauvinismus und toxischer Männlichkeit zeugt – und zeigt, wie ungewöhnlich im Vergleich die künstlerische Herangehensweise Rembrandts war.
Während seine Zeitgenossen Bildnisse der bürgerlichen Elite malten und in einer Art Vorläufer des Gruppenselfies bildstark das Selbstverständnis von einflussreichen Männern festhielten, rückte Rembrandt auch die Armen in den Vordergrund.
Amsterdam wird zur Metropole
Rembrandts Schaffen fiel in eine Blütezeit der Niederlande. Amsterdam wuchs im 17. Jahrhundert zur Metropole Europas heran.
Wirtschaft und Handel boomten auch aufgrund aggressiver kolonialer Machtstrategien in Asien und Südamerika, der Protestantismus löste den Katholizismus ab. "Die Stadt wuchs in wenigen Jahren um ein Vielfaches – und so auch die sozialen Probleme", sagt Kurator Jochen Sander.
Um den neuen Problemen entgegenzuwirken, schaffte die bürgerliche Elite karitative Einrichtungen wie Waisen- und Zuchthäuser und etablierte das Konzept der Resozialisierung.
Sander erklärt: "Das protestantische Amsterdam verwandelte dazu das bisherige katholische Inventar, Gebäude und Stiftungsvermögen in soziale und disziplinarische Einrichtungen."
Oberschicht will sich präsentieren
Gleichzeitig konnte sich die männlich dominierte Oberschicht so als Fürsorgeträger präsentieren und die eigenen Machtstrukturen verfestigen. Dafür heuerten Schützengilden, Regenten von städtischen Einrichtungen und Vertreter von Berufsständen auch Künstlerinnen und Künstler an, die sie wohlwollend in Szene setzen sollten.
Natürlich wollte auf einem solchen Gruppenbild kein Mann kleiner dargestellt werden als sein Kollege, sagt Sander. Warzen seien gerne mal "retuschiert" worden und auch eine harmonische Bildgestaltung habe eine untergeordnete Rolle gespielt, schließlich habe jeder für sein Porträt im Gruppenbild gleich viel bezahlt.
"Die wussten oder glaubten zu wissen, was sie wert waren", erklärt der Kurator. Die Personen, für die karitativen Institutionen geschaffen wurden, etwa Arme und Behinderte, seien dagegen immer stärker aus dem Bild verschwunden.
Rembrandt als Korrektiv
Im Gegensatz zu einigen seiner Zeitgenossen habe sich Rembrandt den Auftraggebenden nicht gebeugt, sagt Sander, und stattdessen vor allem in der späteren Phase seines Schaffens die Armen der Gesellschaft in den Mittelpunkt gestellt.
Während andere Künstlerinnen und Künstler Straftäter in ihren Bildern zum Beispiel ohne Gesichter zeigten, malte er diese in aller Deutlichkeit und oft aus frontaler Perspektive. Es sei damals eine verrückte Idee gewesen, zum Beispiel das Sezieren einer Leiche "so dramatisch zu beleuchten", sagt Kurator Jochen Sander.
"Ein Stück Würde zurückgegeben"
Zwar hätte auch "eine Menge von Rembrandts Zeitgenossen" etwa soziale Absteiger oder Kranke dargestellt. "Aber sie tun es fast immer in dem Bewusstsein: Geschieht ihnen recht. Da kann man sich drüber lustig machen."
Rembrandt habe das fern gelegen. In seinen Darstellungen komme man der historischen und sozialen Realität des Prekariats in Amsterdam im Gegensatz zu anderen Werken dieser Zeit wirklich nahe.
Durch seine Kunst habe er den Menschen der Unterschicht ein Stück ihrer Würde wiedergegeben, so Sander. Für Rembrandt selbst hatte das damals einen Preis: Er litt besonders zum Ende seiner Karriere unter finanziellen Problemen und starb 1669 in Armut.